Für mich hört sich das auf jeden Fall besser an, als 13 Jahre Angst in der Schule, 45 Jahre beinhartes Berufsleben und dann 20 Jahre von einem Arzt zum anderen laufen zu müssen und zu hoffen, dass das alles bald vorbei ist. Das ist natürlich auch ein Lebenskonzept, meines wäre es nicht. Zwei Stunden täglich für seinen Lebensunterhalt aufringen zu müssen: Wer schafft denn das heute noch? Ich. Sonst fällt mir auf die schnelle keiner ein. Fällt Ihnen jemand ein, Herr Prehsler?
Konkret nicht, Herr Düringer. Und das mit nur zwei Stunden am Tag hackln glaub ich Ihnen auch nicht so ganz. Aber ich denke, dass eine Gesellschaft mit insgesamt weniger Arbeitsstunden eine gute und auch machbare wäre.
Prehslers Tag hat 23 Stunden
Was meinst du, lieber Leser, liebe Leserin? Nicht gleich von einem Tag auf den anderen, aber was wäre, wenn wir – also unsere Gesellschaft halt – in 50 Jahren täglich so über den Daumen gepeilt:
• sieben Stunden schlafen
• zwei Stunden gut und gesund kochen und in Gesellschaft essen
• zwei Stunden Bewegung und Köperpflege machen
• vier Stunden arbeiten, meinetwegen täglich
• eine Stunde irgendwohin fahren, zum Beispiel fließend in und von der Arbeit
• zwei Stunden das »Notwendige« machen, also Einkaufen, Zsammräumen, Sex haben und Ähnliches -
• zwei Stunden nix machen …
• … dann bleiben doch pro Tag noch immer
• drei Stunden für Inspiration, welcher Art auch immer, und mit oder ohne Kinder.
Wie klingt das in deinem Ohr?
In dieser wunderbaren Welt hätten wir dann die 28-Stunden-Arbeitswoche … und übrigens den 23-Stunden-Tag, ich hab’ eine Stunde im Talon belassen. Die Kinder könnten also sogar eine Stunde länger schlafen oder sich aufs Häusl setzen – und vielleicht lesen oder aber auch eine Stunde länger arbeiten, wenn ihnen sonst nix einfällt und fad wird. Dann hätten wir die 35-Stunden-Arbeitswoche.
Da ist sicher irgendwo ein Denkfehler von mir drinnen, ich hab’ ihn nur nicht gefunden.
Die Zeit haben die meisten jetzt schon. Wir vergeuden sie nur in einem unfassbaren Ausmaß mit sinnlosen Gesprächen und Handlungen.
Glaubst du, ginge es unseren Kindern besser mit so einem Tag als dem üblichen heutigen?
Glaubst du, hätten wir dann eine bessere oder schlechtere Wirtschaft?
Angesichts der Tatsache, dass die gesamte Gesellschaft auf einem viel höheren Niveau daherkommt?
Ich bin davon überzeugt, dass im Schnitt 20 Stunden ausreichend sein müssten, um sich ein solches Leben leisten zu können.
Ich glaub’ fest daran, dass 20 Stunden ausreichen können, damit Menschen ihr Recht auf einen gesunden Körper, einen gesunden Geist und eine gesunde Seele einlösen können.
Nur sollten wir unter anderem jetzt schon damit anfangen aufzuhören (anfangen aufzuhören … so etwas gefällt mir), auf die 38,5 Stunden noch ein paar Stunden unbezahlt oder pauschaliert draufzusetzen. Vielleicht geht es ja der Wirtschaft gut, aber uns in Summe als Gesellschaft sicher nicht. Und ich halte das übrigens für Arbeitszeitdiebstahl. Nein, nicht – oder nicht nur – vom Unternehmen an dir, sondern von dir an den anderen Arbeitsuchenden.
Würdest du deinen Kindern oder halt den nächsten Generationen so ein Leben, so eine wunderbare Zeit gönnen? Oder bist du es ihnen neidig?
Du gönnst es ihnen schon, aber du glaubst nicht daran?
Nicht, weil die Wirtschaft das nicht zuließe, sondern weil die Menschen selbst mit so viel Zeit nichts anzufangen wüssten? Wahrscheinlich hast du recht.
Aber ich bin stur: Wenn ich aus einem Zwölfjährigen einen Komasäufer machen kann, dann kann ich aus dem gleichen Zwölfjährigen auch einen interessierten Menschen machen, der offen fürs Leben ist!
Wenn ich Menschen zu Konsummaschinen machen kann, dann kann ich sie auch zu Denkindividuen konstruieren. Es ist immer nur die Frage, wer was für wen will.
Ein guter Job, Haus, Auto, keine Zeit, viel Stress, teure Status-Symbole, nervige Kinder, All inclusive-Urlaub …
… oder vielleicht doch ein gutes Leben? In einer wunderbaren Welt?
Danke, Herr Prehsler, das hört sich gut an. Es wäre wohl wieder einmal an der Zeit für ein gesellschaftliches Update. Nicht zurück ins Neandertal oder wieder zurück auf die Bäume. Vergessen Sie auch diesen »Früher war alles besser«-Schmarrn, die Mär vom edlen Wilden, darum geht es überhaupt nicht. Was wissen wir schon über den Neandertaler? Letztlich nur, dass das »Leben« des modernen Menschen auch nur eine Updateversion eines Neandertalerlebens ist. Wobei ein Update ja eigentlich eine verbesserte Version sein sollte, außer man ist Windows-User. Die Hardware, das, was das Leben kennzeichnet, ist aber die gleiche geblieben.
– Geburt
– Heranwachsen
– Nahrungsaufnahme
– Fortpflanzung
– Krankheit und schließlich der
– Tod
Mit diesen sechs elementaren Themen musste sich auch der Neandertaler auseinandersetzen.
