Wie bitte?
»Ja, manchmal dauert das dann schon so an die drei Stunden.« Da gab es dann noch zwei, drei Muttis, die das für eine gaaaaaaaaaaaanz tolle Idee hielten und »Ich werde das auch ausprobieren!« ausriefen.
Und mir war ganz schlecht. Und gesagt habe ich auch etwas. Das tut aber hier nichts zur Sache.
Ein sechs-, siebenjähriges Kind verbringt die Zeit seines Erblühens mit seiner gestörten, neurotisierten Mutter im Stiegenhaus. Und draußen warten die Freunde, die Wiese, der Wald, ein Ball, der Schnee, das Vogelhäuschen – und drinnen wartet dieses wunderschöne Buntpapier und die Schere und die Puppe, und der Bruder möchte Memory spielen und das kuschelige Sofa blinzelt rüber und die Katze schnurrt auch schon dort.
Das war damals.
Heute erzählt mir ein guter Freund, dass er jedes Wochenende mit seinem Sohn lernt. Der Sohn geht in die erste Klasse einer doch besseren, privaten Mittelschule mit Öffentlichkeitsrecht. Mein Freund findet das für die Vater-Sohn-Beziehung total befruchtend und ist darüber hinaus stolz, dass sein Kind das einzige Kind in der Klasse ist, das keine Nachhilfe braucht. Ja, der Leistungsdruck ist schon enorm. Und wird immer mehr.
Wir schreiben da über Elfjährige.
Wie werden die sein, wenn die dann die 20 erreicht haben. Oder mit 30 und 40? Na klar! Gut werden sie sein, Topverdiener, Opinionleader, immer auf Vollgas …
Lieber Leser, liebe Leserin, was sagst du dazu?
Ahso, ja, der Wettbewerb. Man kann ja nicht anders, wenn die anderen auch nicht können. Ich war gerade in Windsor, die Queen besuchen. Windsor liegt an der Themse, und auf der anderen Seite der Themse liegt Eton. Eine der großen Eliteschmieden für 13-bis 18-Jährige. Schulgeld pro Jahr circa 50.000 Euro, da ist Musik und Sport aber noch nicht dabei. Nach Eton geht es dann nach Oxford, Cambridge oder Harvard. Wir haben viele Araber, Inder und andere Asiaten gesehen. Interessanterweise haben die alle sehr gelöst gewirkt. Kein Wunder, die haben den Wettbewerb ja schon gewonnen. Da wird auch die beste Nachhilfe nicht helfen.
Ob die Eliteschüler letztendlich wirklich gewonnen haben, Herr Prehsler?
Den Prolog und die erste Etappe sicher.
Aber so ein Rennen dauert ja länger, eine kleine Unachtsamkeit und das Rennen ist gelaufen. Danke Herr Prehsler, und wenn Sie das nächste Mal in Windsor sind, dann lassen Sie mir die Queen herzlich grüßen.
Das mach ich gerne.
Wer hat nun den heranwachsenden Neandertaler erzogen und gebildet? Möglicherweise niemand, zumindest einmal kein Erziehungsberechtigter oder Lehrer. Aber wenn der Neandertaler nicht gebildet wurde, woher hatte er dann sein Wissen? Er hatte schlichtweg kein Wissen, Wissen wäre für ihn eine Belastung gewesen. Auch wenn Sie mich für weltfremd halten: Die Neandertaler haben nichts gewusst! Aber wie kann man ohne Wissen überleben? Mit Hilfe von Weisheit. Wissen und Weisheit werden oft und gerne verwechselt. Natürlich ist es toll, wenn man viel weiß, das schützt aber nicht vor Dummheit. Es gibt bekanntlich sehr gebildete Menschen, die sprechen sechs Sprachen fließend, sind aber in sechs Sprachen strohdumm. Was nicht heißt, dass jeder, der mehrere Sprachen spricht, dumm ist. Klug und weise zu handeln und sich dabei in vielen Sprachen ausdrücken zu können, das muss schon großartig sein.
Woher erhielt aber der heranwachsende Neandertaler nun seine Weisheit? Ganz einfach: Er lebte das nach, was ihm die Erwachsenen vorlebten. Das ist ein sehr einfaches Prinzip und funktioniert wunderbar. Wir haben andere Prinzipien. Wir sagen unseren Kindern etwas vor, und das ist bekanntlich oft nicht das, was wir ihnen vorleben. Dazu ein Ausschnitt aus einem Kurzfilm.
