Lust und Pflicht sind Phänomene, die das Wesen des Menschen unmittelbar prägen. Sie haben von den Anfängen der Literatur und Philosophie bis in die Gegenwart unterschiedliche Ausdeutungen und Bewertungen erfahren, die nachzuzeichnen das Anliegen dieses Buches ist.
Der Mensch entwickelt schon früh ein instinktives Luststreben und in der Regel auch ein deutliches Pflichtgefühl. Beide Begriffe – Lust und Pflicht – sind zuerst in der griechischen Philosophie reflektiert, bewertet und systematisch untersucht worden. Platon und Aristoteles diskutieren sie als Ziele im Sinne eines gelungenen Lebens, und die hellenistischen Philosophenschulen fassen Lust und Pflicht als polemischen und systematischen Gegensatz. Hellmut Flashar analysiert den Deutungsprozess, dem die Begriffe Lust und Pflicht seit ihrer Entstehung in der griechischen Antike unterliegen und zeichnet seine Entwicklung über das frühe Christentum, die Renaissance und die Interventionen Kants und Freuds bis in die Gegenwart nach.
Hellmut Flashar, 1929 in Hamburg geboren, ist emeritierter Professor für Klassische Philologie.
LUST UND PFLICHT
PASSAGEN PHILOSOPHIE
Hellmut Flashar
Lust und Pflicht
Wege zum geglückten Leben
Deutsche Erstausgabe
Dieses Buch wurde ermöglicht durch die freundliche Unterstützung der Passagen Freunde – Förderkreis des Passagen Verlags.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de/abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-7092-0352-1
eISBN (EPUB) 978-3-7092-5029-7
© 2019 by Passagen Verlag Ges. m. b. H.
Wien Grafisches Konzept: Ecke Bonk
Satz: Passagen Verlag Ges. m. b. H., Wien
http://www.passagen.at
Vorwort Vorwort Für die hier vorliegende Studie habe ich von mehreren Seiten Hilfe und Unterstützung erfahren. Zu danken habe ich vor allem Christiane Zimmermann (für das Kapitel „Lust und Pflicht bei den Römern“) und Bettina Full (für das Kapitel „Lust und Pflicht im frühen Christentum“). Für technische Hilfe und die präzise Herstellung des Typoskriptes danke ich erneut Carola Budnj. Dem Passagen-Verlag und seiner Lektorin Sophie Emilia Seidler bin ich für die gute und zuverlässige Zusammenarbeit dankbar. Diese Studie ist einem Freund gewidmet, der Lust und Pflicht zu verbinden weiß.
Widmung Andreas Patzer gewidmet
Lust und Pflicht Lust und Pflicht Lust und Pflicht sind urhumane Grundphänomene. Alle Menschen, ja sogar fast alle Lebewesen, haben ein instinktives Lustgefühl, streben nach Lust, erfahren Lust durch alle Sinne. Selbst wenn man von Lustlosigkeit spricht, steht die Lust als Beziehungsgröße im Hintergrund. Der Begriff Pflicht ist komplizierter, aber doch auch dem Menschen als Urphänomen gegeben. Pflicht äußert sich in der Sorge für nahestehende Menschen, im religiös-sakralen Bereich, in der Wahrnehmung politischer Ämter, in Verpflichtungen, die ein Mensch in der Erfüllung eines Eides eingeht, im öffentlichen Bereich, im Beruf. Die Begriffe Lust und Pflicht sind zum ersten Mal in der griechischen Philosophie reflektiert und diskutiert, aber nicht gleichzeitig, sondern in deutlicher Phasenverschiebung, zuerst die Lust und erst sehr viel später die Pflicht. Das hängt auch damit zusammen, dass die griechische Sprache schon früher über ein Wort für „Lust“ verfügt (ἡδονή), nicht aber für Pflicht, für die es keine klare Begrifflichkeit gibt. Auch hat die Lust einen Gegenbegriff, den „Schmerz“ (λύπη), nicht aber die „Pflicht“, deren Gegensatz nur als „Pflichtvergessenheit“ bezeichnet werden kann. 1
Erfahrungen von Lust. Erste Lust- und Pflichtkonzepte
Lust und Pflicht in der hellenistischen Philosophie
Epikurs Lehre von der Lust
Die Stoa auf dem Wege zur Pflicht
Lust und Pflicht bei den Römern
Lust und Pflicht im frühen Christentum
Lust und Pflicht in Renaissance und Humanismus
„Pflicht – du erhabener und großer Name“
Neue Lustkonzepte
Anmerkungen
Literaturhinweise
Personenregister
Ortsregister
Für die hier vorliegende Studie habe ich von mehreren Seiten Hilfe und Unterstützung erfahren. Zu danken habe ich vor allem Christiane Zimmermann (für das Kapitel „Lust und Pflicht bei den Römern“) und Bettina Full (für das Kapitel „Lust und Pflicht im frühen Christentum“).