Es sind ewig gültige Lebensthemen und mit diesen werden wir uns im Folgenden im Detail beschäftigen. Womit wollen wir anfangen? Ich würde vorschlagen: der Chronologie wegen mit der Geburt, dem Anfang sozusagen. Wobei die Geburt bei genauerer Betrachtung ja nicht der Anfang ist, sondern lediglich ein Ortswechsel. Wenn Sie morgens außer Haus gehen, bedeutet dies nicht, dass jetzt der Tag anfängt.
Kapitel 2 – GEBURT
Sie waren ja vor Ihrer Geburt schon da
Allerdings waren Sie drinnen, geborgen im Leib Ihrer Mutter. Neun Monate lang war Ihre äußere Welt die innere Welt Ihrer Mutter. An diese Zeit können Sie sich selbstverständlich nicht mehr erinnern. Warum eigentlich selbstverständlich? So selbstverständlich ist das gar nicht, denn Sie hatten ja bereits ein Gehirn, bevor Sie das Licht der Welt erblickten. Das Erste, was sich nach der erfolgreichen Befruchtung einer Eizelle entwickelt, ist ein Gehirn, eine Steuereinheit, die alle weiteren Vorgänge und Entwicklungen lenkt. Ohne Gehirn keine Hände, keine Füße, kein Herz, kein Schwanz, kein Popoloch. Wir wären zu dumm zum Scheißen. Wenn man dann einmal schon recht gut scheißen kann, dann braucht man sein Hirn nicht mehr so oft zu verwenden. Nachdem Sie also in Ihrer embryonalen Phase bereits ein funktionierendes Gehirn hatten, hatten Sie auch die theoretische Möglichkeit zu denken und sich bereits im Mutterleib sinnlose Fragen zu stellen:
»Gibt es eigentlich ein Leben nach der Geburt? Angeblich kommt zuerst ein enger Tunnel, dann ein grelles Licht und dann steht man vor ›dem Mutter‹. Was auch immer der Mutter ist. Vielleicht ist aber nachher auch gar nichts, man weiß es nicht, denn zurückgekommen ist jedenfalls keiner mehr.«
Aber ganz egal, was auch immer Sie sich im Mutterleib dachten, es ist Ihnen dabei gut gegangen, denn Sie mussten sich um nichts kümmern, Sie waren angeschlossen mit einem langen Kabel, Ihrer Nabelschnur, an das Nervensystem Ihrer Mutter. Sauerstoffzufuhr, Nahrungszufuhr und Schadstoffabtransport waren elektronisch geregelt. Eine gut funktionierende, hochmoderne elektronische Einspritzanlage hat Sie neun Monate lang versorgt. Sie sind viel herumgekommen, ohne sich dabei selbst zu bewegen, und dabei war es immer schön warm und feucht. Neun Monate Thermenurlaub, und das ohne Pilz. Und dann, eines Tages, erlebten Sie den heiligen Moment der Geburt. Jede Geburt ist, ähnlich wie der Tod, ein heiliger Moment, dem eine unbeschreibliche Kraft innewohnt. Waren Sie schon jemals bei einer Geburt dabei? Was für eine dumme Frage. Aber jetzt rechnen wir einmal Ihre eigene Geburt nicht dazu, denn da waren Sie ja nicht wirklich bewusst dabei, und das ist gut so. Da muss man nicht unbedingt dabei sein, oder? Wären Sie allen Ernstes gerne bei Ihrer Geburt bewusst anwesend gewesen? Stellen Sie sich das einmal vor, da wird es nämlich wirklich so richtig eng, haben Sie das Tor, durch das Sie schreiten müssen, schon einmal aus der Nähe betrachtet? Das ist wirklich nicht groß. Dann bleiben Sie vielleicht noch irgendwo hängen, verkeilen sich, von hinten wird periodisch in immer schnellerer Folge Druck auf Sie ausgeübt. Da muss man, glaube ich, nicht wirklich dabei sein. Möglicherweise war die Geburt für den Neandertaler etwas einfacher. Frau Neandertaler war ja anders gebaut, etwas breiter, denn sie musste ja in keine enge Jean oder in den Schalensitz von Herrn Neandertalers Sportwagen passen. Kein langweiliges Schwangerschaftsturnen, das das ungeborene Neandertalerlein zu ertragen hatte, keine unnötige Aufregung über den überfälligen Geburtstermin. Geschützt hinter einem Busch, stehend, leicht angehockt, die Schwerkraft ausnutzend ohne Trubel, und in Ruhe fallen gelassen. Das Erste, was das Neandertalerlein von seiner äußeren Welt wahrgenommen hat, war ein feuchter Waldboden, eine duftende Wildkräuterwiese oder aber ein spitzer Stein. Die Natur ist eben nicht immer gerecht. Das Erste, was wir beide von unserer Umwelt wahrgenommen haben, war ein Krankenhaus. Ich jedenfalls schon. Der Kreißsaal im Franz-Josefs-Spital, ein unangenehm grelles, künstliches Licht und eine Bande von Maskierten im grünen Tuch. Das Erste, was diese maskierten Verbrecher machen: Sie zwicken dir, so schnell wie möglich, das Verbindungskabel zur Steuereinheit durch und du wirst mit einem Schnitt zurückgebaut, downgegradet von einer wunderbar funktionierenden elektronischen Einspritzanlage auf einen primitiven Vergaserbetrieb. Von nun an wird oben eingefüllt, verdaut, verbrannt und unter Anstrengung und manchmal auch Schmerz die Umwelt verpestend rausgeschissen. Das ist mit Verlaub definitiv ein technischer Rückschritt und es gibt hier nichts zu beschönigen.
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