„Ich begrüße Sie, die Dame, der Herr, was kann ich denn für Sie tun? Nehmen Sie doch gerne Platz“, wobei er auf zwei unbequem aussehende Plastikstühle vor dem Schreibtisch wies.
„Ich bin Kriminaloberkommissar Duben, und das ist meine Kollegin, Kriminalkommissarin Crott. Wir brauchen Ihre Hilfe in einer Mordermittlung.“
„Wie kann ich Ihnen da behilflich sein?“
Seine Stimme empfand Coco als sehr angenehm. Dunkel, sanft, einfühlsam. Sie konnte sich vorstellen, dass er ein sehr guter Psychotherapeut war.
„Nun ja“, fuhr Duben fort, „es geht um ein Mordopfer, das laut den Unterlagen seiner Krankenkasse Patient bei Ihnen war. Da könnten Sie uns natürlich mit Informationen zu seinem Umfeld weiterhelfen. Hatte er Feinde, vielleicht auch ein anderer Ihrer Patienten, hatte er mit jemandem Streit, was wissen Sie über sein Privatleben und so weiter?“
Coco wunderte sich, dass Duben nicht klar war, wie die Reaktion auf sein Ansinnen sein würde. Sie kannte ihn als wirklich guten Ermittler, aber entweder war er nicht ganz bei der Sache oder er hoffte, dass Dr. Rossbacher es mit den Vorschriften nicht ganz so genau nehmen würde.
Die Reaktion des Psychotherapeuten war sogar wesentlich drastischer, als sie es sich vorgestellt hatte.
Das eben noch freundliche Lächeln verschwand und machte einem regelrecht feindseligen Ausdruck Platz. Die Kiefer mahlten, und die Lippen waren fest aufeinandergepresst. Schließlich öffnete er die Lippen einen Spalt weit und knurrte lediglich: „Raus hier ... aber sofort. Ende des Gesprächs.“
Er war aufgestanden und wies mit der Hand auf die Tür.
„Aber ...“, versuchte Duben noch etwas zu retten.
„Nichts aber“, schrie Dr. Rossbacher nun, und die Empörung war ihm anzusehen. „Was soll das werden? Sie wissen doch genau, dass ich Ihnen nicht mal bestätigen darf, ob die Person bei mir Patient war, selbst wenn Sie behaupten, es zu wissen. Und alles, aber auch wirklich alles, was ich von einer solchen Person erfahren würde, unterliegt der ärztlichen Schweigepflicht. Ihnen dürfte auch der § 53 der Strafprozessordnung bekannt sein, der das Zeugnisverweigerungsrecht von Ärzten und Psychologischen Psychotherapeuten eindeutig regelt. Also kann ich nur vermuten, dass Sie mich überrumpeln wollten oder darauf hoffen, ich würde wissentlich gegen Gesetze verstoßen. In beiden Fällen handelt es sich um eine Unverschämtheit, die ich mir verbitte. Also ... raus hier und zwar sofort!“
Die letzten Worte hatte er förmlich geschrien, und von dem sympathisch wirkenden Mann war für Coco nichts mehr zu erkennen.
Als Duben noch etwas erwidern wollte, legte Coco ihm die Hand auf den Arm und schüttelte den Kopf. „Lass uns gehen, er hat ja recht.“
Sie stand auf und zog Duben am Ärmel seiner Jacke mit sich. Noch im Hinausgehen wandte sie sich allerdings noch einmal um.
„Eine Frage hätte ich noch, Doktor Rossbacher ... und sie hat nichts mit einem Ihrer Klienten zu tun“, fügte sie schnell hinzu, als sie sah, dass er erneut aufbegehren wollte.
Er beruhigte sich genauso schnell, wie er sich aufgeregt hatte.
„Okay, bitte?“
„Warum gibt es die getrennten Eingänge für Einzel- und Gruppentherapien?“
Nun erschien wieder dieses sympathische Lächeln auf seinen Lippen.
„Genau aus dem gleichen Grund, warum ich Ihnen niemals eine Auskunft geben werde. Die Menschen, die zu mir kommen und mich um Hilfe bitten, haben ein Anrecht auf Anonymität. Sie möchten noch nicht einmal, dass andere Menschen mitbekommen, dass sie mich aufsuchen. Also kommen sie zu einem Eingang herein und gehen zu einem anderen hinaus, damit sie nicht anderen Menschen, die sie vielleicht sogar kennen, begegnen müssen. War’s das dann?“
Coco schenkte ihm ihr schönstes Lächeln. „Aber natürlich, vielen Dank, Herr Doktor.“
Duben vor sich herschiebend, ging sie den gleichen Weg hinaus, den sie beim Betreten genommen hatten.
Kapitel 12
Tag 3
Polizeipräsidium Koblenz, Büro der MK, 09:00 Uhr
Auer ließ den Blick über die Anwesenden im Büro und gleichzeitigem Besprechungsraum der Mordkommission im Keller des PP gleiten.