Für technische Hilfe und die präzise Herstellung des Typoskriptes danke ich erneut Carola Budnj.
Dem Passagen-Verlag und seiner Lektorin Sophie Emilia Seidler bin ich für die gute und zuverlässige Zusammenarbeit dankbar.
Diese Studie ist einem Freund gewidmet, der Lust und Pflicht zu verbinden weiß.
Andreas Patzer gewidmet
Lust und Pflicht sind urhumane Grundphänomene. Alle Menschen, ja sogar fast alle Lebewesen, haben ein instinktives Lustgefühl, streben nach Lust, erfahren Lust durch alle Sinne. Selbst wenn man von Lustlosigkeit spricht, steht die Lust als Beziehungsgröße im Hintergrund.
Der Begriff Pflicht ist komplizierter, aber doch auch dem Menschen als Urphänomen gegeben. Pflicht äußert sich in der Sorge für nahestehende Menschen, im religiös-sakralen Bereich, in der Wahrnehmung politischer Ämter, in Verpflichtungen, die ein Mensch in der Erfüllung eines Eides eingeht, im öffentlichen Bereich, im Beruf.
Die Begriffe Lust und Pflicht sind zum ersten Mal in der griechischen Philosophie reflektiert und diskutiert, aber nicht gleichzeitig, sondern in deutlicher Phasenverschiebung, zuerst die Lust und erst sehr viel später die Pflicht. Das hängt auch damit zusammen, dass die griechische Sprache schon früher über ein Wort für „Lust“ verfügt (ἡδονή), nicht aber für Pflicht, für die es keine klare Begrifflichkeit gibt. Auch hat die Lust einen Gegenbegriff, den „Schmerz“ (λύπη), nicht aber die „Pflicht“, deren Gegensatz nur als „Pflichtvergessenheit“ bezeichnet werden kann. 1
Erfahrungen von Lust.
Erste Lust- und Pflichtkonzepte
Lust
Im alten Epos kommt das Substantiv ἡδονή („Lust“) noch nicht vor. Das hängt nicht nur damit zusammen, dass dieses Wort schwer in den epischen Hexameter passt, sondern findet darin seine Erklärung, dass Lust zunächst durch das im homerischen Epos mehrfach belegte Adjektiv (ἡδύ, „Lustvolles“) in der jeweils konkreten Erscheinungsform erfahren wird. Und da ist die ursprüngliche Bedeutung eine angenehme, süße Empfindung. So wird Wein als ἡδύζ, hier also „süß“ oder „lieblich“ empfunden ( Odyssee 9, 253), ebenso eine Mahlzeit im Ganzen ( Odyssee 21, 391) und ein „süßer Schlaf“ ( Ilias 14, 242). Später ist ἥδυσμα ein Terminus für eine bestimmte Sauce, die einem Gericht als Würze beigegeben werden kann (Aristophanes, Ritter 678). Auch ein herzhaftes Lachen wird im homerischen Epos mit dem gleichen Adjektiv ausgedrückt ( Ilias 2, 270), wie auch der alte Nestor beschrieben wird als einer der „süß redet“ (ἡδυεπήζ, Ilias 1, 245), „dem von der Zunge die Rede süßer als Honig fließt“ ( Ilias 1, 249). Gemeint ist wohl eine Rede, die sich als etwas Angenehmes gleichsam bei ihrem Publikum einschmeichelt.
Mit dem Aufkommen des Substantivs „Lust“ (ἡδονή) wird die Einzelerfahrung gebündelt und zu einer festen Haltung geformt. Das griechische Wort Hedone (ἡδονή) ist etwas weiter gefasst als die deutsche Übersetzung „Lust“, indem es auch „Freude“ oder „angenehme Empfindung“ ausdrücken kann. 2Der erste Beleg dafür findet sich in einem kurzen Fragment (54, 117) eines Gedichtes von Simonides (556–456) und lautet:
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