Christian Warns - Dienstvereinbarungen nach dem Mitarbeitervertretungsgesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland (MVG-EKD)

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Der Autor nimmt eine dogmatische Betrachtung des im Mitarbeitervertretungsgesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland vorgesehenen Rechtsinstituts der Dienstvereinbarung vor. Ausgehend vom verfassungsrechtlich gewährleisteten Selbstbestimmungsrecht der Kirche wird zu zentralen Fragen Stellung genommen, die sich aus dem Zusammenspiel der Privatrechtsordnung mit dem kirchlichen Recht ergeben. Behandelt wird zum einen die kirchengesetzlich angeordnete normative Wirkung der Dienstvereinbarung. Zum anderen erfolgt eine tiefgehende Auseinandersetzung, in welchem Umfang den Dienstvereinbarungsparteien die Befugnis zur Regelung von Arbeitsbedingungen zukommt. Ein besonderes Augenmerk wird darauf gerichtet, dass das kirchliche Rechtsinstitut stets in seiner Eigenständigkeit gegenüber der Betriebsvereinbarung zu würdigen ist.

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286Vgl. LAG Hamm vom 08.11.2012 – 8 Sa 803/12 – LAGE § 611 BGB 2002 Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 7.

287BAG vom 24.06.2014 – 1 AZR 1044/12 – AP BGB § 611 Kirchendienst Nr. 74 [Rn. 12].

§ 4 Legitimationsbedürfnis für die normative Wirkung

Die Wirkung einer Regelung ist aus der Perspektive des Adressaten zu bestimmen. Soll eine Regelung gleichsam normativ die Rechtsposition des Adressaten gestalten, bedarf dies ihm gegenüber der Legitimation. 288Andernfalls würde sich die Regelung als ein willkürlicher Eingriff in die Rechtsposition des Adressaten darstellen. Legitimieren bedeutet folglich, gegenüber dem betroffenen Adressaten zu begründen, weshalb „ein Sein, ein Sollen oder ein Wollen rechtliche Anerkennung verdient“. 289Als Adressaten der Dienstvereinbarung kommen bei einer privatrechtlichen Organisation des kirchlichen Dienstes die Arbeitsvertragsparteien, also die Dienststellenleitung und die arbeitsvertraglich beschäftigten Mitarbeiter in Betracht. 290

Wird der Blick auf die privatautonom begründete Bindung geworfen, so ist es vor dem Hintergrund der grundrechtlich durch Art. 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 GG gesicherten Vertragsfreiheit selbstverständlich, dass die Vertragsparteien die Befugnis haben, ihr Vertragsverhältnis zu gestalten. Insoweit handeln sie in Wahrnehmung ihrer freiheitlichen Selbstbestimmung. 291Stellte sich auch das Handeln der Dienstvereinbarungsparteien noch als (verlängerte) freiheitliche Selbstbestimmung der Vertragsparteien dar, so ist die Frage nach einer Legitimation der Normwirkung nicht in gleicher Weise wie bei einer heteronomen Regelung aufgeworfen. Vielmehr handelte es sich sodann bei der unmittelbaren und zwingenden Wirkung der Dienstvereinbarung noch um einen zumindest mittelbaren Ausfluss der privatautonomen Entscheidung der Arbeitsvertragsparteien.

Anders verhielte es sich jedoch, wenn festgestellt wird, dass die Dienstvereinbarungsparteien nicht in der Verlängerung der freiheitlichen Selbstbestimmung der Vertragsparteien tätig werden. Hiernach hätte die Dienstvereinbarung eine ausschließlich heteronome Wirkung, die die Frage aufwirft, inwieweit eine Legitimation der Fremdwirkung von außen an die Dienstvereinbarung herangetragen werden kann. Insofern ist unbestritten, dass der Staat unter Wahrnehmung seiner staatlichen Rechtsetzungsgewalt bei Beachtung der verfassungsrechtlichen Bindungen Gesetze erlassen kann, die normativ für den jeweiligen Adressaten gelten und für diesen eine klassische Fremdbestimmung begründen. 292Die Legitimation der Gesetzeswirkung gegenüber den Bürgern beruht auf der sachlichen und personellen Rückführbarkeit des jeweiligen Gesetzes auf die demokratische Wahlentscheidung des Staatsvolkes. 293

