Bei dem hier erstmals abgedruckten Text handelt es sich um die Transkription einer Lesung, die am 10. Dezember 1987 im Rahmen der SWF-Sendung »Literatur und Musik« stattfand. – Transkription: Martin Willems.
Zur Entstehungsgeschichte: »Wenig später rief ein Redakteur vom Südwestfunk an. Sie machten im Hörfunk eine Reihe ›Literatur und Musik‹, eine Stunde. Autoren stellten einen unveröffentlichten Text vor und spielten zwischendurch Musik ihrer Wahl. Ob ich das auch machen könnte? Was kommt dabei rum? Pro Textminute hundert Mark, das war ein guter Kurs. Mach ich. Ich ruf Sie dann noch mal an, wegen des Studios. Ich schrieb schon mal den Text. Ich hatte ja nichts in der Schublade liegen. Ich erzählte die Geschichte, wie ich in Amsterdam an einem Quiz teilgenommen hatte und dabei besoffen war. Dann wählte ich die Platten aus. Rock ’n’ Roll.« Wolfgang Welt: »Doris hilft«, Frankfurt/M. 2009, S. 131.
Sascha Seiler
»Die grüne Welle reiten« Gespräch mit Phillip Goodhand-Tait Inhalt Wolfgang Welt Jukebox Baby Sascha Seiler »Die grüne Welle reiten«. Gespräch mit Phillip Goodhand-Tait Rolf Parr Im Stakkato pop-kultureller Bewegungszyklen. Wolfgang Welts autofiktionales Schreibprojekt Sascha Seiler Der raue Ton der Achtzigerjahre. Wolfgang Welt als Musikjournalist Thomas Ernst Pop und Komik, Wahn und ›Männlichkeit‹. Wolfgang Welt als Autor der Subversion? André Menke »Er wollte wissen, in welcher Tradition ich mich sähe, und ich antwortete, in keiner«. Über einige Einbettungen und literarische Nachbarschaften von Wolfgang Welts Werk Innokentij Kreknin »Ob das alles autobiographisch sei? Ja sicher.« Autofiktion bei Wolfgang Welt Jan Süselbeck Einfach kompliziert. Über Wolfgang Welts Verhältnis zur Literaturkritik Martin Willems »Ich besitze immerhin ca. 2000 Bücher …«. Wolfgang Welts Nachlass Martin Willems Auswahlbibliografie Wolfgang Welt Notizen
Sascha Seiler: Erinnern Sie sich noch an Ihr erstes Treffen mit Wolfgang Welt?
Phillip Goodhand-Tait: Wolfgang hielt sich in London auf, es muss 1976 gewesen sein. Er hatte sich gerade eine Vinylschallplatte gekauft, die auf dem Label Dick James Music – kurz DJM – erschienen war, es war mein Album »Songfall«. Als er auf dem Cover sah, dass das Büro von DJM in der New Oxford Street nur ein paar Schritte vom Plattenladen entfernt war, wo er das Album erstanden hatte, dachte er sich, er könnte ja mal spontan vorbeischauen und vielleicht ein Interview mit mir klarmachen. Ich glaube, er schrieb damals schon als freier Autor für Musikmagazine. Als er vor der Rezeptionistin stand, sagte er nur, er wollte sofort Phillip Goodhand-Tait treffen! Zufällig war ich gerade für eine Fotosession und ein paar Presseinterviews im Gebäude. Wolfgang war erstaunt, dass ich tatsächlich sofort greifbar war, und ich signierte ihm das Album. Wir kamen ins Gespräch und entdeckten unsere gemeinsame Liebe zu Buddy Holly. Als er mir erzählte, dass sein Freundeskreis ihm einfach nicht glauben wollte, dass Buddy Holly tot sei, weil Coral Records ständig neue Alben von ihm auf den Markt brachte, sah ich das als großartige deutsche ›Version‹ des berühmten ›Day the music died‹-Zitats aus Don McLeans Song »American Pie« an …
Wie war Ihr erster Eindruck von ihm?
