Doch fahren wir fort. Als eine eigenartige und große Untugend empfinde und betrachte ich es, dass ich gewohnt bin, lieber gar nichts zu reden, als etwas, was meinen Zuhörern missfallen könnte. Doch beharre ich in diesem Fehler mit Wissen und Willen, denn ich weiß sehr wohl, wie oft schon diese Sitte allein mir Feinde versöhnt und gewonnen hat. So viel vermag natürliche Anlage, wenn sie mit langer Gewohnheit verbunden ist. Meinen Wohltätern, auch angesehenen und mächtigen Leuten gegenüber unterlasse ich dies. Ich will kein Speichellecker, nicht einmal ein Schmeichler sein.
Auch im Handeln bin ich vorlaut und unbesonnen, wennschon ich sehr wohl weiß, was zu tun mir nützlich und schicklich wäre. Aber kaum wird man einen Menschen finden können, der so hartnäckig in diesem Fehler steckt wie ich. Ich lebe auch gerne und so viel ich kann in der Einsamkeit, obwohl mir bekannt ist, dass Aristoteles diese Lebensart verurteilt. Er sagt nämlich: »Der Einsiedler wird entweder zum Tier oder zum Gott.« Und den Beweis für die Wahrheit dieser Lehre habe ich selbst erbracht. Ein ähnlicher Wahnwitz, der mir nicht minder schadet, ist es, dass ich Diener bei mir zu behalten pflege, von denen ich ganz bestimmt weiß, dass sie nicht bloß mir nutzlos, sondern auch meinem guten Namen schädlich sind – ebenso, wie ich auch Tiere, die ich irgendeinmal zum Geschenk erhalten habe, wie Ziegenböckchen, Schafe, Hasen, Kaninchen, Störche, um mich behalte, sodass ihr Gestank das ganze Haus verpestet.
Auch habe ich immer unter dem Mangel an Freunden, besonders an treuen, sehr gelitten. Und viele, ja überaus viele Fehler habe ich dadurch begangen, dass ich mich überall in alle Dinge, von denen ich erfuhr, in wichtige und unwichtige, einzumischen suchte, bald mit, bald ohne Erfolg. Ganz besonders fehlte ich darin, dass ich Menschen beleidigte, die zu loben ich mir vorgenommen hatte; so war es auch gegenüber dem Präsidenten 81zu Paris, einem höchst gebildeten Manne, namens Aimar 82de Ranconet, von Nation ein Franzose. Und solche Fehler habe ich nicht etwa bloß aus meiner vorlauten, unbedachten Art heraus begangen oder aus einer Unkenntnis der Eigenschaften und Verhältnisse des anderen – Mängel, die leicht auszugleichen gewesen wären, – sondern darum, weil ich auf gewisse Formen gesellschaftlicher Lebensart, die ich erst später erlernte, nicht achtete, Umgangsformen, die den Menschen von Rang und Bildung fast durchweg geläufig sind.
Wenn es gilt zu überlegen, bin ich allzu rasch und hastig, weshalb meine Pläne zumeist überstürzt und voreilig sind. Bei Geschäften jeder Art dagegen dulde ich keinerlei Drängen. Nun haben meine Gegner wohl bemerkt, dass ich dann schwer zu fassen bin, wenn ich Zeit habe; darum richten sie nun ihr ganzes Augenmerk darauf, mich zu drängen. Ich ertappe sie oft bei solchem offenkundigen Treiben und hüte mich vor ihnen wie vor schlimmen Widersachern und betrachte sie als meine Feinde, was sie auch in Wirklichkeit sind.
Hätte ich mich nicht daran gewöhnt, nie eine Sache zu bereuen, die ich freiwillig unternommen habe, und hätte sie auch ein noch so übles Ende genommen, so hätte ich wohl beständig unter der unglücklichsten Stimmung zu leiden gehabt. Das meiste Unglück, das mich getroffen, hat jedoch die ungeheure Torheit meiner Söhne verschuldet, verbunden mit dem schändlichen Benehmen und der beschränkten Gesinnung meiner Verwandten, die stets gewohnt sind, die Ihrigen mit Neid und Scheelsucht zu betrachten – ein spezifisches Laster unserer Familie, das freilich fast allen Kleinstädtern anhaftet.
Von früher Jugend an bin ich ein über alle Maßen leidenschaftlicher Schachspieler gewesen. Ich habe auf diese Weise die Bekanntschaft des Herzogs Francesco Sforza II. 83von Mailand gemacht und mir außerdem die Freundschaft vieler vornehmer Herren erworben. Da ich mich aber viele Jahre, fast 40, beständig diesem Spiele widmete, ist kaum zu sagen, wie viel an Vermögen, ohne jeden greifbaren Nutzen, ich durch diese Leidenschaft vergeudet habe. Noch schädlicher freilich ist mir das Würfelspiel geworden; denn ich habe darin auch meine Kinder unterrichtet, und nur zu oft stand mein Haus allen Würfelspielern offen. Ich habe für dieses Laster nur eine einzige, recht dürftige Entschuldigung: die ärmlichen Verhältnisse, in denen ich geboren bin, verbunden mit der nicht unbedeutenden Geschicklichkeit, die ich nun einmal für solche Dinge habe.
