Während die Schrankenbestimmung mithin die äußere und unverrückbare Grenze für die Geltung einer kirchlichen Regelung im staatlichen Rechtskreis aufstellt, ist des Weiteren zu berücksichtigen, dass der kirchliche Gesetzgeber bei Gesetzen, die gerade auf eine bestimmte Wirkung im staatlichen Rechtskreis abzielen, immer auch selbst bereits in dem Bewusstsein der ihm durch das Verfassungsrecht auferlegten Bindungen handeln wird. Infolgedessen stellen verfassungsrechtlich geschützte Gegenpositionen nicht nur eine Außenschranke für das Selbstbestimmungsrecht dar, sondern zusätzlich sind sie bei der Auslegung des kirchlichen Rechts zu berücksichtigen.
Für die weitere Untersuchung bedarf es daher der Konkretisierung, welche verfassungsrechtlich geschützten Rechtspositionen im Hinblick auf die Einrichtung einer Mitbestimmungsordnung und das Rechtsinstitut der Dienstvereinbarung Beachtung verlangen. Hierbei bietet es sich an, sich zunächst überblicksartig die verfassungsrechtlichen Grundlagen des staatlichen Betriebsverfassungsrechts zu vergegenwärtigen, da die insoweit maßgeblichen Verfassungswerte auch für das kirchliche Mitarbeitervertretungsrecht aufgrund der sich weitgehend entsprechenden Regelungsmaterien von Bedeutung sein können. Im Anschluss ist die allgemeine Relevanz der ermittelten Verfassungspositionen für das kirchliche Mitarbeitervertretungsrecht zu überprüfen.
aa. Grundgesetzliche Vorgaben für das Betriebsverfassungsrecht
Grundgesetzlichen Vorgaben kann mit Blick auf das Betriebsverfassungsrecht eine doppelte Bedeutung zukommen. Sie können zum einen ein Mindestmaß an Mitbestimmung vorgeben, zum anderen können sie jedoch auch die Grenzen der Ausgestaltung einer Arbeitnehmermitbestimmung konturieren.
(1) Verfassungsrechtliche Mindestvorgaben für das Betriebsverfassungsrecht – staatliche Schutzverpflichtung
Eine eigene verfassungsrechtliche Vorschrift, die die Arbeitnehmermitbestimmung garantiert, enthält das Grundgesetz nicht. 162Es fehlt an einer expliziten Verfassungsangabe zu einem Mindestmaß der Arbeitnehmermitbestimmung. Lediglich in der Kompetenzvorschrift des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG findet die Betriebsverfassung als Regelungsmaterie überhaupt Erwähnung.
Indessen darf dies nicht zu dem Gedanken verleiten, dass sich das Grundgesetz gegenüber dem Gedanken der Arbeitnehmermitbestimmung indifferent verhielte. Vielmehr wird überwiegend ein Handlungsauftrag an den staatlichen Gesetzgeber zur Einrichtung einer Betriebsverfassung aus dem Zusammenspiel von Arbeitnehmergrundrechten und Sozialstaatsprinzip hergeleitet. 163
Als schutzpflichtbegründendes Grundrecht wird insbesondere die durch Art. 12 GG garantierte Berufsfreiheit der Arbeitnehmer benannt. 164Ergänzend werden auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG sowie die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG herangezogen. 165Im Hinblick auf ihre Eigenschaft als Freiheitsgrundrechte muss allerdings berücksichtigt werden, dass es sich bei ihnen zunächst um Abwehrrechte des einzelnen Bürgers gegenüber dem Staat handelt. 166So können sich sowohl der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer auf Art. 12 GG berufen, wenn der Staat regulierend in ihre Berufsfreiheit eingreift. 167Die durch Art. 1 Abs. 3 GG vorgeschriebene Grundrechtsbindung aller Staatsgewalt sichert die grundsätzlich privatautonome Regelung der Beziehung von Arbeitnehmer und Arbeitgeber und verbietet eine umfassende Verstaatlichung des Arbeitsverhältnisses. So gewährleistet die Berufsfreiheit eine Arbeitsrechtsordnung, deren tragendes Grundprinzip die Privatautonomie der handelnden Akteure ist. 168Wird Art. 12 GG nun zusätzlich als schutzpflichtbegründende Norm aufgefasst, so geht hiermit der an den Staat gerichtete Auftrag einer gewissen Regulierung der grundsätzlich freiheitlich ausgerichteten Arbeitsrechtsordnung einher.
Den Ausgangspunkt für die Herleitung der staatlichen Schutzverpflichtung bildet die Überlegung, dass die durch die grundrechtliche Verbürgung der Berufsfreiheit eigentlich intendierte freiheitliche und selbstbestimmte Entfaltung der Persönlichkeit häufig für den einzelnen Arbeitnehmer selbst überhaupt nicht zu erreichen ist. Die Gründe für diese mangelnde Möglichkeit zur Freiheitsverwirklichung sind indessen durchaus vielgestaltig. 169Sie finden ihre Entsprechung in der Diskussion um die Zweckbestimmung des Arbeitsrechts.