Drehbuch für einen kurzen Kurzfilm
Personen:
Der VATER
Der SOHN
Ort:
Elterliches Auto
Aufblende
Der VATER sitzt am Steuer, daneben am Beifahrersitz sein zwölfähriger sohn. Der Vater betätigt den Zigarettenanzünder, versucht mit einer Hand eine Zigarette aus der verschlossenen Zigarettenschachtel zu nehmen. Nach einigen misslungenen Versuchen drückt er dem Sohn die Zigarettenschachtel in die Hand.
VATER
»Geh, ich hab’ keine Hand frei. Zünd mir du g’schwind einen Tschick an.«
Der Sohn holt eine Zigarette aus dem Päckchen, steckt sie sich in den Mund, greift nach dem glühenden Zigarettenanzünder und zündet die Zigarette an. Nimmt einen Zug, atmet aus, ohne zu husten und überreicht die brennende Zigarette seinem Vater. Der Vater nimmt ebenfalls einen tiefen Zug und wendet sich an seinen Sohn.
VATER
»Rauchst du?«
SOHN
»Nein.«
VATER
»Aber so wie es ausgschaut hat, war das nicht die erste, die du dir angheizt hast, oder?«
SOHN
(verlegen und ertappt)
»Oja.«
VATER
(streng)
»Ich bin nicht so blöd, wie ich ausschau’. Ich sag’s dir im Guten, wenn ich dich einmal mit einer Tschick erwisch’, rauscht’s im Blätterwald.«
Der Vater nimmt wieder einen tiefen, kräftigen Zug.
VATER
»Ich riech’ das auf einen Kilometer, wenn du geraucht hast.«
SOHN
»Ich rauch’ ja net.«
VATER
»Ich sag’s dir nur, fang nicht mit dem Blödsinn an. Das ist ungesund. Das steht alles am Packl drauf. Lebensgefahr, Krebs, Tod. Da, les amoi.«
SOHN
(liest)
»Koureni skodi zdravi. Was heißt das?«
VATER
»Weiß ich doch nicht. Aber sicher nichts Gutes. Das ist tschechisch.«
SOHN
»Wieso tschechisch?«
VATER
»Weil sie dort billiger sind, die Tschick.«
Der Vater nimmt wieder einen genüsslichen Zug.
Abblende
Mit der Zigarette in der Hand den Sprössling auf die Gefahren des Rauchens hinzuweisen, muss in einem sich im Bildungsprozess befindlichen Gehirn zwangsläufig zum Kurzschluss und damit zum Systemabsturz führen.
Was aber nicht heißt, dass der kleine Neandertaler tun und lassen konnte, was er wollte. Ganz im Gegenteil. Sein Lehrmeister war die Natur, und die Gesetzte der Natur musste er ohne wenn und aber befolgen. Sonst hätte es »gescheppert«, und das aber so richtig. Das elegante Umgehen von Naturgesetzen war da nicht möglich und wurde im schlimmsten Fall mit dem Tode bestraft, indem man als kleines Säbelzahntigermenü ein unschönes Ende fand. Das klingt natürlich, aus unserer Sicht, ganz schön hart und unbarmherzig. Aber für Geist und Seele macht es einen sehr großen Unterschied, ob ich nicht Ski fahren gehen kann, weil ganz einfach kein Schnee ist, oder ob ich an einem wunderbaren Wintertag, blauer Himmel und Pulverschnee nicht Ski fahren gehen kann, weil ein Erziehungsberechtigter zu mir sagt: »Heut wird net Ski gfoahn.« »Wieso?« »Weu is sog!«
Das macht zornig, das macht böse. Auf »kein Schnee« kann man nicht böse sein. Es sei denn, man ist verhaltensgestört, dann kann man natürlich auch auf das Wetter böse sein.
Etwas, das der Neandertaler auch nicht kannte, war der klassische Konflikt der Generationen. Das ist logisch, denn es handelte sich um einen Zeitraum von grob 100.000 Jahren, in denen sich nichts geändert hat, außer das Wetter. Da damals gestern zugleich heute war, hatten die ewig Gestrigen im Unterschied zu heute einfach recht und den typischen »alten Trottel« hat es damals nicht gegeben, denn wenn einer ein Trottel war, dann wurde der nicht alt.
Heute hingegen kann es ja ein Trottel relativ weit bringen. Man muss ja nicht besonders klug sein, um ein mächtiger Mann oder eine mächtige Frau in der Politik oder in der Wirtschaft zu sein. Da reicht es, wenn man clever ist und die Kunst des Lügens beherrscht. Das reicht natürlich nicht. Man braucht dann auch die, die sich gerne anlügen lassen. Bioroboter und brave Systemtrottel, die mit all den Lügen ganz gut leben können, weil wir von unseren Erziehungsberechtigten gelernt haben, Lügen und Angelogen-Werden als normal zu betrachten.
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