Er gleicht einem Gedichtband, den man wieder und wieder liest.
Er verfügt über die fraglose Empfindungsfähigkeit von Knochen-und-Fleisch, mit ihr geht ein Zittern einher, dessen Feinheit Geistes-Gefühlen nicht nachsteht.
Mein Körper ist keuscher als mein Geist, mein Herz oder meine Seele. Mein Körper ist gesund, wenn auch zart, und er ist eins mit dem Geschlecht der Frauen. Er bewegt sich mit dem sonnenhellen Kosmos. Mein Geist ergeht sich im Durcheinander des Geschlechtslebens und sinnt pikantem Schmuddelkram nach, entzückenden Schurkereien, gleichgeschlechtlichem Begehren und was es sonst noch so gibt. Meine Seele – dieses köstliche und erlesene Etwas –, sie wurde von ihren erschöpften Flügeln kraftlos die düsteren Treppenfluchten so mancher Jahrhunderte herabgeführt, unter denen einige auf absichtlich widernatürliche Wege führten. Und mein Herz ist heidnisch durch und durch. Sein Saft schmeckt nach den Tagen und den Spuren der Anhängerinnen Sapphos.
Auch körperlich bin ich eine Heidin, was die Freiheit meiner eigenen sexuellen Gefühle angeht – darin gleiche ich allen Frauen. Die meisten von ihnen wissen es nur nicht, und jene, die es wissen, verstecken es in Grabesstille, alle außer den Schamlosen, den Kopfüber-Ehrlichen und den zu jeder Verstellung unfähigen Ehrlichen. Auf mich passt keine dieser Kategorien. Ich bin Ich. Ich lebe allein und denke allein für mich nach.
Mein Körper fühlt sich bewusst davon abgehoben und wie eine einigermaßen eigenständige Person: mit inneren Organen als ewiger Zuversicht, glatter Haut als Gefühl, mit Blutstropfen als Gedanken – kleine Tropfen spritzigen, roten, kräftigen, süßen Blutes als Gedanken.
Ich liebe meinen Körper über alles, wie er lebt, atmet und sich mit und nahe bei mir bewegt. Er ist mein überaus dauerhafter Begleiter. Er ist ein attraktives Mädchen, ein Menschenkind von beträchtlichem Liebreiz. Ich liebe ihn um der unbezahlbaren Luft willen, die er atmet; um der langen, juwelengleichen Sonnentage willen, die er erlebt hat; um der kleinen Verschleißerscheinungen seines Alltags willen – und dafür, wie sich seine zauberischen Gewebe bei jedem Gang die Treppe hinauf oder herab und bei jedem Überschreiten der Türschwelle gegeneinander verschieben.
Ich liebe ihn darum, dass er am Ende bleich, bleich und still – still – still in seinem Grab liegen muss.
Ich liebe meinen Körper für seine Kompliziertheiten des weiblichen Geschlechts.
Ich liebe ihn für die einsame Poesie seiner zellulären Abenteuer.
Ich liebe meinen Körper für diese lange Reise des Leidens und der Einsamkeit, die er vom Tag der Geburt zum Tag des Todes in wilder Leidenschaftlichkeit voll raffinierter Reizbarkeit unternimmt, jeder Tag ein Tag körperlicher Schönheit und Unerträglichkeit und Angst und äußerster Rätselhaftigkeit: weil das Leben ist , weil ich einen weißen, weichhäutigen Körper besitze und weil die seltsame, seltsame Luft des Alltages ihn anhaucht – ihn berührt – in jeder Sekunde!
Aufrichtigkeit und Verzweiflung
Morgen
Ich bin eine wahre Künstlerin. Nicht als Schriftstellerin, sondern als Schriftstellerdarstellerin. Ich versuche, mich im wortwörtlichen Sinn als Dichterin zu fühlen – aus feinerem Stoff gemacht als ein Gott. Aber ich scheitere als dichtende Literatin ebenso wie als Dichterdarstellerin. Eine dichtende Person wird immer von feuriggoldenen Flügeln getragen, wenn der Kurs auch unberechenbar sein mag. Ich hingegen wandere auf meinen Füßen durch die eine und andere Gosse und freue mich noch daran, indem ich ihre Gossenhaftigkeit ganz versunken analysiere und sie als einen Teil meines Loses anerkenne.
– Dichterin oder nicht. Am besten ist es, ich selbst zu sein. In allen Höhen, jeder Düsternis und Weite, jedem belanglosen Schrecken , ich selbst –
Aber als Künstlerin stehe ich in der Wahrheit. Als Malerin mit Worten und als Verfasserin von Absätzen, die die Schichten meiner Persönlichkeit und meine Gefühle abbilden, soweit sie betreffen, was ich bewusst fühle, erkenne ich das Flair der Künstlerin, das künstlerische Wesen.
