Die Story für ‚Zur Sache, Schätzchen’ nannte May Spils selbst eine der Wirklichkeit entnommene Geschichte aus dem damaligen Schwabinger Milieu in München 9, das unter anderem aus Gammlern, Trinkern, miniberockten Mädchen, maxiverkorksten Revoluzzern und mehr kleinen als großen Genies bestand. 10
In den 1960er Jahren entstand in München-Schwabing eine eigenständige – überregional beachtete – Kulturszene. Schwabing wurde auch ein beliebter Drehort des ‚Jungen Deutschen Films’ und es kam immer wieder vor, dass fast zeitgleich in den Straßen Schwabings Filmproduktionen realisiert wurden. Der ‚Englische Garten’ war ein beliebter Treffpunkt der Gammler und Hippies, die Schwabinger ‚Leopoldstraße’ entlang gab es zahlreiche Lokale, in denen sich Künstler, Schauspieler und Musiker trafen. Im damaligen Vergleich konnte sich München-Schwabing selbst mit Kulturmetropolen wie Paris, London oder Amsterdam messen. Gerade junge Filmemacher ließen sich von der Atmosphäre in Schwabing inspirieren und versuchten, das aufregende und zugleich entspannte Leben filmisch darzustellen. May Spils selbst beschrieb Schwabing – durchaus nicht unkritisch – als eine Welt
[…] deren Charme so viele junge Leute erliegen, ohne recht zu begreifen, dass hinter der dünnen Oberfläche dieses Zaubers nichts oder allenfalls der große Spiegel steht, in dem man plötzlich nur sich selbst gegenübersteht. Schwabing ist keine Philosophie mehr, sondern nur noch eine ganz reizvolle Durchgangsstation für junge Leute zwischen 17 und 30 Jahren. 11
Die Münchener ‚Leopoldstraße’ in den 1960er Jahren
Die Grundidee für ‚Zur Sache, Schätzchen’ lieferten ihr zwei Freunde, die späteren Darsteller Werner Enke und Henry van Lyck, die sie monatelang beobachtete, „junge Schauspieler, in ihren alltäglichen Gewohnheiten, stellte ihre spezifischen kleinen Eigenarten fest, achtete darauf, wie sie Mädchen nachsehen, sie ansprechen, sich ihnen gegenüber verhalten.“ 12Genauso wie die späteren Filmfiguren Martin und Henry lebten die beiden in den Tag hinein und hielten nicht viel vom Geldverdienen, doch
[…] bewahren sie sich im Rahmen dieses ‚Allgemeinguts’ spezifische individuelle Eigenarten, hat der eine oft ein bisschen mehr Vernunft als der andere, so dass sie sich merkwürdigerweise ganz gut ergänzen 13
so noch einmal May Spils.
May Spils führt Regie, mit Kameramann Klaus König, 1967
Trotz ihrer detaillierten Alltagsbeobachtungen hielt May Spils selbst den Film nicht für einen realistischen Film, da ihr die Situationen, in die sich die Hauptfigur Martin im Laufe der Filmhandlung begibt, viel zu absurd-grotesk erschienen; die Realität betrachtete sie nur als spielerische Ausgangsbasis für ihre skurrile Komödie – mit einem allerdings nachdenklich stimmendem Hintergrund. 14May Spils hatte nicht die Absicht, in ihre erste größere filmische Arbeit revolutionär-ideologische Vorstellungen im Sinne des ‚Oberhausener Manifests’ zu legen. Sie wollte nur kein ‚verstaubtes’ Kino im Sinne von ‚Papas Kino’ machen.
Das gelang ihr nicht zuletzt durch die Zusammenarbeit mit dem Produzenten des Films, mit Peter Schamoni. Dieser ermöglichte die letztendliche Finanzierung von ‚Zur Sache, Schätzchen’, indem er seinen finanziellen Betrag aus dem Bundesfilmpreis für den von ihm produzierten und von seinem Bruder Ulrich inszenierten Film ‚Alle Jahre wieder’ in die Finanzierung einbrachte. ‚Zur Sache, Schätzchen’ entstand ohne staatliche Projekt-Förderung, ohne Fernseh-Beteiligung und ohne eine Verleihgarantie, er entwickelte sich aber, von Peter Schamoni lediglich als lockere Sommerkomödie geplant, zum bis dahin größten Kassenerfolg des deutschen Films. 15
Werner Enke, May Spils und Uschi Glas
Der Inhalt
May Spils Spielfilmdebüt ‚Zur Sache, Schätzchen’ zeigt 24 Stunden aus dem Leben des Protagonisten Martin, einem jungen Werbe- und Schlagertexter, der in München lebt, im Stadtteil Schwabing. Martin beobachtet nachts von seiner Wohnung aus einen Einbruch auf der gegenüberliegenden Straßenseite, doch anstatt ihn der Polizei zu melden, legt er sich zum Schlafen hin.
