»Im Internet, ja. Schau nach!«
Einige Zeit später kam der Anruf mit der gewünschten Auskunft: »Der Teufel sitzt auf einer Art Stein und wirkt ganz und gar nicht bedrohlich, obwohl er recht grimmig dreinschaut. Er hat Hörner, ist behaart. Irgendwie erinnert er mich an Herbert.«
»Frühauf hat keine Hörner und nichts Dämonisches«, verteidigte Marie den gemeinsamen Freund.
»Dieser Teufel auch nicht. Bemerkenswert ist allerdings … Warte einen Augenblick, ich muss zum Herd schauen. Damit die Knödel nicht aufgehen.«
Ein billiger Trick von Rosa, um ihren Recherchen Spannung zu verleihen. Billig und leicht zu durchschauen. Marie würde sich revanchieren.
»So, jetzt bin ich zurück«, meldete sich die Schwester.
»Du entschuldigst mich einen Augenblick. Die Trafik ist voller Leute. Ich ruf dich zurück, sobald es geht.«
Kein Mensch war im Geschäft. Um die Zeit zu überbrücken, nahm sich Marie eine Ausgabe der Tagespost vor und blätterte sie durch, dann tippte sie die Nummer ihres Hauses in die Tastatur des Telefons.
»Du findest etwas bemerkenswert auf der Karte.«
»So, habe ich das gesagt?«
Marie schwieg. Sie wollte ihrer Schwester keine Chance geben, das Hinhaltespiel fortzusetzen.
»Bist du noch dran?«
»Ja. Ich warte auf das Bemerkenswerte.«
»Also, vor dem Teufel, an den Stein angekettet, stehen ein Mann und eine Frau. Nackt.«
»Und der Zwiespalt?«
»Ich habe nichts von einem Zwiespalt gesagt.«
»Du hast Recht. Das war die Souffleuse.«
»Was könnte sie damit gemeint haben?«
»Das musst du sie selbst fragen.«
»Denk nach, Rosa!«
»Zwiespalt zwischen Mensch und Tier, vielleicht. Der Teufel hat Hörner, einen Schwanz, ist stark behaart. Seine Zehen sind eigentlich Klauen.«
»Und die Nackten?«
»Sie haben auch Schwänze.«
»Du meinst den Mann.«
»Auch die Frau.«
»Das versteh ich nicht.«
»Schwänze wie ein Hund, ein Pferd, die vom verlängerten Rücken ausgehen.«
»Ach so.«
»Ganz was anderes. Ich habe Papa eingeladen. Er liebt Marillenknödel. Und er hat Neuigkeiten.«
»Inwiefern.«
»Er hat eine Verabredung mit Herberts Mutter.«
»Nein!«
»Doch. Zwischen den beiden läuft etwas.«
Der braune Großpudel, der Marie Weichsler überschwänglich begrüßte, als sie von der Garage in den Flur des Hauses trat, das sie mit ihrer Schwester bewohnte, hieß Herbert, wie der Chefinspektor.
Marie kraulte sein gelocktes Haar und gab ihm einen Kuss auf die lange, schlanke Schnauze, dann betrat sie die geräumige Küche, in der es nach gerösteten Semmelbröseln duftete, grüßte ihren Vater und die Schwester und nahm Platz am Esstisch.
»So kann nie etwas daraus werden«, setzte ihr Vater das Gespräch mit Rosa fort. »Und die Jüngsten seid ihr auch nicht mehr.«
»Sechsundvierzig«, sagte Marie.
»Wir sind zufrieden, wie es ist«, verteidigte sich Rosa vom Herd her.
»Womit sind wir zufrieden?«, erkundigte sich Marie.
»Mit Herbert.«
»Er ist ganz reizend. Sauber, folgsam und kuschelig.«
»Du meinst den Hund«, brummte der Vater. »Ich spreche von eurer merkwürdigen Beziehung zu Lilys Sohn.«
»Ach, du sprichst vom Chefinspektor.«
»Jawohl, das tue ich. Ihr müsst endlich dieses perverse Spiel aufgeben, das ihr mit ihm treibt. Entscheidet euch, welche ihn am meisten liebt, oder gebt euch als Zwillinge zu erkennen und liebt ihn beide. So aber blockiert ihr alles.«
»Was immer du unter alles verstehst, Papa«, sagte Rosa.
»Und bei dir und deiner Lily ist nichts blockiert?«, fragte Marie.
»Jetzt habt ihr euch wieder verbündet. Zwei gegen einen.«
»Du tust uns wirklich leid. Wie viel?«
»Was heißt das schon wieder?«
»Wie viele Knödel möchtest du?«
»Sie sind ja ziemlich klein.«
»Also acht.«
»Wenn genug für euch übrigbleibt.«
Das Verkosten der saftigen Marillenknödel ließ die Tischgesellschaft verstummen. Erst als sich allmählich Sättigung einstellte, fand Roman Weichsler zum Ausgangsthema zurück: »Man muss in einer Beziehung, die einem wichtig ist, alles auf eine Karte setzen.«
»Und das tust du mit Herberts Mutter.«
»Sie ist noch sehr attraktiv. Eigentlich. Und ich bin auch noch ganz gut in Form.«
Die beiden Töchter schwiegen.
