Eva Reichmann - Die Flucht in den Hass

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Eva Gabriele Reichmann arbeitete ab 1924 als kulturpolitische Referentin beim 'Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens', abgekürzt CV, einer Organisation, die sich um die Rechte deutscher Bürgern jüdischer Herkunft und Religion kümmerte, was seit den 30er Jahren immer notwendiger wurde. 1939 konnte sie nach London emigieren und promovierte dort (ein zweites Mal) mit der Arbeit Hostages of Civilisation.
In diesem – von der akademischen Kritik als eine der besten wissenschaftlichen Analysen des Nationalsozialismus bezeichnetem Werk – befasst sie sich mit der ideengeschichtlichen Einordnung des deutschen Nationalismus im 19. Jahrhundert und der Frage, wie dessen Aufstieg zu erklären sei. 1951 erschien die Arbeit unter dem Titel Die Flucht in den Hass. Die Ursachen der deutschen Judenkatastrophe in der Europäischen Verlagsanstalt und erfuhr mehrere Auflagen.
Nach dem Krieg engagierte sich Eva Reichmann stark für einen Neuanfang jüdischen Lebens in der Bundesrepublik. Sie erhielt 1982 den Moses-Mendelssohn-Preis und ein Jahr darauf das Große Bundesverdienstkreuz, später die Buber-Rosenzweig-Medaille. Sie starb 1998 in London im Alter von 101 Jahren.
In ihrem Nachwort zur Neuausgabe vertieft und betont Kirsten Heinsohn die lebenslange Position von Eva Reichmann als Verteidigerin des Liberalismus.

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„Die Flucht in den Hass“ – von der damaligen akademischen Kritik als eine der besten wissenschaftlichen Analysen des Nationalsozialismus bezeichnet – stammt aus der Feder von Eva Gabriele Reichmann, einer in Oberschlesien 1897 geborenen, in Heidelberg promovierten Soziologin, die von 1924 bis 1938 kulturpolitische Referentin des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens war. Zusammen mit ihrem Mann, dem Rechtsanwalt Hans Reichmann, der seit 1933 das „Büro Wilhelmstraße“ leitete, eine antinazistische Zentrale, die die demokratischen Parteien mit Material versorgte, bekämpfte sie den Antisemitismus und den Nationalsozialismus in Deutschland in Wort und Schrift.

Hans Reichmann wurde im November 1938 in das Konzentrationslager Sachsenhausen verschleppt. Nach seiner Freilassung emigrierten Eva und Hans Reichmann 1939 nach London. Dort schrieb Eva Reichmann ihr Buch Hostages of Civilisation , welches 1956 unter dem Titel Die Flucht in den Hass. Die Ursachen der deutschen Judenkatastrophe erstmals in der Europäischen Verlagsanstalt erschien.

Eva Reichmann befasst sich mit einer historischen, soziologischen und psychologischen Einordnung der Frage, wie der Aufstieg des Nationalsozialismus zu erklären sei. Sie fragt zudem, ob – angesichts der von ihr attestierten tiefen „Unsicherheit im deutschen Nationalbewusstsein“ – das Projekt der Judenemanzipation nicht von Beginn an zum Scheitern verurteilt war. Ihre Antwort dazu fällt deutlich aus: Nein, der Nationalsozialismus und sein antisemitisches Programm sind kein Beweis für das Scheitern der Emanzipation der Juden. Vielmehr waren es wirtschaftliche, soziale und psychologische Krisenreaktionen, die zum Erfolg antidemokratischer und auch antisemitischer Bewegungen in Deutschland geführt haben. Eva Reichmann verteidigte das liberale und das demokratische Projekt der Emanzipation Zeit ihres Lebens. Oft war sie als Zeitzeugin und Gesprächspartnerin im christlich-jüdischen Dialog gefragt. 1982 erhielt sie für ihr Wirken den Moses-Mendelssohn-Preis und ein Jahr darauf das Große Bundesverdienstkreuz, 1970 bereits die Buber-Rosenzweig-Medaille. Sie starb 1998 in London im Alter von 101 Jahren.

In ihrem Nachwort zu der von ihr herausgegebenen Neuausgabe vertieft Kirsten Heinsohn die lebenslange Position von Eva Reichmann als Verteidigerin des demokratischen Projekts der Emanzipation.

Prof. Dr. Kirsten Heinsohn ist stellvertretende Direktorin an der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg und Professorin an der Universität Hamburg. Sie hat zu Eva Reichmann geforscht und Artikel zu Werk und Person veröffentlicht, zudem zahlreiche Veröffentlichungen u. a. zur Frauen- und Geschlechtergeschichte sowie zu Jüdischer Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert.

Eva G. Reichmann

DIE FLUCHT IN DEN HASS

Die Ursachen der deutschen Judenkatastrophe

Herausgegeben und mit einem Nachwort von Kirsten Heinsohn

Die englische Ausgabe dieses Buches erschien unter dem Titel Hostages of - фото 1

Die englische Ausgabe dieses Buches erschien unter dem Titel: »Hostages of Civilisation« im Verlag Victor Gollancz Ltd., London.

E-Book (ePub)

© CEP Europäische Verlagsanstalt GmbH, Hamburg 2021

Alle Rechte vorbehalten.