Mittags wird er von seinem Freund Henry geweckt, 33 Jahre alt, einem wenig beschäftigten Schauspieler, gelegentlichem Synchronsprecher und zugleich ‚Agent’ von Martin, der sich um die ‚Vermarktung’ seiner Texte und Ideen kümmert. Auch Martins Freundin Anita erscheint kurz, um Martin mit einem Geschenk zum Geburtstag zu gratulieren. Es ist der 15. Juni, Martins 25. Geburtstag. Nach mehreren erfolglosen Versuchen seitens Henry, Martin endlich aus dem Bett zu holen, verlassen beide das Haus. Sie laufen durch das sommerliche München und gehen schließlich zur Polizei, um den von Martin beobachteten Einbruch der letzten Nacht zu melden.
Auf dem Polizeirevier nimmt Martin die Fragen der Polizisten nicht ernst, behauptet, er hätte den Reichstag angesteckt, und springt schließlich in einem unbeobachteten Moment aus dem Fenster, wodurch er selbst in Verdacht gerät, etwas mit dem Einbruchdiebstahl zu tun zu haben.
Henry und Martin gehen ins Schwimmbad, um sich vor der Polizei zu verstecken und um Schlagertexte für Victor Block, Inhaber der ‚Agentur Block – An- und Verkauf sämtlicher Ideen’, zu schreiben, die bis zum Nachmittag fertig sein sollen. Doch statt kreativ tätig zu sein, telefoniert Henry nur geschäftstüchtig aus einer Telefonzelle mit Block, und Martin beobachtet ein hübsches Mädchen, Barbara, das in einen Glassplitter tritt. Martin verarztet ihren Fuß und spielt ihr mit Umhängebart und Revolver einen verfolgten 72 Jahre alten Gangster vor. Barbara lässt sich amüsiert auf Martins pseudophilosophisches Alltagsgefasel ein und geht mit ihm im Schlepptau aufs Schwimmbecken zu. Dort versucht Henry sofort, sie anzubaggern und ‚glänzt’ mit einem imposanten Kopfsprung ins Wasser.
Barbara fährt nach dem Schwimmbad-Besuch Martin und Henry in ihrem weißen BMW-Cabrio nachhause, weil die Garderobenfrau Martins Hose verwechselt und er die Ersatzhose vor dem Eingang des Schwimmbades angezündet hat.
Als Martin, Barbara und Henry vor Martins Wohnung vorfahren, bemerken sie, wie zwei Polizisten das Haus betreten. Henry muss für Martin eine neue Hose aus der Wohnung holen und belauscht ein Gespräch zwischen der Hausmeisterin und den Polizisten, in dem die Frau eifrig von einem Revolver erzählt, den sie in Martins Zimmer gesehen hat.
Henry kommt aus dem Haus gerannt und brüllt: „Schnell weg hier. Es wird gefährlich!“ Leicht irritiert steuert Barbara ihren BMW durch München. Am Zoo halten sie an. Henry telefoniert Block einen Schlagertext durch, der Martin inzwischen auf der Fahrt nebenbei eingefallen ist. Martin bequatscht Barbara zu einem kleinen Zoobesuch: „Kommen Sie mit, ich schieß’ Ihnen n’ Nerz!“
Martin und Barbara spazieren durch den Zoo. An einem Freigehege holt Martin eine kleine Ziege über den Zaun und schenkt sie Barbara. Sie packen die Ziege in einen leeren Kinderwagen und fliehen vor dem Zoowärter und der Besitzerin des Kinderwagens zum Ausgang. Der ungeduldig wartende Henry leiht sich Barbaras BMW, um ‚wichtige geschäftliche Dinge’ zu erledigen. Martin begleitet Barbara nach Hause.
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