Schauen wir uns die Logik in der Gleichung noch einmal an:
10 = sagen wir Eigenliebe 2, und dann bräuchtest du logischerweise Fremdliebe 8, damit du die notwendige Menge Liebe gesamt bekommst.
Leute, Leute – das ist die große Abhängigkeit ! Und das macht traurig!
Danke, Herr Prehsler, eine durchaus plausible Erklärung. Und davon handelt dann Ihr Buch?
Ja, und von Wertschöpfung durch Wertschätzung und wie man mit Liebe den Gewinn maximieren kann. Das geht allerdings oft zu Lasten unseres Glückes und tut uns nicht immer gut. Da ist dann halt ein anderer glücklich. Wie wir uns selbst und auch unsere Kinder rekonstruieren können und unter anderem auch, wieso »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst« so ein gefährlicher Satz ist und ob Jesus das wirklich konsequent zu Ende gedacht hat.
Herr Düringer, ich darf mich bei Gelegenheit wieder zu Wort melden und mich in Ihr Buch einschreiben?
Wenn’s passt, gerne. Und schicken Sie mir eines Ihrer Bücher. Manches in Ihrem Buch klingt ja, als hätte ich es geschrieben.
Gleich und gleich gesellt sich eben gerne. Nicht dass wir jetzt gleich wären, aber ich glaube, dass Sie, Herr Düringer, und ich uns Ähnliches wünschen, uns Ähnliches antreibt und ich nebenbei auch manchmal als »weltfremd« wahrgenommen werde.
Vielleicht rührt die allgemeine Unzufriedenheit und Traurigkeit neben mangelnder Selbstliebe auch daher, dass unsere Zeit sich immer mehr zur Gegenzeit entwickelt. Falls Sie den Begriff Gegenzeit jetzt zum ersten Mal hören, dann liegt es daran, dass ich ihn jetzt erst erfunden habe. Das Gegen- oder auch Antizeitalter hat so Dinge wie Anti-Faltencremes, Anti-Aging-Diäten, Anti-Terroreinheiten, Anti-Babypillen, Anti-Raucherkampagnen, antibakterielle Mundwässer und natürlich Antidepressiva hervorgebracht.
Die man ja braucht, wenn man in einer Zeit, die gegen alles ist und gegen alles ein Mittel hat, leben muss. Unsere Mundwinkel hängen oft schon nach dem morgendlichen Erwachen bis zu den Fersen hinunter, weil uns wieder ein harter Kampf bevorsteht. Kein Überlebenskampf in dem Sinn, sondern ein Kampf gegen alles, wo man dagegensteuern muss. Kampf gegen Krankheiten, Kampf gegen Drogen, Kampf gegen den Klimawandel, Kampf gegens Unkraut. Kampf gegen den Hunger, Kampf gegen die Armut, Kampf gegen den Terror, Kampf gegen den Faschismus … und alle diese Kämpfe haben wir bis jetzt nicht gewonnen und werden wir auch nicht. Nicht mit heruntergezogenen Mundwinkeln und einem »Antileben« gegen das Leben. Nicht mit einem Denken, dass noch immer Konkurrenz präferiert und Kooperation verweigert. Warum gegeneinander?
Liegt es daran, dass es bei »Früher«, ganz oben, am Beginn unserer Geschichte mit einem beinharten Konkurrenzkampf begonnen hat? Das ist nicht wissenschaftlich belegt, könnte sich aber ähnlich zugetragen haben.
Die Geschichte der Menschheit begann mit einer ziemlichen Katastrophe. Vor mehreren Millionen Jahren zerbrach ein ganzer Kontinent: Afrika (hatte also offenbar schon zu Frühzeiten die Arschkarte gezogen). Ja, und wenn so ein Kontinent zerbricht, dann tut sich was, keine Frage. Die Erde speit Feuer, der Himmel verdunkelt sich, das Klima verändert sich, die Vegetation geht zurück, die Bäume sterben. Die Affen hatten aber schon immer auf den Bäumen gelebt, denn dafür sind sie ja gebaut. Wenn nun die Bäume weniger werden, ist es klar, dass da ein ziemlicher Konkurrenzkampf um die besten Plätze auf den Bäumen entsteht. Und wie es in der Natur nun einmal so ist, die kräftigen, intelligenten, überlebensfähigen Affen blieben oben und haben die patscherten und dümmlichen Affen ganz einfach von den Bäumen geworfen und ins Steppengras verbannt. Zorn, Frust und Missgunst darüber waren nun ständige Begleiter der Heruntergetretenen: »Es glaubts a, nua weus stärka und gscheida sats, sats wos Bessas. Oba woats nur, irgendwoan kummt unsa Zeit und doan sperr ma eich in Zoo.« Ja, und so zogen die heruntergetretenen Affen in der Hoffnung auf späte Rache durchs Steppengras. Einer von ihnen, ein etwas älterer und unter den nicht allzu Klugen ein etwas Klügerer, hatte aufgrund seiner ständig gebückten Haltung unter ständigen Kreuzschmerzen zu leiden. Um den Rücken zu entlasten, richtet er sich hin und wieder auf, um sich zu strecken. Dabei blickt er über das Steppengras und sieht vor sich die weite Welt und staunt, was es da jenseits vom hohen Gras zu sehen gibt.
