Jede wachsende Bewegung braucht gesunde Systeme zur Reproduktion, die besser sind als die Menschen, die von ihnen Gebrauch machen. Systeme wie diese sind nicht nur praktisch, einfach anzuwenden und fruchtbringend, sie haben auch eine wohltuende Wirkung auf ihre Nutzer. Diese wohltuende Kraft ist die Fähigkeit, Christus immer ähnlicher zu werden und Menschen zu erreichen, die fern von Gott sind.
Mini-Churches
In der Gemeinde, die wir vor Jahren in der Stadt Kaiserslautern (100.000 Einwohner) gegründet haben, begannen wir mit einer Mischform von „Triaden“4 zu experimentieren. Wir nannten sie Mini-Churches. Das Modell ist simpel und lässt sich ebenso leicht reproduzieren.
Wie es funktioniert? Zuerst lädt jemand zwei FAT-Christen (faithful, available, teachable – „treu, verfügbar, belehrbar“) in sein Haus ein, wobei die Gäste dasselbe Geschlecht haben sollten wie der Gastgeber. Der Gastgeber verkündet, dass er mit seinen beiden (FAT-)Freunden eine neue Mini-Church gründen möchte. Sie erklären sich voreinander verbindlich dazu bereit, sich zu einer Übung zu verpflichten, die der Autor Neil Cole „spirituelles Atmen“ nennt. „Einatmen“ bedeutet, das Wort Gottes, das Sauerstoff für die Seele ist, aufzunehmen.
Alle Teilnehmer versprechen, jeden Tag jeweils dasselbe Kapitel aus Gottes Wort zu lesen. Die Bibellese kann aus aufeinander folgenden Kapiteln bestehen (z. B. am Montag Johannes Kapitel eins; am Dienstag Johannes Kapitel zwei usw.). Oder die Teilnehmer können eine ganze Woche lang jeden Tag dasselbe Kapitel lesen (z. B. eine Woche lang täglich Psalm 23).
Die Teilnehmer kommen jede Woche zusammen, um sich darüber auszutauschen, wie Gott durch die Bibellese zu ihnen gesprochen hat. Dann atmen sie aus, legen voreinander Rechenschaft ab und erzählen sich gegenseitig, wie sie in der vergangenen Woche gelebt haben. Anregungen für die Fragen, die sich jede Woche wiederholen, könnten sein: 1) Wo wurdest du letzte Woche in Versuchung geführt und wie hast du auf diese Versuchung reagiert? 2) Hast du der Zeit mit deiner Familie (oder deinen engsten Freunden) Priorität eingeräumt? 3) Wurdest du auf jemanden wütend und bist es noch immer? 4) Hast du jemandem unbemerkt im Verborgenen gedient?
Geistliche Veränderungsprozesse geschehen selten, solange wir über das christliche Leben im Konjunktiv sprechen: so müsstest du leben, so solltest du leben. Vielmehr findet Verwandlung statt, wenn drei Dinge zusammenkommen: Nähe, Offenheit und gegenseitige Rechenschaft. Unter Rechenschaft versteht man, vor jemandem zu bekennen, wie man in der letzten Woche gelebt hat (beachte die Vergangenheitsform).
Es ist wichtig, dass Mini-Churches nach Geschlechtern getrennt sind. Durch eine Durchmischung der Geschlechter, die in vielen Kleingruppen vorkommt, bleiben die Teilnehmer eher reserviert. Kaum ein Mann wird offen über seinen Hang zur Pornographie sprechen, wenn eine Frau anwesend ist. Wenn aber Männer mit anderen Männern zusammenkommen, ist der Schamfaktor gemildert. Dasselbe gilt für Frauen.
Wenn die beiden anderen FAT-Christen zustimmen, die Mini-Church ins Leben zu rufen, gibt der Gastgeber jedem eine kleine Portion Joghurt zu essen und bittet die beiden Christen, Parallelen zwischen dem Joghurt und ihrer Mini-Church herzustellen:
„Schmeckt nahrhaft. Unsere neue Gruppe verspricht, kraftspendend zu sein.“
„Der Joghurt enthält lebende Organismen. Unsere Mini-Church wird auch lebendig sein.“
Nachdem wir die lebensverändernde Kraft unserer Mini-Church erfahren haben, wollen wir eine vierte Person in unsere Gruppe einladen. Diese Person soll einer oder eine von unseren Freunden sein, die noch keine Christen sind. Wir werden sie einladen, dasselbe zu tun, wie wir, aber zunächst nur für zwei Wochen. Dieser Freund oder diese Freundin, die noch nicht Christ ist, zögert vielleicht, weil er oder sie noch keine Ahnung hat, was eine Teilnahme genau bedeuten würde. Die zwei Wochen verschaffen der Person genug Zeit, um das auszuprobieren und dann zu entscheiden, ob sie bleiben oder gehen will.
