Das Wesen, welches da auf sie alle zukam, wirkte so dermaßen deplatziert an diesem Ort, dass es an Absurdität schwer zu überbieten war.
Denn für die neuerliche Stille unter der zuvor so laut und obszön lärmenden Menge war niemand Geringeres verantwortlich, als eine zierliche, hübsche Frau, die bedächtig zwischen den monströsen Gestalten hindurch und mit langsamen Schritten auf die Tribüne zuging.
Es wirkte beinahe so, als wäre sie eine Art Königin oder zumindest jemand Hochgeborenes, dem man Tribut zu zollen hatte. Denn warum sonst sorgte sie für derart viel Wirbel, dass selbst die stärksten dieser Kreaturen mit halb offenen Mündern da standen und sie anstarrten, als wäre sie ihrer aller Herrscherin und Gebieterin? Oder war sie das etwa? Genaugenommen sah sie für Christopher nämlich nicht unbedingt so aus. Eine grazile Erscheinung, sicher, sehr hübsch dazu, dies zweifelsohne bereits aus der geringen Entfernung erkennbar. Nur eben alles andere als Furcht einflößend oder aber besonders kräftig. Mit anderen Worten, auf den ersten Blick relativ hilflos anzuschauen unter dieser Horde Bestien und muskelbepackter Rohlinge.
Und doch rührte niemand sie an, während sie sich zielstrebig ihren Weg durch die Menge bahnte. Sie trug ein langes, schwarzes Cape um ihre zarten Schultern, dessen Kapuze bis jetzt auch nur die Hälfte ihres filigranen Gesichts entblößte. Darunter hatte sie ein außergewöhnliches Kleid an. Es war ebenfalls schwarz, lang bis zu ihren Füßen, doch dabei so eng anliegend, dass sich jede ihrer wohlgeformten Rundungen darunter genauestens abbildete. Zudem besaß es zwei seitlich durchgehende Schlitze, die bis zu ihren Hüften reichten und dabei ihre nackte, ebenmäßige Haut entblößten. Um den zarten Hals schlängelte sich eine prachtvolle, goldene Kette, die sich über ihrer Brust in mehrere Glieder teilte und offenbar irgendwo bei den Brustwarzen und dem Bachnabel zu enden schien. Zumindest zeichnete sich dies ebenfalls unter ihrem geschmeidigen Gewand ab.
Aus dem ledernen Miedergürtel, der ihre schlanke Mitte schmückte, lugten mehrere Hefte unterschiedlicher Waffen, vermutlich Messer und Dolche, heraus und jetzt erkannte Christopher auch, dass sie sogar gleich zwei Schwerter mit sich trug. Deren aufwendig verzierte Griffe blitzten hinter ihrem Rücken auf und versetzten ihn wahrlich ins Staunen. Er fragte sich, ob und wie eine so zart wirkende Person mit derartigen Waffen umgehen konnte.
Als die Gestalt kurz vor der Tribüne und dem narbengesichtigen Hünen angekommen war, machte sie halt und nahm die Kapuze ab. Ein Schwall ebenholzfarbenen, lockigen Haares ergoss sich über ihre Schultern. Dann warf sie Christopher unvermittelt einen Blick zu. Sie lächelte ihn an und zwinkerte ihm zu, als würden sie sich schon Ewigkeiten kennen, bevor sie sich dann an den Hünen wandte. Zunächst ohne ein Wort zu verlieren, klatschte sie langsam, aber laut und deutlich in ihre mit schwarzen Ornamenten verzierten Hände.
Christopher beobachtete das ungewöhnliche Treiben zu seinen Füßen und wusste nicht, ob er nun wieder Angst haben oder neue Hoffnung schöpfen durfte. Was würde als Nächstes geschehen? Ein weiterer Kampf?
„Im Namen aller teuflischen Dämonen, ich bin beeindruckt!“, sprach die Schönheit mit ungewöhnlich fester und rauer Stimme, die so gar nicht zu ihrem lieblichen Äußeren passen wollte.
„Was seid ihr Kerle hier bloß für … starke Krieger.“
Der spöttische Unterton war für Christopher nicht zu überhören und sie hätte auch sagen können: Was seid ihr hier bloß für völlig unterbelichtete Barbaren. Das wäre fast auf dasselbe herausgekommen bei der Art, wie sie mit dem muskelbepackten Koloss vor sich sprach. Doch dieser schien, zu Christophers Verwunderung, nur umso ehrfürchtiger zu werden.
„Ravanna!“, kam es ihm sogleich von den Lippen und er starrte das weibliche Wesen vor ihm demütig an. Er sprach ihren Namen geradezu wie ein düsteres Gebet aus.
