Tatjana Böhme-Mehner
Leipziger Mörderquartett
Kriminalroman
Mord in der Musikstadt Es ist kein alltägliches Konzert, zu dem Anna Schneider in den Club In-and-Out kommt. Normalerweise würde das Streichquartett hier nicht spielen. Und auch die Leipziger Musikkritikerin ist alles andere als zu Hause an diesem Ort. Wer zum Henker kommt auf die Idee, hier ein klassisches Konzert anzusetzen? Von vornherein scheint nichts zu passen. Als der Bratscher des Quartetts während des Konzerts von einem losen Scheinwerfer erschlagen wird, entdecken Anna und Habakuk C. Brausewind, ein Kollege des Toten, eine Reihe von Ungereimtheiten, die sie zunächst auf die Fährte dubioser Machenschaften auf dem Musikinstrumentenmarkt und dann in die Schwulenszene führen. Oder ist der Täter doch in der intimen Welt des Streichquartettspiels zu finden? Hatte der Getötete etwa ein dunkles Geheimnis?
Tatjana Böhme-Mehner lebt im Saarland und arbeitet als Programme Editor an der Philharmonie Luxembourg. Nach dem Studium der Musikwissenschaft und Journalistik sowie ihrer Promotion an der Universität Leipzig forschte und lehrte sie an unterschiedlichen Institutionen in Deutschland und Frankreich und arbeitete rund zwei Jahrzehnte als freie Musikjournalistin und Kulturpublizistin in Mitteldeutschland. Sie veröffentlichte Sachbücher sowie Erinnerungen an ihren Vater Ibrahim Böhme.
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Christine Braun
Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © Murushki / stock.adobe.com
ISBN 978-3-8392-6928-2
Tok-tok-tok-tok und dann ein permanentes heftiges Rütteln, das in den ganzen Körper hineinströmte. Anna liebte das Gefühl des Hochdruckreinigers in ihrer Hand, das sich fortsetzen würde, weit über diesen Moment hinaus in die geordneten Klänge des Abends. Während die Wassertropfen vor der schon recht westlich stehenden Sonne einen Miniaturregenbogen bildeten, malte sie kleine Kreise auf den fleckigen Terrassenboden … Hier ein Smiley, dort … Was immer es war, es machte Anna Spaß. Selbstvergessen verbrachte sie mehr Zeit mit der Reinigung der winzigen Dachterrasse, ihrem Refugium über der Stadt, als es im Entferntesten nötig gewesen wäre. Hätte sie jemand beobachtet bei dieser eigenwilligen Putzaktion, hätte der wohl gemeint, dass sie tief in ein sehr kompliziertes Gedankenkonstrukt versunken war. Doch im Gegenteil: Anna genoss es, gar nichts zu denken. Sie wollte nichts weiter, als mit der Vibration des Hochdruckreinigers sich selbst zu spüren.
Ohnehin würde sie gleich wieder in jene feinsinnige Welt eindringen müssen, die eigentlich die ihre war. Während andere sich dem Klang in seiner Flüchtigkeit hingaben, analysierte sie das Erlebnis mit ihrem geistigen Ohr, fragte sich, was das Wesentliche, das Besondere dieses Abends, dieser Aufführung war, um es am nächsten Tag kurz und prägnant in ansprechende Worte zu fassen, die bestenfalls ihren journalistisch-ästhetischen Eigenwert entfalteten.