Auf diese Weise gebt ihr dem Suchenden genügend Zeit, die Gnade Gottes zu erleben. Zugleich hat er die Möglichkeit für einen bequemen Ausstieg, bei dem er sein Gesicht wahren kann, falls er sich entschließen sollte, die Suche abzubrechen. Die Gruppen sind dazu gedacht, dass Nichtchristen zum Glauben an Christus kommen und in den Mini-Churches weitere lebensverändernde Schritte tun können. Am Ende der vier Monate gehen die vier Mitglieder der Mini-Church zum Essen in ein örtliches Restaurant aus und teilen sich danach in zwei Zweiergruppen auf. Jede dieser Gruppen lädt noch einen weiteren FAT-Christen in die neu formierte Mini-Church ein und der Prozess beginnt von vorn.
Was sind nun die charakteristischen Merkmale eines reproduzierbaren Systems, wie es hier durch die Mini-Churches veranschaulicht wird? Erstens ist das Format einfach zu verstehen und anzuwenden. Geistliches Atmen, eine noch nicht glaubende Person in die Gruppe einladen, Einhalten einer zeitlichen Frist und Multiplikation – das sind leicht verständliche Prinzipien, die bei bewusster Vorgabe auch leicht umzusetzen sind. Zweitens, reproduzierbare Systeme sind nicht von bestimmten Geistesgaben abhängig. Jeder, der ein hingegebener, lernwilliger Christ ist und etwas Zeit erübrigen kann (FAT), ist in der Lage, sie anzuwenden. Drittens dienen sie zur Multiplikation. Dass sie sich vermehren, gehört zu der DNA reproduzierbarer Systeme. Viertens basieren diese Systeme nicht auf Leiterschaft. Sie können auch von Menschen angewendet und immer wieder durchgeführt werden, die keine Leitungsbegabung besitzen. Fünftens: Mini-Kirchen machen sowohl diejenigen zu Jüngern, die sich noch vor dem Schritt der Bekehrung befinden, als auch diejenigen, die Jesus bereits innerhalb dieses reproduzierbaren Systems nachfolgen. Das Schöne an dieser Art, Menschen in Jüngerschaft zu führen, ist, dass keine Leitung gebraucht wird. Die Methode ist zudem nicht von Begabungen abhängig, damit sie funktioniert. Das ist äußerst bedeutsam, denn in einer durchschnittlichen evangelikalen Gemeinde haben nur etwa zehn Prozent der Menschen die Gabe der Evangelisation. Doch was bedeutet das für die anderen neunzig Prozent, die die Gabe nicht haben, aber dennoch aufgerufen sind, den Missionsbefehl zu erfüllen? Das Format der Mini-Kirchen dient an dieser Stelle als eine geistliche Disziplin, die den Auftrag, Menschen zu Jüngern zu machen und zu evangelisieren, in sich vereint.
Lektionen aus der Geschichte
Die Kirchengeschichte führt uns die Wirkung von Systemen im Vergleich zum Einfluss von Begabungen auf dramatische Weise vor Augen. In der westlichen Welt des achtzehnten Jahrhunderts gab es zwei herausragende Persönlichkeiten: George Whitefield und John Wesley. Whitefield war ein so mächtiger Redner, dass David Garrick, ein beliebter Bühnendarsteller und Zeitgenosse Whitefields, einmal von ihm sagte: „Whitefield konnte sein Publikum zum Weinen oder Zittern bringen, wenn er nur die Betonung des Wortes Mesopotamien veränderte.“5 Er war ein bemerkenswerter Evangelist, der unter freiem Himmel ohne Lautsprecheranlage zu mehr als fünfundzwanzigtausend Menschen auf einmal sprach. Viele Menschen hörten ihn gerne reden, darunter auch einer seiner größten Bewunderer, Benjamin Franklin.
Zur gleichen Zeit, als in Nordamerika Zehntausende ihr Leben Christus hingaben, leitete John Wesley eine Bewegung, die die britische Gesellschaft für die nächsten einhundert Jahre verändern sollte. Nachdem ihm das Predigen in den anglikanischen Kathedralen untersagt worden war, blieb Wesley zwangsläufig nur das freie Feld. Er predigte nicht nur vollmächtig und mit großer Wirkung – im Durchschnitt viermal täglich, solange er lebte – sondern rief auch Zusammenkünfte sogenannter Klassen ins Leben, die das Leben der Anwesenden nachhaltig beeinflussten.
Читать дальше