Die beiden genannten Legitimationsverläufe finden ihre abstrakte Entsprechung in der Unterscheidung zwischen der grundrechtlichen und der staatlichdemokratischen Legitimation, die Isensee als die „Fundamentalalternative des Verfassungsrechts“ bezeichnet hat. 294Für Regelungen im Arbeitsrecht bedeutet dies, dass sie entweder ausgehend von einer privatautonomen (vertraglichen) oder ausgehend von einer staatlich-demokratischen Legitimation gegenüber dem Adressaten zu rechtfertigen sind. 295

Wird für die Betriebsvereinbarung nach staatlichem Recht die Legitimation der Rechtsetzung der Betriebsparteien zwischen diesen beiden Polen gesucht, mag im kirchlichen Bereich noch eine weitere mögliche Legitimationsgrundlage hinzutreten: das Selbstbestimmungsrecht der Kirche. Dies mag angesichts der postulierten „Fundamentalalternative“ zunächst überraschend erscheinen, andererseits erhält das kirchliche Recht seine Anerkennung im staatlichen Rechtskreis ebenfalls ausschließlich durch das staatliche Verfassungsrecht. Die kirchliche Gesetzgebung, die sich im Rahmen der verfassungsrechtlichen Gewährleistung bewegt, bezieht ihre Legitimation folglich über den demokratisch legitimierten Verfassungsgeber, sodass in einem weiten Sinn noch von einer staatlich-demokratisch vermittelten Legitimation gesprochen werden kann. Die Unabhängigkeit der kirchlichen Rechtsetzung von den üblichen Anforderungen – wie beispielsweise die unmittelbare Grundrechtsbindung oder die Bindung an das Rechtsstaatsprinzip –, die an den staatlichen parlamentarischen Gesetzgeber zu stellen sind, erlaubt es aber, im Rahmen der Legitimation der Normwirkung kirchlicher Dienstvereinbarungen von einer eigenen zusätzlichen Legitimationsoption zu sprechen.

Vor diesem Hintergrund bestehen für die Legitimation der Rechtsetzung der kirchlichen Dienstvereinbarungsparteien drei mögliche Ansatzpunkte: Zum Ersten die Rückführung der Rechtsetzungsbefugnisse auf die Selbstbestimmung der Arbeitsvertragsparteien (hierzu § 5), zum Zweiten die Rückführung der Rechtsetzungsbefugnisse auf die staatliche Rechtsetzungsmacht (hierzu § 6) und zum Dritten die Rückführung der Rechtsetzungsbefugnisse auf die kirchliche Rechtsetzungsmacht (hierzu § 7).

288Allgemein zur Tragfähigkeit des Legitimationsgedankens für die Begründung einer rechtswissenschaftlichen Regelsetzungslehre Bachmann , Private Ordnung, S. 159 ff.

289So Isensee, Der Staat 20 (1981), 161; bestätigend Hartmann , Negative Tarifvertragsfreiheit, S. 107.

290AKS/ Andelewski , MVG.EKD, § 36 Rn. 36 ff.; Baumann-Czichon/Gathman/Germer , MVG-EKD, § 36 Rn. 4 ff.; Fey/Rehren , MVG-EKD, § 36 Rn. 12 ff.

291 Flume , AT BGB, Band 2, S. 7 f., 10; allgemein zur Legitimationskraft der Grundrechte Isensee , Der Staat 20 (1981), 161, 162 f.

292 Coing , Grundzüge der Rechtsphilosophie, S. 234 ff.; Herrmann , NZA-Beil. 2000, 14, 20.

293 Grzeszick , in: Maunz/Dürig, Art. 20 GG II. Rn. 117 ff.; BeckOK GG/ Huster/Rux , Art. 20 Rn. 93 ff.

294Der Staat 20 (1981), 161, 168.

295So auch wiederholt das Bundesverfassungsgericht, vgl. nur die Entscheidungen vom 25.02.1988 – 2 BvL 26/84, BVerfGE 78, 32, 36 [B. 2.]; vom 14.06.1983 – 2 BvR 488/80, NJW 1984, 1225 [B. II. 1]; vom 24.05.1977 – 2 BvL 11/74, NJW 1977, 2255, 2258 [B. II. 2. b)]; für die Literatur siehe insbesondere Säcker , Gruppenautonomie, S. 342 ff.; Säcker , ZfA-Sonderheft 1972, 41, 50; ferner auch: Hartmann , Negative Tarifvertragsfreiheit, S. 101 ff.; E. Picker , NZA 2002, 761, 763, 768; Richardi , Anm. zu BAG vom 20.03.2002, AP Nr. 53 zu Art. 140 GG; Veit , Die funktionelle Zuständigkeit des Betriebsrats, S. 150, 189 f.

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