Meine Kunst ist nicht literarisch, sondern persönlich.
Dabei erlebe ich, was bei jedem künstlerischen Vorgang geschieht – lange Phasen der Trockenfäule, in denen ich nichts habe, was schreibreif wäre, und daher nicht schreibe. Der Geist der Künstlerin zeigt und rechtfertigt sich in Zeiten der Stagnation und des Umschwungs. Aus ihm wächst etwas Menschliches, Trauriges und Strahlendes in mir, etwas Halbweltliches, das mit nahezu-göttlicher Ungeduld darauf wartet, dass die Zeit reif sein möge für seinen Ausdruck.
Eine Zeitlang dachte ich, ich sollte eine »Schriftstellerin« werden, wie es üblich ist. Zahlreiche wohlmeinende Leute stellten sich bereits meine Schreibkarriere vor. Allein die Erinnerung daran schmeckt schal. Dafür kann sich mein fehlerhaftes Leben auf die Schulter klopfen: Ich habe es nicht damit verbracht, fette Schriftbatzen, Erzählungen in Illustrierten oder Sexromane abzusondern. In den Tagen, in denen mein demi-vierge -Buch seine Erfolge feierte und auch noch danach, bedrängten mich Verleger, weitere seiner Art zu schreiben – fortzufahren, einzuheimsen, zusammenzuraffen. All diese wies ich, anderweitig beschäftigt, weit von mir, nicht, weil es mein Taugenichtsleben gestört hätte, sondern aus der Gewissheit meines Künstlertums heraus.
Es würde mir und meiner Art besser entsprechen, wenn ich meinen Lebensunterhalt damit verdiente, zwischen Reihen bleicher Frauen in einer Fabrik Rosen aus Leinenstoffen zusammenzunähen, als durch mein Schreiben.
Mein Schreiben ist mir teuer – ein seltener Vogel ist es zudem – und ein babylonischer Jadestein. Aufwiegen lässt es sich nur in Gold. Selbst wenn es meine größte Begabung ist, lebe ich doch nicht davon. Es ist zu sehr ich selbst, wie meine Ohrläppchen und meine Kehle, um es tagein, tagaus feilzubieten.
Aber ich kann nicht über mich als Künstlerin nachdenken, ohne mich als Lügnerin zu sehen. Die beiden sind durchaus miteinander verbunden. Ich bin eine furchtbare, umfassende Lügnerin. Ich lüge wie ein Uhrwerk. Mit jedem Ticken erzeugt mein Leben eine stille Lüge, so wie meine Uhr mit jedem Ticken eine Sekunde erzeugt. Der Zustand selbst ist schwierig zu fassen. Ich fühle ihn in etwa so, wie man Kopfschmerzen fühlt. Dieses Buch hier schreibe ich mit allem Ernst und Eifer. Es entsteht ganz aus einer Stimmung der Aufrichtigkeit und Verzweiflung. Aber wenn ich ihm nicht etwas Hintergrund aus Lügen gebe, obwohl nichts als Tatsachen und Fakten in ihm vorkommen, versage ich als Künstlerin.
Das ist seltsam am Lügen – an jeder einzelnen Lüge, an allen Lügen zusammen. Sie haben mehr Muskeln als die Wahrheit. Sie gehen einem Menschen viel leichter über die Lippen. Sie passen viel besser in unsere Lebensspielchen. Und in meinem Fall kann der künstlerische Verstand nicht auf sie verzichten.
Ich meine damit nicht die Lügen, die ich erzählen könnte, sondern jene, die ich denke.
Ich meine damit nicht meine Unaufrichtigkeit. Dabei handelt es sich um etwas Anderes, und ich fühle mich durchaus verantwortlich für sie. Aber die Gedankenlügen kommen mir wie das Erbe alter, böser Ichs vor.
Ich belüge mich selbst, lüge die Luft um mich herum an – über meine tonlosen Lippen atme ich Lügen in den Raum. Meine eine Hälfte weiß, dass es Lügen sind, die andere Hälfte glaubt sie.
Diese halbgewussten Lügen, das Bedürfnis nach diesen halbgeglaubten Lügen, sind die Äußerung eines im Kern künstlerischen Wesens.
Der schräge Glaube an sie und die Erkenntnis, dass es sich um Lügen handelt, erklären mich als schreibende Person mir selbst: als eine Lügnerin und Künstlerin.
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