Diesmal waren außer seinem Team auch noch sein Chef, KOR Stefan Wasgau, der Leiter des K 11, und die zuständige Oberstaatsanwältin Sandra Hartung anwesend.
„Und? Was haben wir bis jetzt? Haben Sie schon einen Ansatzpunkt für Ermittlungen oder vielleicht sogar schon Verdächtige?“, richtete Hartung die Frage an ihn.
Er bewunderte sie für die Coolness, mit der sie ihn in Anwesenheit Unwissender wie einen Fremden ansprach, obwohl sie doch regelmäßig das Bett teilten. Davon wusste allerdings nur sein Team etwas, ansonsten gab es im Präsidium lediglich Gerüchte, dass er die Oberstaatsanwältin eventuell besser kannte, als die meisten dachten. Zu diesen Unwissenden zählte sein Chef Wasgau, der das auch auf keinen Fall erfahren durfte.
Seit Auer ihn einmal als „Kompetenzsimulant“ bezeichnet und ihm schon mehrfach öffentlich seine Unfähigkeit vor Augen geführt hatte, waren sie so etwas wie Todfeinde – zumindest betrachtete Wasgau ihn als solchen. Er selbst hatte meist nur Mitleid mit Wasgau, der definitiv der falsche Mann am falschen Platz war.
„Herr Auer, sind Sie noch bei uns?“, riss ihn Sandras Stimme aus seinen Gedanken.
„Oh, Verzeihung, ich war wohl in Gedanken“, entschuldigte er sich. „Aber leider habe ich auch noch nichts wirklich Erhellendes zu berichten. Bisher stecken wir noch mitten in den ersten Ermittlungen und haben noch keinen wirklich ernsten Ansatzpunkt.“
„Wen wundert‘s“, raunte Wasgau halblaut, aber deutlich hörbar, doch Auer entschied sich, nicht darauf einzugehen, und strafte seinen Vorgesetzten mit Missachtung.
„Wir haben sein Haus und die Firma nach Hinweisen durchsucht und am ehesten auf seinen Computer gesetzt. Des Weiteren haben wir nach seinem verschwundenen Fahrzeug gesucht, aber dazu können die Kollegen Kruse und Saibling am besten selbst berichten.“
Er nickte Fisch zu, der daraufhin sofort mit seinem Bericht begann.
„Also ...“, begann er gedehnt, um es wie immer so spannend wie möglich zu machen, „ ... ich habe sowohl den Firmencomputer als auch den Rechner aus seinem Büro in der Villa gecheckt und dabei Folgendes entdeckt: Auf dem privaten Computer ist eine Spiegelung aller Daten des Firmengerätes, weshalb der alleine schon gereicht hätte, aber das konnten wir ja nicht wissen. Fangen wir mal mit dem Wichtigsten an. Am Tag vor seinem Auffinden hatte er einen Termin mit einem gewissen“, er sah auf seine Notizen, „Paschke, wegen eines nicht näher bezeichneten Werbeauftrages für ein nicht näher bezeichnetes Produkt. Das Einzige, was wir wissen, ist, dass er sich mit ihm im Café Höfer am Altlöhrtor treffen wollte. Ob das Treffen stattgefunden hat, konnten wir noch nicht ermitteln, da die Beschäftigten des Cafés, die zur besagten Zeit dort gearbeitet hatten, gestern nicht da waren. Teilzeitkräfte halt“, er zuckte mit den Schultern. „Wenn es denn aber stattgefunden hat, was ich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit annehme, dann war es sein letztes Treffen, denn alle darauffolgenden Termine hat er nicht mehr wahrgenommen. Das haben wir bereits durch die Angestellten der Firma überprüfen lassen.“
„Und weshalb sind Sie so sicher, Sie Oberschlaumeier“, mischte Wasgau sich ein, „dass das Treffen stattgefunden hat, solange Sie noch keine Bestätigung durch die Angestellten des Cafés haben, hä?“
Würdest du nur endlich lernen, deinen Mund zu halten, wenn es nicht angebracht ist, dachte Auer und schüttelte leicht den Kopf. Das ist genau das, worauf Fisch gewartet hat.
Wasgau erhielt prompt die Quittung für seine vorschnelle Frage.
„Das, mein lieber ‚Oberchef‘, war leicht“, beantwortete Fisch mit einem breiten Grinsen die Frage, „denn in ganz Koblenz und im Umkreis von vierzig Kilometern gibt es lediglich vier Paschkes, die wir alle abtelefoniert haben und bei denen es höchst unwahrscheinlich ist, dass sie eine teure Werbekampagne in Auftrag geben würden. Natürlich müssen wir das Alibi des Malermeisters noch überprüfen, aber die Rentnerin und die Hausfrau und auch der neunzehnjährige Student scheiden wohl per se aus, oder?“
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