Abb. 1: Gut arbeiten (METACOM Symbole © Annette Kitzinger)
Über die Selbsteinschätzung des/der Schüler*in hinaus ist in jedem Fall eine umfassende Beobachtung ratsam, wie diese bspw. beim TTAP (TEACCH Transition Assessment Profile, Mesibov et al. 2017;
Kap. 3.4
) vorgeschlagen wird. Dies ist ein Verfahren zur förderdiagnostischen Untersuchung von Jugendlichen und Erwachsenen mit einer Autismus-Spektrum-Störung und einer leichten bis starken intellektuellen Beeinträchtigung. Das TTAP wurde konzipiert, um den Übergang junger Menschen in das Erwachsenenleben zu planen. Hierfür werden gezielte Beobachtungen im Kontakt zu dem Menschen mit Autismus dokumentiert, aber auch Bezugspersonen aus den Bereichen Schule, Arbeit und Wohnen interviewt, um einen möglichst umfassenden Kenntnisstand über die Fähigkeiten des jungen Menschen zu erheben. Das Verfahren ist in sechs Bereiche aufgeteilt: berufliche Fertigkeiten, Eigenständigkeit, Kompetenzen zur Freizeitgestaltung, Arbeitsverhalten, funktionale Kommunikation und zwischenmenschliches Verhalten. Nach Durchführung der Aufgaben und Vermerk der Ergebnisse in vorgefertigten Rastern soll verschriftlicht werden, welche Stärken und Schwächen der junge Mensch hat und wie Strukturierungshilfen ermöglicht werden können, um bspw. selbstständige Fertigkeiten zu erreichen. Ein Beispiel ist Wäsche waschen: Wie sortiere ich meine Wäsche, wie befülle ich die Waschmaschine, welches Programm wähle ich aus? Es geht dann auch darum, Empfehlungen für Förderprogramme für zu Hause oder in der Schule, am Ausbildungsplatz oder im Bereich des Wohnens zu geben.
Marvin ist ein 22-jähriger junger Mann mit Autismus und einer leichten Lernbehinderung. Er hat die Schulzeit, inklusiv beschult, ohne Abschluss beendet und lebt in einer Wohneinrichtung. Bei der Erfassung seiner Fähigkeiten durch das TTAP (im Rahmen der Autismustherapie) fällt auf, dass er vieles kann, wenn es direkt vor ihn gestellt wird, bspw. etwas sortieren, Fehler erkennen oder eine schriftliche Aufgabe bewältigen. Was ihm jedoch sehr schwerfällt ist, diese Aufgaben in Anwesenheit weiterer Personen zu erledigen. Außerdem schafft er selten den Übergang zwischen zwei Aktionen, d. h. etwas aufzuräumen und im Anschluss eine weitere Aufgabe zu beginnen. Schwierig ist für ihn auch, bei einer neuen Anforderung den nächsten Schritt anzugehen, sowie um Hilfe zu bitten, wenn er mit etwas nicht weiterkommt. Das größte Problem ist allerdings, dass er zu den meisten Tätigkeiten nicht motiviert ist, sondern sich am liebsten in sein Zimmer zurückzieht und sich mit Videospielen beschäftigt. Daher liegt die Verwirklichung des Ziels, ihn an einen Arbeitsplatz zu vermitteln, in weiter Ferne.
Üblicherweise leisten auch Schüler*innen mit Förderbedarf in den letzten Schuljahren Praktika ab, um Arbeit an sich sowie bestimmte Arbeitsfelder kennenzulernen und auf das zukünftige Leben mit täglicher Arbeit in einer Fördereinrichtung oder Werkstatt vorbereitet zu werden. Der/die Schülerpraktikant*in verbringt zwei Wochen an einem speziellen Arbeitsplatz, er oder sie muss sich auf eine neue Situation mit unbekannten Gegebenheiten (Personen, Räume, Abläufe etc.) einstellen und Tätigkeiten ausführen, die ihm/ihr wahrscheinlich fremd sind. Wenn seine/ihre kognitiven Fähigkeiten dies zulassen, führt er oder sie während des Praktikums ein Berichtsheft und schreibt im Anschluss ein paar Sätze zum Praktikum auf. Damit der/die Schüler*in das Praktikum erfolgreich absolvieren kann, ist es notwendig, dass alles gut vorbereitet ist.

Praxistipp zur Struktierung und Vorbereitung eines Schulpraktikums und Anlegen einer Praktikumsmappe
Praktikumsbetrieb festlegen,
Ort, Beginn und Ende des Praktikums,
Arbeitszeit,
Pausen und Pausenverpflegung,
Arbeitskleidung,
Arbeitsplatz konkret (welcher Raum und welcher Platz?),
Art der Aufgaben,
Regeln am Arbeitsplatz,
Betreuung durch Lehrpersonal (z. B. wöchentlicher Besuch am Praktikumsplatz),
Akzeptanz durch die Praktikumsstelle, wenn Lehrer*innen Verbesserungsvorschläge zum Praktikum machen,
Beurteilung des Arbeits- und Sozialverhaltens des/der Schüler*in (Gruppenfähigkeit, Selbstständigkeit, Bewältigung und Ausführung der Arbeit, Ausdauer und Konzentration, Umgang mit Vorgesetzten und Reaktion auf Kritik, Einhalten von Regeln),
Nachbesprechung mit dem Praktikumsbetrieb,
Nachbesprechung mit dem/der Schüler*in, soweit möglich,
Nachbesprechung im Klassenteam.
Bericht der Mutter von Toni (15) zum Praktikum ihres Sohnes in der Werkstatt für Menschen mit Behinderung (WfbM)
»Leider gab es in dieser Woche an keinem Tag auch nur das Geringste zu tun für Toni. Habe ihn immer früh abgeholt, morgen soll er ganz zuhause bleiben, bat man mich. Leider konnte ich bei einem Gespräch mit der Bereichsleitung der Werkstatt nichts erreichen. Die Schulleitung habe ich auch informiert. Toni nützt es nichts mehr, aber bevor sie die nächsten Schüler dort hinschicken, sollte alles besser vorbereitet werden.«
Der Schüler Toni hat in diesem Fall gelernt, dass Arbeit etwas Langweiliges ist, wo es wenig zu tun gibt und wo er gar nicht hin muss, wenn keine Arbeit da ist. Das ist jedoch nicht die Realität. Es wäre besser, wenn die Schüler*innen erfahren würde, dass im Arbeitsprozess täglich wiederkehrende Aufgaben vorkommen, mit denen sie nach einer Eingewöhnung vertraut sind und die ihnen dann leicht von der Hand gehen. Sie sollten erfahren, dass ihnen Wertschätzung entgegengebracht wird, wenn sie ihre Arbeit gut erledigen. So können Schüler*innen Erfahrungen mit Kolleg*innen und Vorgesetzten machen, auch wenn ein Praktikum immer eine besondere Situation ist und die Schüler*innen nur in einen Arbeitsbereich ›hineinschnuppern‹. Dennoch gewinnen die Schüler*innen die Erkenntnis, dass es auch hier Regeln und Strukturen gibt, die sie bereits aus der Schule kennen.
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