02
Pfeffer bahnte sich den Weg durch die dürren Äste der Büsche den kleinen Abhang hinunter und stieg dann die wacklige Aluminiumleiter hinab, die an der Betonmauer lehnte. Der pickelgesichtige uniformierte Kollege, der die Leiter unten hielt, begrüßte den Kriminalrat mit einem schiefen Lächeln.
»Einfach immer auf das Licht zu«, sagte er und deutete in das Dunkel der Kanalröhre. »Können Sie gar nicht verfehlen.«
»Danke.« Pfeffer ging vorsichtig auf die Öffnung zu, denn der Boden war rutschig von grünlichen Algen. Das dämmrige Dunkel des unterirdischen Bachbetts umfing ihn. Stimmen hallten durch den Tunnel. In nicht allzu weiter Ferne sah Pfeffer eine Gruppe Menschen in weißem Licht. Er hielt darauf zu. Vier Scheinwerfer hatten die Kollegen von der Spurensicherung aufgebaut. Das gleißende Licht tat in den Augen weh.
»Maxl«, begrüßte die Rechtsmedizinerin Dr. Gerda Pettenkofer den Kriminalrat und richtete sich stöhnend von dem Bündel auf, dem sie bislang ihre Aufmerksamkeit gewidmet hatte. Sie hatte ein gewaltiges Gewichtsproblem, das ihr nicht nur das Aufrichten schwer machte. Sie keuchte rasselnd und hustete, wie eine Kettenraucherin eben hustet. »Riskierst du mal wieder Ärger mit deiner Chefin?« Sie zog ihre Gummihandschuhe aus und ließ einen spielerisch in Richtung Pfeffer schnalzen.
Pfeffer verzog den Mundwinkel seiner alten Freundin Gerda zuliebe um Millimeter, für ein Lächeln reichte seine Laune nicht. Die Rechtsmedizinerin spielt darauf an, dass Max Pfeffers Vorgesetzte, Kriminaldirektorin Jutta Staubwasser, es gar nicht gerne sah, dass Pfeffer in seiner Position noch Recherchearbeit vor Ort machte. Als Kriminalrat sollte er sich auf Schreibtisch und Verwaltungsarbeit beschränken. Den Disput führten sie schon lange. Und ebenso lange schob Pfeffer den eklatanten Personalmangel vor, der ihn einfach auf die Straße zwingen würde. Alle wussten, dass das nur ein vorgeschobener Grund war. Pfeffer war einfach nicht für den Schreibtisch geboren.
Er warf einen Blick auf das Bündel. »Was muss ich wissen, Gerda?«
»Miese Laune?«
»Schlecht geschlafen.«
»Details?«
»Später. Sag mir jetzt bitte, was ich wissen muss.«
»Wie lange sie tot ist, kann ich dir noch nicht sagen.«
»Sie? Eine Frau?« Pfeffer sah genauer hin. Der Duschvorhang, in den die Leiche eingewickelt war, war nur ein wenig geöffnet. Mehr als den Kopf sah Pfeffer nicht. Dunkle Haarsträhnen klebten daran. Das Gesicht der Toten war aufgedunsen und beinahe weiß, schillerte ein wenig grüngelb.
»Ja, eindeutig eine Frau.« Die Rechtsmedizinerin bückte sich und zog eine Ecke des Duschvorhangs komplett beiseite. Die Tote war nackt. »So um die sechzig oder siebzig.«
Max Pfeffer zog den Reißverschluss seiner Lederjacke hoch. Die feuchte Kälte kroch in die Glieder.
»Dem ersten Anschein nach wurde sie erwürgt. Allerdings ist da noch eine Kopfverletzung«, sagte die Rechtsmedizinerin. »Sie weist zusätzlich am Körper noch weitere Hämatome auf. Dazu mehr, wenn ich sie auf meinem Arbeitstisch hatte. Der Täter hat die Frau also womöglich geschlagen und dann erwürgt. Danach die Leiche in den Duschvorhang gewickelt und irgendwie in den Bach befördert.«
»Das Wasser hat sie dann bis hierher mitgerissen«, sagte Annabella Scholz. Die Hauptkommissarin war leise zu ihrem Chef und der Pathologin hinzugetreten. »Der Täter hat zwar ein paar Backsteine zum Beschweren der Leiche mit in das Bündel gewickelt, aber bei der starken Strömung … Er wird die Leiche irgendwo da draußen in den Bach geworfen haben.« Sie deutete unbestimmt in Richtung Ausgang.
»Nein«, sagte Pfeffer leise.
»Wie nein?«
»Nein, er hat sie nicht da draußen in den Bach geworfen. Das geht nicht.«
»Klär mich auf, Chef. Weißt du was, was ich nicht weiß«, sagte Annabella Scholz mit pikiertem Unterton.