»Oder nicht?«, fragte Vater Weichsler.
»Doch, doch.«
»Eigentlich schon.«
»Sie kommt heute Abend zu mir.«
»Ach.«
»Oh.«
»Ja.«
»Viel Spaß.«
»Hoffentlich.«
»Und die Karte?«
»Welche Karte?«, fragte Papa Weichsler verwirrt.
»Du sagtest, dass man alles auf eine Karte setzen soll.«
»Das ist eine Redensart.«
Teufelskarte, dachten Rosa und Marie und ließen Pudel Herbert ihre Teller leerschlecken.
»Ich weiß nicht, was Trude und ich bei euch falsch gemacht haben. Warum lebt ihr nicht wie andere Menschen?«, raunzte der alte Weichsler.
»Willst du noch einen Knödel?«
»Ja.«
»Dann sei ruhig!«
»Hast du ihr unser Geheimnis verraten?«, fragte Rosa ihren Vater.
»Ich, wieso?«
»Herberts Mutter weiß, dass es zwei von uns gibt.«
»Sie hatte einen Verdacht, und ich fand es kindisch …«
»Du hast geplaudert. Also, so etwas! Dabei hast du uns versprochen …«
»Sie hat mir versichert, ihrem Sohn nichts zu verraten. Und eines Tages wird die Sache ohnehin auffliegen. Er braucht doch nur im Meldeamt nachzufragen. Der Mann ist ja nicht dumm.«
Darauf schwiegen die Zwillingsschwestern.
»Wie auch immer«, meinte der Vater. »Ich lege mich in die Sonne.«
»Tu das! Damit du Liliane mit sportlichem Teint beeindruckst.«
»Ich rufe Herbert an. Wir sollten ihn am Nachmittag bei den Ermittlungen begleiten.«
»Wir?«, fragte Rosa.
»Ich, als die Erstgeborene«, stellte Marie klar. »Und du erkundigst dich bei Monika Hauser in der Trafik, was die Krisensitzung der Theaterleute gebracht hat.«
»In Ordnung. Du bist die Ältere.«
»Willst du mich beleidigen?«
Die Besprechung der Schauspieler war offenbar noch im Gange. Jedenfalls war noch keiner von ihnen in die Trafik gekommen, der Chefinspektor wollte seine Rosmarie gegen vierzehn Uhr abholen, Rosa Weichsler verließ den Garten mit Pudel Herbert durch den Hinterausgang und wanderte den Pfad am Fluss entlang zum Münichholzer Wald, als sich Monika Hauser über das Handy meldete.
»Sie spielen weiter. Ohne Lou Marold und Roger Foltin«, berichtete die Vertretung aus der Trafik.
»Das heißt, dass die Steiner und der Ursprunger die Hauptrollen übernehmen. Wer hat dir das erzählt?«
»Die Kleine.«
»Die Souffleuse?«
Monika Hauser bestätigte das.
Die Gedanken, die anfangs durcheinander wirbelten, setzten sich allmählich. Im Wald war es an diesem heißen Augusttag einigermaßen kühl, Herbert trabte brav die Wege entlang. Er war so gut erzogen, dass er frei laufen konnte, ohne Hasen, Rehe, Jogger oder Radfahrer zu verfolgen. Auch an anderen Hunden zeigte er nur mäßiges Interesse. Ihm waren nur seine beiden Herrinnen wichtig, die sich nie sicher waren, ob er sie auseinanderhalten konnte.
Dem Vater war das nie gelungen. Er war es, der den Namen Rosmarie erfunden hatte. Die früh verstorbene Mutter hatte nie Probleme gehabt, zwischen den beiden Mädchen zu unterscheiden.
Also, überlegte Rosa Weichsler, der Ermordete war ein unsympathischer Mensch gewesen, den niemand wirklich vermisste, außer seiner Familie vielleicht. Er hatte die langjährigen Hauptdarsteller kurzerhand in die zweite Reihe verbannt und zwei wirkliche Stars engagiert. Ein Umstand, der auf Geschick und Durchsetzungskraft schließen ließ. Und jetzt verließen die beiden Großen der Schauspielzunft die Stadt, und Steiner und Ursprunger übernahmen die Rollen. Die Darstellerin des Teufels hatte schon einmal etwas in die Getränke der Tischgesellschaft gemischt. Und die Souffleuse hatte von einer Teufelskarte gesprochen. Und von einem Zwiespalt. Was meinte sie damit? Oder wollte sie sich bloß wichtigmachen?
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