„Ich habe schon so viel von dir gehört, aber dich nun wahrhaftig vor mir zu sehen, straft alle Erzählungen und Beschreibungen deiner Schönheit Lügen ... du ...“
Noch bevor der von Blut besudelte Hüne weitersprechen konnte, trat die alte Mera aus dem Hintergrund hervor und fuhr ihm streng über den Mund: „Ach sei doch still, du Trottel von einem Riesen!“
Dann baute sie sich in all ihrer krummen Größe vor der jungen Schönen auf und ließ ihren missbilligenden Blick einige Male an dieser auf und abgleiten.
„Woher gebührt uns die Ehre für solch hohen Besuch?“
Christopher konnte an der Tonlage der Alten heraushören, dass sie nicht begeistert vom Auftauchen der Fremden namens Ravanna war, auch wenn sie vordergründig den Anschein erwecken wollte. Die Schöne musste also irgendjemand Besonderes sein. Woher wüsste man ansonsten hier ihren Namen und behandelte sie vergleichsweise ehrerbietig wie eine Prinzessin?
„Oder hast du dich etwa in unseren dichten Wäldern verlaufen, Ravanna?“, säuselte Mera arglistig, während sie sich leicht nervös immer wieder so unauffällig wie möglich umsah.
Ravanna erkannte Meras boshafte Gedanken und nahm ihr sogleich den Wind aus den Segeln, während sie ihre Lippen schürzte und lächelnd ihren Kopf schüttelte.
„Keine Sorge. Ich kenne diesen Wald wie meine Westentasche, Mera. Das weißt du ganz genau. Jemand wie ich verirrt sich nicht hierher. Er wird hier geboren. Wenn du verstehst, was ich meine.“
Mera nickte lächelnd, doch ihre schwarzen Augen verrieten, dass sie der um vieles jüngeren Hexe ihr gegenüber feindlich gesonnen war. Und beleidigt hatte Ravanna sie gerade auch noch vor ihrer gesamten Knechtschaft und den vielen anwesenden Kreaturen der Unterwelt. Und doch blieb Mera nichts anderes übrig, als erst einmal weiterhin gute Miene zum für sie unschönen Spiel zu machen. Die Stimmung zwischen ihr und Ravanna war jedoch spürbar angespannt. Es wirkte auf Christopher sogar so, als würde Mera am liebsten direkt auf die schöne Hexe losgehen. Aus welchem Grund auch immer. Doch irgendetwas hielt sie scheinbar davon ab. Offenbar war dieser Ort hier zwar Meras Herrschaftsgebiet. Doch vor irgendjemandem schien auch sie sich zu fürchten.
Ravanna formte nun unvermittelt mit Daumen und Zeigefinger vor ihren vollen Lippen einen Kreis und pustete anschließend kräftig dagegen. Ein lautes Pfeifen kam so zustande und im nächsten Augenblick erschien auch schon Bo. Er trabte langsam zwischen den dichten Tannen, Kiefern und Eichen dieser Lichtung hervor und ließ dabei völlig unaufgeregt seine Muskeln spielen. Seine ansonsten dunkelbraunen Augen leuchteten für einen kurzen Moment warnend glutrot auf, um sich dann wieder ins ursprüngliche Braun zurück zu verwandeln.
Ravanna zwinkerte ihrem Hundedämon zu und wandte sich erneut an Mera.
„Er ist heute nicht besonders gut drauf. Wie an beinahe jedem Tag. Ich hoffe, du hast genug Fleischvorräte da, um ihn zu besänftigen?“
Sie lächelte selbstsicher, auch wenn ihr angesichts der Horde an größtenteils relativ minderbemittelten und einfach gestrickten Ogern und Orks, Alben, Elfen, Gnomen, Goblins und Formwandlern ein wenig unwohl zumute war. Ohne Bo an ihrer Seite hätte sie nicht ihre Hand dafür ins Feuer gelegt, dass man sie nicht augenblicklich angegriffen hätte, auch, wenn sie immerhin einem der mächtigsten Dämonen diesseits und jenseits dieser Gefilde unterstand und somit dessen Schutz genoss. Aber diesen unmanierlichen, einzig und allein ihren niedersten Instinkten und Trieben nachgehenden Wesen hier rings um sie herum konnte man dennoch nicht vertrauen. Deshalb hatte sie ja auch Bo mitgenommen.
„Nun gut“, krächzte Mera, um einzulenken, „so will ich euch beide denn willkommen heißen in meinem Etablissement! Meras Welt der Lüste! Ich gehe natürlich davon aus, dass du auf der Suche nach etwas bist, wenn du hier einkehrst. Bei mir bekommst du all das, was das dunkle Herz begehrt! Frisches Blut, Körper jeden Geschlechts und alles, was dir sonst noch so beliebt!“
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