Foto: Eva Reichmann in der Wiener Library, Juli 1952

Covergestaltung: nach Entwürfen von MetaDesign, Berlin

Signet: Dorothee Wallner nach Caspar Neher »Europa« (1945)

ePub:

ISBN 978-3-86393-563-4

Auch als gedrucktes Buch erhältlich:

Neuausgabe © CEP Europäische Verlagsanstalt GmbH, Hamburg 2021

Deutsche Rechte: Europäische Verlagsanstalt GmbH, Frankfurt am Main 1956

Print: ISBN 978-3-86393-104-9

Informationen zu unserem Verlagsprogramm finden Sie im Internet unter

www.europaeischeverlagsanstalt.de

Inhalt

Kirsten Heinsohn

Zur Neuausgabe von Eva Gabriele Reichmann: Flucht in den Hass

Vorwort zur deutschen Ausgabe

Einleitung

ERSTER TEIL ANTISEMITISMUS – EIN SONDERFALL DER GRUPPENSPANNUNG

1. Emanzipation als soziales Problem

2. Die objektive oder „echte“ Judenfrage

3. Die subjektive oder „unechte“ Judenfrage

4. Die Merkmale der jüdischen Bevölkerungsgruppe

5. Widersprüche in der Erscheinung des modernen Juden

6. Psychische Wirkungen der Krise

7. Das Zusammenwirken objektiver und subjektiver Ursachen in der Geschichte des deutschen Antisemitismus

ZWEITER TEIL DIE ZEIT

1. Die Konkurrenzwirtschaft als Brutstätte kollektiver Unzufriedenheit

2. Die Erschütterung religiöser und ethischer Werte

3. Nationalismus, Romantik, Interessenpolitik: Etappen einer Rückentwicklung

4. Exkurs über die Erziehungsarbeit der sozialistischen Bewegung in Deutschland

5. Bevölkerungsvermehrung – Anwachsen des Kleinbürgertums

6. Wandlung der staatlichen Repräsentation: Von den „Dichtern und Denkern“ zur Massendemokratie

7. „Leichte“ und „schwere“ politische Ideologien – Die Demokratie – eine „schwere“ Ideologie

8. Die Märzwahlen 1933, – ein Phänomen der Triebentfesselung

DRITTER TEIL DER SCHAUPLATZ

1. Der Einfluß der geographischen Lage Deutschlands auf seine geistige und soziale Entwicklung

2. Deutschland und die Ideen des Westens

3. Die Wirkung der verspäteten Industrialisierung auf die Meinungsbildung der Mittelklasse – Die Wege des nichtjüdischen und jüdischen Bürgertums trennen sich

4. Das Problem Preußen

5. Unsicherheit des deutschen Nationalbewußtseins – Alldeutschtum und intellektueller Antisemitismus

VIERTER TEIL DIE KATASTROPHE

1. Verstärkung der Verfallserscheinungen als Folge des ersten Weltkrieges

2. Exkurs: Die Haltung der sozialistischen Parteien in der Zwischenkriegskrise

3. Die Krise der Demokratie

4. Ist eine geistesgeschichtliche Ableitung des Nationalsozialismus zulässig?

5. Das Geheimnis des nationalsozialistischen Erfolges: Die Befreiung der Triebe – Die Funktion des jüdischen Antisymbols

6. Der Militarismus als Mittel der Triebbefreiung

7. Weitere Funktionen des Antisemitismus in der nationalsozialistischen Propaganda

8. Die Flucht in den Haß

Schlußfolgerungen

Anmerkungen

Literaturverzeichnis

Personenregister

Kirsten Heinsohn

Verteidiger des Liberalismus

Zur Neuausgabe von Eva Gabriele Reichmann: Flucht in den Hass

Als Eva Reichmann 1981 für die ZDF-Reihe „Zeugen des Jahrhunderts“ interviewt wurde, sprach sie ausführlich über ihr zentrales Werk, das Buch „Flucht in den Hass. Die Ursachen der deutschen Judenkatastrophe“. Schon während der Kriegszeit hatten Eva Reichmann und ihr Mann Hans, beide arbeiteten zuvor im Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (CV), in ihrem Londoner Exil begonnen, sich wissenschaftlich mit den Ursachen für die Vertreibung und Verfolgung der Juden in Deutschland zu beschäftigen.

„Ich wollte mir Rechenschaft ablegen, wie das in dem Lande, das ich als meine Heimat gekannt und geliebt hatte und geschätzt und verehrt hatte, wie das in meinem Lande zustande kommen konnte. Darüber wollte ich mir Rechenschaft ablegen und daraus ist das Buch entstanden, und so mußte ich also vollkommen objektiv zu sein versuchen und ich glaube, das ist mir gelungen.“ 1

Persönliche und berufliche Erfahrungen gaben den Anstoß, nach den Ursachen für den mörderischen Antisemitismus in Deutschland zu fragen. 2Eva Reichmann antwortete jedoch nicht als Betroffene, sondern als Wissenschaftlerin, als studierte Soziologin, die 1921 ihre Promotion zum Thema „Spontaneität und Ideologie als Faktoren der modernen sozialen Bewegung“ erfolgreich in Heidelberg verteidigt hatte. „Aus dem nüchternen Gebrauch des wissenschaftlichen Geräts auf einen Mangel an persönlicher Erschütterung zu schließen, wäre irrig“, stellte sie gleich am Anfang ihres Vorwortes für die deutsche Ausgabe klar. Im Gegensatz zur englischen Originalausgabe, die 1950 unter dem Titel „Hostages of Civilisation. A Study of the Social Causes of Anti-Semitism“ im Verlag von Victor Gollancz erschienen war, meinte sie zudem, hier den deutschen Leser*innen erklären zu müssen, dass „alles verstehen“ nicht bedeute, „alles verzeihen“ zu können. Eva Reichmann hatte mit ihrem Buch eine klare Ursachenbeschreibung für den hasserfüllten Antisemitismus und seine Funktion für den Aufstieg des Nationalsozialismus vorgelegt und erwartete nun, im Jahre 1956, dass die Zeitgenoss*innen in Deutschland sich ebenfalls mit der unmittelbaren Vergangenheit auseinandersetzen würden. Ihr Buch stelle daher auch die Frage,

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