Anna war gern die Musikkritikerin des »Täglichen Anzeigers«, der letzten verbliebenen großen Tageszeitung der Stadt, auch wenn sie sich ab und an nach der Chance und der damit verbundenen Anerkennung einer großen Geschichte sehnte – nach einer Enthüllungsstory, wie sie sich die Reporterkollegen aus den Ressorts »Politik« oder »Wirtschaft« durchaus erhoffen konnten. Selbst im Sport standen die Chancen größer, dort konnte man auf einen dubiosen Wettskandal oder wenigstens eine Dopingenthüllung stoßen. Doch in der Kultur und noch dazu in der Musik, besonders der klassischen – Annas Domäne –, konnte man bestenfalls schiefe Töne und wackelnde Metren anprangern. Zwar machte man sich damit nicht unbedingt Freunde, aber im Wesentlichen hatte man seine Ruhe – manchmal mehr als gut war. Doch auch das war im Prinzip okay für Anna. Nur heute irgendwie nicht. Es war der erste heiße Samstag des Jahres, und der Abend versprach lau und angenehm zu werden. Was gäbe es also Besseres, als auf der dann sauberen Terrasse zu sitzen und mit einem Glas Wein und einem Buch den unstrukturierten Klängen des Abends über Leipzig zu lauschen, zu erleben, wie das Klanggewaber der Südvorstadt allmählich abebbte, und anschließend in den Sonntag hineinzuschlafen?
Aber daraus wurde leider nichts – Anna musste ins Konzert, wie meistens. Sie liebte Musik, sonst hätte sie einen anderen Beruf ergriffen. Trotzdem – wie es war, sich ohne Zwang und aus freien Stücken auf ein Musikereignis vorzubereiten, hatte sie fast schon vergessen. Wenigstens war das, was sie heute erwartete, ein angenehmes und noch dazu überschaubares Programm: Brahms, Mozart und noch mal Brahms. Ein mehr als anständiger Streichquartettabend mit dem Kleistenes-Quartett – musikalische Philosophie, kein Lärm und keine Bravo-grölenden Klassikgroupies. Zwar keine Weltklasse, doch eines der besseren von hier. Kein Grund also, sich in der Pause wegzusehnen und jenen verzweifelt hinterherzuschauen, die sich die Jacke an der Garderobe holten und in die Nacht verschwanden – meist zu zweit.
Mit etwas Glück konnte sie um halb elf wieder zurück sein. Bestimmt wäre es auch dann noch nicht zu kalt für ein halbes Stündchen hier oben über der Stadt. Sie würde dann zwar bereits – das war ein Automatismus, der mit dem Beruf einherging – darüber grübeln, was sie am Morgen zu Papier, besser gesagt zu Bildschirm bringen konnte, aber dennoch hätte sie ein bisschen was von diesem lauen Samstagabend.
Der Wasserstrahl spritzte auf ihre nackten Füße. Sie hatte den kleinen Vorsprung getroffen, der einstmals den Schornsteinschacht verborgen hatte, als das Haus noch mit Kohle geheizt worden war. Schmerzhaft und erfrischend zugleich brannte das versprühte Wasser auf der nackten Haut. Stundenlang könnte Anna so weitermachen. Doch wenn sie jetzt nicht aufhörte, kam sie unweigerlich zu spät.
Die Reinigungsmaschine provisorisch beiseite geräumt – regnen würde es gewiss nicht –, die Treppe hinunter ins Dunkel der kleinen Wohnung. Sie wollte unbedingt eine Fußmatte vor die Terrassentür legen – ein Schwur, den sie jedes Mal nach derartigen Reinigungsaktionen leistete, wenn sie die feuchten Drecktapsen auf der hellen Holztreppe sah. Wieder konnte sie ein wahrhaft böses Ausrutschen gerade noch verhindern, das sie unweigerlich in den Wäschekorb hätte stürzen lassen. Aus diesem starrten sie jene Teile gnadenlos an, die sie seit mindestens einer Woche bügeln wollte. Anna hatte sich den Wäschekorb selbst in den Weg gestellt, um sich zu dieser verhassten Aktivität zu zwingen. Bisher ohne Erfolg. Es war lediglich eine neue Unfallquelle in der winzigen Dachgeschosswohnung entstanden, die sie der Terrasse wegen nicht aufgeben wollte. Eine weitere Gefahr für Leib und Leben.
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