Wir sind beide vom Sternzeichen Widder, ich bin jedoch sieben Jahre älter als Wolfgang. Mein erster Eindruck war, dass er ein sehr redegewandter junger Mann war, der ein gutes Englisch sprach und, was sehr selten ist, einen äußerst trockenen Humor sein Eigen nannte. Ich glaube, er war der einzige Deutsche, der mich jemals zum Lachen gebracht hat. Dabei erzählte er niemals einen Witz! Es waren eher seine leisen Reflexionen, die mich amüsierten. Er war auch sehr smart gekleidet, das fiel mir bei unserem ersten Treffen auf, ein gutaussehender junger Mann in einem Trenchcoat und einem Poloshirt. Wir wurden zusammen auf dem Soho Square fotografiert, der war in der Nähe des DJM-Gebäudes und wurde oft als Hintergrund für PR-Fotos verwendet. Das Bild, in Schwarz-Weiß, erinnerte uns immer an die Aufnahme zweier Spione während des Kalten Krieges!
Er war ja schon lange vorher Fan Ihrer Musik. Erinnern Sie sich daran, was er an Ihren Songs so inspirierend fand?
Auf besagtem »Songfall«-Album etwa begeisterte ihn die Knappheit und Einfachheit der Kompositionen. Er mochte den Song »Leon« ganz besonders, weil es die Geschichte eines Musikers auf Tour erzählt. Aber natürlich waren meine Neuarrangements von Buddy Hollys »Everyday« und dem Everly-Brothers-Song »When Will I Be Loved« seine anderen Favoriten. Mein eigenes Stück »New Moon Tonight« interessierte ihn wiederum, weil da die Zeile »I fell under a spell of an early rock and roller« enthalten war. Wie ich bereits erwähnte, war sein Englisch ja sehr gut und er hat bei Songs sehr auf die Texte geachtet. Ein Songtext wie »Processed« hat ihn politisch sehr angesprochen. Er war ja Sozialdemokrat.
Wie hat sich Ihre Freundschaft weiter entwickelt?
Das erste Treffen danach, an das ich mich erinnere, war bei einem Konzert, Backstage. Es muss auch noch 1976 gewesen sein, als ich als Vorgruppe von 10cc auf Deutschland-Tournee war, ich bin mir aber nicht mehr sicher. Wolfgang hat mir auf jeden Fall immer seine veröffentlichten Artikel und später auch seine Romane geschickt. Da ich aber nicht des Deutschen mächtig bin, hat er hin und wieder Randnotizen auf Englisch hinzugefügt. Natürlich war ich auch sehr daran interessiert, einen Musikjournalisten in Deutschland zu kennen, und er hat mich ja auch wirklich oft erwähnt. Ich habe ihm im Austausch auch immer meine Aufnahmen geschickt, aber insgesamt haben wir doch verschiedene Leben gelebt. Als er einmal in England war, habe ich ihn in unser Haus im New Forest eingeladen, meine damalige Frau mochte Wolfgang sehr gerne, sie konnte auch etwas Deutsch. Ich erinnere mich daran, wie wir am Kamin saßen, tranken und viel gelacht haben. Drogen haben wir beide nicht genommen, einem Drink waren wir aber niemals abgeneigt.
An welche weiteren besonderen Momente erinnern Sie sich noch?
Er hat mir Bochum nähergebracht. Besonders gerne erinnere ich mich daran, als wir bei seiner Mutter in der winzigen Küche an einem alten schwarzen Ofen im Haus an der Hauptstraße 51 saßen, sie hatte Eintopf gekocht, aß aber nicht mit, sondern saß ruhig in der Ecke, während Wolfgang in seinen Hosenträgern wie der Herr des Hauses wirkte. Das Essen war übrigens sehr lecker. Soweit ich weiß, war es ja ein Haus, das einst für Grubenarbeiter gebaut worden war, es war sehr dunkel und funktional. Wolfgang hat sich ja um seine Mutter gekümmert, bis sie starb, und zog dann in eine modernere Wohnung – nun ja, modern ist relativ – ein paar Hausnummern weiter. Immer wenn ich in Bochum war, traf ich mich mit Wolfgang, seinem Bruder Jürgen und dessen Frau sowie seiner Schwester Gabi. Wir aßen zusammen oder schauten Fußball. Von ihm lernte ich den Ausdruck »Fahrstuhlmannschaft«, mit dem er den VfL Bochum beschrieb. Auch war er ein sehr nützlicher Beifahrer. Immer wenn ich am Steuer saß, brach er in Begeisterungsstürme aus, wenn wir mehr als eine grüne Ampel nacheinander geschafft haben. Er nannte es: ›Die grüne Welle reiten‹, als wäre man am Strand in Hawaii und nicht in Köln oder sonstwo.
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