Ja, so würde es sein, sagte sich Claus und seine Schritte in den Holzklotschen wurden schneller.
Als er bei der Amtsvogtei angekommen war, fiel ihm ein, dass der Amtsvogt schon seit Wochen im Auftrag des Herrn Drosten Prott bei Magdeburg Amtsgeschäfte wahrnahm, und der Herr Oberförster ihn vertrat. So drehte er ab und ging zu des Oberförsters Jordan Haus. Er nahm seine Mütze vom Kopf und klopfte an der schlichten, aber massiven hölzernen Tür. Als ihm diese durch den Oberförster persönlich aufgetan wurde, nahm er allen Mut zusammen, holte tief Luft und bat ihn etwas sehr Wichtiges vortragen zu dürfen.
Sie setzten sich auf die hölzerne Bank vorm Haus, und Claus trug sein Anliegen vor. Johann Jordan hörte ihm geduldig zu. Dann überlegte er einen Augenblick und riet ihm, von seinem Vorhaben dringend abzulassen.
Was der Oberförster jedoch nicht sagte, war, dass er fürchtete, der alte angesehene Mühlenpächter, der Dorotheas Vater war, würde ihm auf das Dach steigen.
Dieser hatte viele Freunde und war sehr angesehen, wobei er nicht wenig Geld hatte und der Oberförster manche Geschäfte mit ihm machte.
Claus aber wollte nicht auf ihn hören, denn die vielen Jahre hatte er die Verdächtigungen und die Schande, die Schmähungen, angeblich in einem Hexenhaus zu wohnen, ertragen müssen. Sein Seelenleben litt sehr darunter. Jetzt sah er die Möglichkeit, die ungeliebte Nachbarin, die er nun für alles verantwortlich machen konnte, als Denunziantin überführen zu können.
Der Oberförster Johann Jordan bemerkte, dass sein ganzes Reden bei Claus Meinken kein Gehör fand. Zwar wusste Jordan auch, dass die Meisten in der Vogtei das Dorf Westeresch als Hexenort bezeichneten, war aber selbst der Meinung, die Leute sollten sich lieber um die eigenen Sachen kümmern, als solch einen Unsinn zu erzählen.
Er war als reitender Förster meist im Wald unterwegs und ihm waren dort noch keine Geister oder Hexen begegnet, wenn es ihm auch mal unheimlich vorkam und er sich nicht alles erklären konnte. Sollte es sie doch geben, hätte er sie schon mit seiner Flinte erlegt, denn er hielt sich für einen guten Schützen.
Da er aber den Herrn Amtsvogt vertrat, musste er seiner Amtspflicht nachkommen. Er ging mit Claus ins Haus, holte einen Bogen Papier hervor und legte ihn auf den Tisch aus Eichenholz. Dann nahm er sein tönernes Tinten-fass und eine Schreibfeder, die er noch einmal prüfend ansah, bevor er anfing, ein Protokoll aufzunehmen.
Er schrieb das Jahr 1662 auf das Blatt und ahnte nicht, dass sich nun ein fast zwei Jahre währender Prozess daraus entwickeln sollte und er dadurch sogar der Nachfolger des jetzigen Amtsvogts werden würde.
Claus formulierte seine Klage gegen seine Nachbarin Dorothea Holsten sowie gegen die Zuträgerin Trine Meinken und dachte, dass er damit seine Tochter Gretge, aber auch seine Ehefrau Mette von den Vorwürfen der Hexerei durch einen Gerichtsspruch freisprechen lassen könne, was er dem Oberförster mehrfach sagte.
Der Oberförster war bei der Niederschrift selbst sehr nervös, denn es war seine erste Klageschrift, die er wegen Hexerei aufnahm, und er fragte sich, was wohl der Amt-mann Peter Pabst in Rotenburg dazu sagen würde.
Dass er sich dabei verschrieb und Westervesede statt Westeresch zu Papier brachte, bemerkte er gar nicht. Er fertigte noch eine Kopie der Klageschrift und gab sie Claus Meinken in die Hand.
Claus verließ zufrieden das Haus des Oberförsters Johann Jordan und ging erleichtert und frohen Mutes nach Hause. Dass er nun viele Stunden für die Feldarbeit verloren hatte, war ihm egal.
Nachdem Claus Meinken gegangen war, sah der Oberförster noch lange sehr nachdenklich aus dem kleinen Fenster seines Hauses.
Einige Tage später fertigte er von den Unterlagen Kopien an, faltete sie zusammen und sandte Marten Böschen, den Knecht des Untervogts als Boten mit den Originalen sowie anderen Akten zum Amtmann nach Rotenburg, wie er es immer machte.