Der erste Affe hatte sich aufgerichtet, und er sah unbeschreibliche Dinge. Nun stand er also aufrecht da … und bereits wenige Minuten später war er vom Säbelzahntiger gefressen, denn der aufrechte Affe sah nicht nur, er wurde auch gesehen. Jedenfalls war es einmal ein erster Versuch, und ein Anfang war getan. Dann dauerte es schon noch einige Zeit, bis die Steppengras-Affen so weit waren, dass sie aufrecht gehen konnten und nicht vom Säbelzahntiger gefressen wurden. Hunderttausende wenn nicht sogar Millionen Jahre.
Manche Dinge brauchen eben Zeit, man glaubt es kaum. Zeit ist ja heute Mangelware, sie ist knapp, und unser Leben ist oft ein Kampf mit und natürlich gegen die Zeit. Schauen Sie doch selbst einmal auf die Uhr, wie spät es schon wieder geworden ist. Sie und ich, wir beide haben die Uhr …
Der Neandertaler hatte die Zeit
Und die war aus heutiger Sicht nicht lang. Der durchschnittliche Neandertaler, damit mein’ ich nicht den Herrn Neandertaler, sondern die Gattung, also Herrn und Frau Neandertaler, die NeandertalerInnen (dieses Buch enthält auch keine Allergene und ich hoffe, dass Sie so wie ich ein Mensch mit besonderen Bedürfnissen sind, auch wenn Ihre Mobilität fallweise, insbesondere im Stau, eingeschränkt ist und sie dadurch behindert werden), der Neandertaler starb im zarten Alter von 25. Und jetzt haben Sie natürlich fast ein wenig Mitleid mit dem armen Neandertaler, denn nach nur 25 Lebensjahren wieder den Löffel abgeben zu müssen ist wahrlich keine rosige Zukunftsaussicht. Wobei das ja alles relativ ist, wie wir ja in der Schule gelernt haben. Zwei Stunden sind bekanntlich nicht zwei Stunden. Zwei Stunden und zwei Stunden können etwas ganz Unterschiedliches sein. Zwei Stunden Wurzelbehandlung kommen einem subjektiv länger vor als zwei Stunden orgiastischer Sex mit seinem Traumpartner. Geben Sie mir recht? Oder müssen Sie jetzt erst einmal überlegen? Fehlen Ihnen da vielleicht die Erfahrungswerte? Na ja, es kann ja sein, dass Sie noch nie in Ihrem »Leben« eine Wurzelbehandlung erleben durften. Aber vielleicht ist dieses Beispiel auch etwas an den Haaren herbeigezogen. Eine Wurzelbehandlung dauert in der Regel keine zwei Stunden, es sei denn, der Zahnarzt führt diese zum ersten Mal in seiner Karriere durch oder er ist schwer betrunken. Und zwei Stunden orgiastischer Sex reduziert sich in der Praxis oft darauf, fünf Minuten gegen das Einschlafen zu kämpfen und dabei fernzusehen. Was nicht heißt, dass es zwei Stunden orgiastischen Sex nicht gibt. Den gibt es sehr wohl – im Internet, zum zuschauen.
Wir gehen also davon aus, dass der Neandertaler ein kurzes aber dafür ein furchtbar beschwerliches Leben geführt haben muss. Was aber möglicherweise so nicht stimmt. So hat der Neandertaler nur zwei Stunden am Tag für seinen Lebensunterhalt aufringen müssen. Fürs Jagen und Sammeln. Der Rest vom Tag war Freizeit. Die Neandertaler haben den Rest des Tages gegessen, was sie gejagt oder gesammelt haben, haben unter einem Baum geruht, sich die Sonne auf den Bauch scheinen lassen, sind schwimmen gegangen, haben die Wolken beobachtet, den Vögeln gelauscht, mit dem Nachwuchs gespielt, stundenlang ins Lagerfeuer gestarrt, sich mit legalen Drogen, wie Fliegenpilzsuppen, weggeschossen, gefickt wie die Karnickel und regelmäßig den Sexualpartner getauscht. Dabei haben sie aber niemals nach dem Sinn gefragt oder ihr Tun in Frage gestellt. Jetzt einmal ehrlich, klingt das nach einem beschwerlichen Leben? Oder kommt Ihnen das gar von irgendwo bekannt vor? Klingt das nicht ein wenig nach Ihrem letzten Cluburlaub? 25 Jahre »Magic Life, All inclusive« sollten eigentlich reichen. Das kann ein durchaus »gutes Leben« sein und dabei nicht wirklich zu kurz.
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