Es ist dies eben eine menschliche Unsitte. Andere gibt es, die man nicht nennen will und nicht nennen darf, und wer weiß, ob sie besser und weiser sind? Wie, wenn einer zu den Königen der Erde sich wenden und ihnen sagen wollte: »Ist doch keiner unter euch, der nicht schon Läuse, Fliegen, Wanzen, Flöhe und anderen noch hässlicheren Unrat aus der Hand seiner Diener gegessen hat«? Wie werden die Herren dies hören mögen? Und doch ist es sicher wahr. Wir wollen eben gewisse Dinge nicht wissen, auch wenn sie uns eigentlich längst bekannt sind, und wollen sie lieber mit Gewalt unterdrücken. Und was ist der Grund? Nichts anders als eine Unkenntnis unseres allgemeinen Zustandes. So ist es auch mit unseren Sünden und allem andern; es sind eben hässliche, lächerliche, unordentliche und unzuverlässige Dinge: faules Fallobst am Baume. Ich habe also hier nichts Neues vorgebracht, nur die nackte Wahrheit gesprochen.
VIERZEHNTES KAPITEL
Meine geistigen Vorzüge, Standhaftigkeit und Charakterfestigkeit
In vielen Irrtümern sind die Menschen befangen, keiner aber ist größer als der, wenn sie das Wort »Standhaftigkeit« schwatzend im Munde führen. Denn einmal muss hier wohl unterschieden werden: die wahre Beharrlichkeit ist eine Gabe Gottes, die unechte dagegen eine Sache der Tölpel und Narren. Jedermann wird die Standhaftigkeit des Diogenes, der den ganzen Sommer in der Sonne lag und im glühend heißen Sand sich wälzte und winters eiskalte Säulen nackt umarmte, lächerlich und völlig töricht finden. Eine ganz herrliche Tugend aber war die Standhaftigkeit des Bragadino 84, jenes venezianischen Adligen, der Dinge erduldete, die selbst der roheste seiner übermütigen Besieger sich scheute an ihm zu vollziehen, Qualen, die ihn unsterblichen Ruhmes würdig machten: Es wurde ihm lebendigen Leibes die Haut abgezogen. Und wenn es auch Gnade Gottes war, dass er solche Martern ertragen konnte, so war es doch gewiss menschliche Größe, sie ertragen zu wollen.
Und wenn nun auch im Unglück leichter einer zu strahlender Seelengröße sich erheben mag, so gibt es doch auch in glücklichen Lebenslagen nicht seltener Gelegenheiten, sich echter Bewunderung würdig zu erweisen. Und weiter sind auch Menschen, denen solche Gelegenheiten fehlen, darum doch nicht als minder standhaft zu betrachten. Da man sich nun auf so vielerlei Weise in Bezug auf diese Tugend irren kann, so ist jedenfalls festzuhalten, dass wir an sich es uns weder zum Ruhm anrechnen dürfen, wenn wir ein Übel ertragen haben, noch zum Tadel, wenn uns die Gelegenheit dazu fehlte, dass wir nicht als unser Verdienst noch als unsere Schande betrachten dürfen, was die Natur getan oder unterlassen hat. Ich will mich nicht damit verteidigen, dass ich behaupte, es habe mir in irgendeiner Weise an Gelegenheiten zum Erweis meiner Standhaftigkeit gefehlt; denn niemand, glaube ich, ist mir so feind und beurteilt mich so ungerecht, dass er nicht eher meine Geduld im Unglück und meine Selbstbeherrschung im Glück bewunderte, als mir zum Vorwurfe machte, dass ich angenehme Dinge missachte oder unangenehme ruhig ertrage. Ich erinnere an die Vergnügungen und heiteren Ereignisse meines Lebens, aber auch an meine Krankheiten, an meine stets schwachen Leibeskräfte, an die Verleumdungen meiner Neider, an manche wenig glücklichen Erfolge, an Prozesse, Anfeindungen, an die Drohungen einflussreicher Leute, an die Verdächtigungen, womit Einzelne mich verfolgten, an das Unglück in meiner Familie, an den Mangel so vieler irdischer Güter, endlich an die zweifelhaften Ratschläge, die mir solche gaben, die wirklich meine Freunde waren oder mir doch Freundschaft heuchelten, vor allem an die Gefahren, die für mich die überall wuchernden Irrlehren mit sich brachten.
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