Die Geschichte nahm nun ihren bürokratischen Lauf und war nicht mehr aufzuhalten.
VIII
Am nächsten Tag lag dem Rotenburger Amtmann das Schreiben des Oberförsters vor und er rief seinen ersten Amtsschreiber zu sich, er solle dem Oberförster Johann Jordan eine Antwort zusenden.
Er diktierte einen Brief, indem er Jordan aufforderte, sich der Sache anzunehmen, dennoch behutsam und mit Bedacht vorzugehen. Er möge Befragungen und erste Vernehmungen durchführen und diese ihm mit einer eigenen Einschätzung zum Fall binnen vier Wochen nach Eingang vorlegen.
So handelte Johann Jordan, wie es ihm aufgetragen wurde. Er hörte Dorothea Holsten und ihren Ehemann, dann Claus’ Nichte Trine Meinken, schrieb darüber Protokoll und fertigte von jedem Schriftstück eine Kopie.
Weiterhin ging er allen Fällen nach, bei denen Tiere oder Menschen auf unerklärliche Weise zu Tode kamen. Der Scheeßeler Müller wollte auch gehört werden, wie viele andere auch, die von den Ermittlungen erfahren hatten und meinten, etwas Wichtiges dazu sagen zu können.
So zogen sich die Ermittlungen ein ganzes Jahr hin. Die Schreiben wurden jedes Mal durch den Vogteiboten nach Rotenburg getragen.
Jordan bemerkte dabei gar nicht, dass er eigentlich Material sammelte, welches gegen die Familie von Claus Meinken gerichtet war und nicht gegen dessen Nachbarin.
In dieser ihm unbewussten Voreingenommenheit fuhr er fort. Seine Aufgabe als Oberförster hatte der hiesige Holz-vogt Köster mit übernehmen müssen, denn je länger die Untersuchungen dauerten, desto unruhiger wurde es im Kirchspiel und es nährte weitere Gerüchte unter den Menschen. Aber davon bemerkte Johann Jordan nichts oder wollte es nicht bemerken. Er war sich sicher, nunmehr eine sehr wichtige Aufgabe auszuführen und würde dem Amtmann zur Genüge in Treue dienen.
Nach über einem Jahr kam er zu einem Schluss, aber nur, weil der Amtmann mehrfach eine Antwort anmahnte und Johann Jordan nicht in Ungnade fallen wollte. Er schrieb dem Amtmann seine Einschätzung des Falles, die der Amtsschreiber in die Akte Nummer 1 ablegte.
Jordan befürwortete eine gerichtliche Untersuchung und empfahl, von einer einfachen Buße abzusehen. Dass er sich damit aus der Verantwortung stahl, war ihm bewusst.
Die Kosten der Untersuchungen waren schon beträchtlich angestiegen, sodass der Amtmann der Empfehlung folgte, um das Geld wieder in die Amtskasse zurückfließen zu lassen.
Weiterhin war ihm bewusst, dass es in der Vogtei um die Stimmungslage nicht sehr gut bestellt war und so ein Prozess ein geeignetes Ventil darstellte.
Also wies er den Oberförster an, Meinken seine Klage-erhebung vorlegen zu lassen.
Nach weit über einem Jahr konnte Claus endlich seine Klageerhebung am 5. Oktober 1663 beim Amt einreichen.
Er war nun heil froh, dass man seine Klage gegen die verhasste Nachbarin zugelassen hatte. Er ahnte nicht, dass sich das Blatt gegen ihn wenden würde.
Die Klageerhebung sollte das Todesurteil für drei Menschen einläuten.
IX
Das letzte Jahr war für alle im Dorf noch schwerer geworden, weil die Feindseligkeiten nunmehr offen ausge-tragen wurden. Es kam nicht mehr nur zu Beschimpf-ungen, sondern auch zu Tätlichkeiten untereinander. Claus und Mette aber hatten wieder Mut gefasst und begannen, sich zu wehren.
Gretge war von den Eltern während der ganzen Zeit in eine andere Stellung als Dienstmagd nach Hamburg gegeben worden, damit sie aus dem Dorf und von der Herrschaft in Buxtehude weit weg war.
Es wird dem Mädchen richtig gut tun, lobte er sich selbst und fühlte sich wieder als Vater, der sich um seine Familie kümmerte.
Seiner Frau Mette war zwar nicht recht wohl dabei, aber dass ihr Ehemann Claus sich um die Familie kümmerte und nicht auf das Feld und in die Arbeit flüchtete, tat ihr gut. Auch sie ahnte nicht, wie es enden würde.
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