Besondere Prominenz hat in diesem Zusammenhang die These erlangt, dass der Vertragsschluss als Mittel zur Freiheitsverwirklichung beider Vertragsparteien versage, wenn eine Partei aufgrund ihrer Übermacht die Vertragsbedingungen gewissermaßen einseitig festzusetzen vermag, während die andere Vertragspartei aufgrund ihrer schwachen Verhandlungsposition und ihrer Angewiesenheit auf den Vertragsschluss dem Fremddiktat eher gezwungenermaßen denn aufgrund eines selbstbestimmten und freiheitlichen Entschlusses zustimmt. 170Gerade für das Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer wird von einer derartigen Vertragsimparität ausgegangen; 171auch das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung die „strukturelle Unterlegenheit der einzelnen Arbeitnehmer beim Abschluss von Arbeitsverträgen“ postuliert. 172
Ferner wird darauf hingewiesen, dass der Arbeitnehmer in einem Arbeitsbereich tätig werde, der im Regelfall überwiegend bis vollständig der einseitigen Organisations- und Entscheidungsgewalt des Arbeitgebers unterliegt. Die einseitige Organisationsgewalt wirke sich für die ihr Unterworfenen potentiell freiheitsbegrenzend aus. 173Nun ließe sich die dem Arbeitgeber durch das einseitige Bestimmungsrecht ermöglichte Fremdbestimmung über den Arbeitnehmer vordergründig ebenfalls allein darauf zurückführen, dass der Arbeitgeber seine Befugnisse gegenüber dem einzelnen Arbeitnehmer unter Ausnutzung des vertragsimparitätischen Verhältnisses ausweitet. Indessen darf ein weiterer tragender Grund für die einseitige Bestimmungsbefugnis nicht übersehen werden. Denn selbst wenn die postulierte Vertragsimparität hinweggedacht wird, stellt sich das einseitige Bestimmungsrecht für den Arbeitgeber in gewissem Umfang als unverzichtbar dar; die Koordination von Betriebsabläufen erfordert solche Leitungsbefugnisse des Arbeitgebers, die es ihm ermöglichen, einseitig die effiziente Zusammenarbeit der Arbeitnehmer zur Erreichung eines gemeinsamen Produktionsergebnisses sicherzustellen. 174Eine gewisse freiheitbegrenzende Wirkung zulasten des Arbeitnehmers ist dem Arbeitsverhältnis deshalb selbst dann immanent, wenn ein vertragsimparitätischer Zustand nicht gegeben ist. 175
Schließlich kann auch das Tätigkeitwerden verschiedener Arbeitnehmer für einen gemeinsamen Arbeitgeber eine potentielle Freiheitsbegrenzung zulasten Einzelner mit sich bringen. 176Angesprochen ist damit das Verhältnis, das Franz Gamillscheg als „die dritte Dimension des Arbeitsrechts“ bezeichnet hat. 177Der einem einzelnen Arbeitnehmer gewährte Vorteil kann sich nachteilhaft für die anderen Arbeitnehmer auswirken. Die selbstbestimmte Verwirklichung des einen Arbeitnehmers kann mittelbar eine Beschränkung der Freiheiten der übrigen Arbeitnehmer bedingen. 178Begrenzte Ressourcen können einen Verdrängungswettbewerb unter den Arbeitnehmern auslösen. 179Schlimmstenfalls erfolgt die Freiheitsentfaltung des einen Arbeitnehmers auf eine Weise, die zugleich diejenige eines anderen Arbeitnehmers vollständig verhindert. Die Position des einzelnen Arbeitnehmers wird daher nicht nur unmittelbar durch bestimmte Interessen des Arbeitgebers betroffen, sondern zusätzlich auch durch die Tatsache, dass in einem Sozialverband verschiedene Arbeitnehmer unterschiedliche Einzelinteressen verfolgen können. 180
Diesen Freiheitsgefährdungen muss der Staat entgegenwirken, soll die durch das Grundgesetz gewährleistete Freiheit des Einzelnen nicht zu einem inhaltsleeren Begriff verkommen. Hat daher der Staat solchen Entwicklungen zu begegnen, die die Freiheitsentfaltung des einzelnen Arbeitnehmers in nicht mehr hinzunehmendem Maße bedrohen, so beinhaltet dieser grundrechtliche Schutzauftrag hingegen keine konkrete Vorgabe an den staatlichen Gesetzgeber. 181Wie erheblich eine bestimmte Gefährdung ist und wie ihr entgegenzuwirken ist, unterfällt vielmehr einem weitreichenden Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers. 182Die grundrechtliche Verbürgung gibt daher nicht zwingend vor, welche gesetzgeberischen Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die Schutzverpflichtung zu erfüllen. Vor diesem Hintergrund lassen sich aus der grundrechtlichen Schutzverpflichtung keine exakten Mindestvorgaben für das Betriebsverfassungsrecht herleiten. 183
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