»Ich darf mal.« Max Pfeffer nahm einem Kollegen die Taschenlampe weg und trat aus dem gleißenden Licht der Spots. Er ließ den Lichtkegel der Lampe über die Wände an der rechten Seite wandern. Man konnte deutlich erkennen, wie hoch der durchschnittliche Wasserstand war. Bis über Hüfthöhe reichten die Algen. Darüber war der Beton trocken und blank. Pfeffer ließ das Licht ein wenig höher wandern. Annabella Scholz pfiff leise und Dr. Gerda Pettenkofer gab ein undefinierbares Glucksen von sich.
»Verstehe«, sagte die Hauptkommissarin. Sie trat näher an die Wand und klopfte gegen die Eisentür über ihr an der Wand. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um den Türgriff zu erreichen und rüttelte daran. Nichts tat sich.
»Und woher wusstest du das, Maxl?«, fragte die Rechtsmedizinerin.
»Bin hier aufgewachsen«, antwortete Pfeffer knapp. »Wenn jemand etwas so Großes in den offenen Bachlauf wirft, dann wird das von der automatischen Rechenanlage draußen gestoppt. Die soll nämlich genau so was verhindern. Dass Menschen in den unterirdischen Bachlauf geraten. Die kann keiner mehr retten. Einmal hatte sich eine Leiche darin verfangen. Ein Obdachloser, der vermutlich betrunken ins Wasser gefallen war. Lange her. Also muss jemand die Leiche hinter der Rechenanlage reingeworfen haben. Das könnte er theoretisch noch auf dem schmalen Streifen zwischen Rechenanlage und Haus machen. Aber da ist das Gelände unwegsam, steil und besonders dicht bewachsen. Aus besagten Gründen. Also bleibt ein logischer Schluss: Jemand hat die Tote über den Kellerzugang in den Bach geworfen. Du hast vermutlich recht, Bella, dass das Bündel trotz des Gewichts von der Strömung ein wenig mitgerissen wurde, bis es auf den Boden sank. Also bleiben uns die Zugänge von hier bis vorne zum Tunnelbeginn.«
Hauptkommissarin Scholz machte ein paar Schritte in Richtung Ausgang und kniff die Augen zusammen. »Vier oder fünf, würde ich sagen.«
»Vermutlich.« Pfeffer gab die Taschenlampe dem Kollegen zurück. »Wissen wir denn schon, wer die Tote ist?«
Annabella Scholz schüttelte den Kopf. »Sie ist nackt. Keine Papiere, keine auffälligen Merkmale.«
»Dann sollten wir uns mal mit den Lebenden oben beschäftigen. Vielleicht wird ja eine alte Dame vermisst. Wer hat eigentlich die Tote gefunden?«
Doktor Gerda Pettenkofer deutete mit dem Kopf in Richtung der zwei Männer in orangefarbener Arbeitskleidung.
»Bachauskehr«, sagte Pfeffer leise, »wie jeden April. Du hast ihre Aussagen, Bella?«
Die Hauptkommissarin nickte. »Mehr als die Tatsache, dass sie sie gefunden haben, konnten sie allerdings auch nicht beitragen.«
Max Pfeffer ging zu den beiden Männern, die aufmerksam die Arbeit der Spurensicherung beobachteten.
»Seit wann ist Bachauskehr?«, fragte er den Älteren. Doch bevor Rudi seinen Mund öffnen konnte, sagte Mo: »Mann, Mann, Mann, das ist eine Scheiße, Alter.«
»So kann mans auch nennen. Trotzdem meine Frage: Wann wurde das Wasser abgestellt?«
»Vorigen Mittwoch«, sagte Rudi.
»Gerda?«
»Bin hinter dir, Max.«
Pfeffer drehte sich um und runzelte die Stirn, als wäre ihm eben etwas eingefallen. »War die Leiche eigentlich nass? Lag sie eindeutig im Wasser?«
»Eindeutiger geht es nicht. Ich würde sogar sagen, dass sie längere Zeit im Wasser lag. Das Wasser ist so verdammt kalt, dass sich jedweder Verwesungsprozess stark verlangsamen muss. Selbst wenn das Wasser jetzt schon eine Woche nicht mehr kühlt, hier drunten ist es immer noch saukalt.«
»Gut, dann fällt meine Theorie, dass der Täter die Bachauskehr genutzt hat und trockenen Fußes reingekommen ist, um die Tote hier hinzulegen, flach.«
»Darf ich eine rauchen?«, fragte Mo und trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen.
»Gute Idee«, sagte Dr. Gerda Pettenkofer. Sie zückte ihre Zigaretten und einen kleinen Taschenaschenbecher. »Auch eine, Max?«
»Ja, aber lass uns rausgehen, wenn wir hier fertig sind. Brauchen wir die Zeugen noch, Bella? Nein. Okay. Dann können Sie gehen. Wir melden uns bei Ihnen, wenn wir noch Fragen haben. Danke.«
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