Ravanna lauerte darauf, innerlich ein klein wenig angespannt, ob ihr Trick nun auch aufgehen würde,, blieb äußerlich jedoch völlig entspannt.
„Dabei gäbe es eine Lösung, die weder dir noch mir schaden würde. Und die ich auch meinem strengen Meister erklären könnte.“
Sie schüttelte wieder gespielt überlegend den Kopf.
„Aber das wäre ein zu großes Risiko für mich. Immerhin ist es mein Ruf, der auf dem Spiel steht, wenn ich dir eine Nacht mit mir anbieten würde. Im Tausch für den Jüngling, versteht sich. Eigentlich verlange ich immerhin mehr als dreimal so viel wie dich der Bauernjunge auf der Tribüne kostet.“
Sie senkte gespielt enttäuscht ihre Lider:
„Wie schade. Dann muss ich meinem Meister eben sagen, dass ein großer, starker, sehr gut gebauter Hüne mir den Jüngling vor der Nase weggeschnappt hat. Wenn du Glück hast, kannst du dich ein paar Tage vor Ash Phalidos und seinem unbändigen Zorn verstecken. Und so lange deine Beute genießen. Das solltest du jedenfalls. Denn finden wird er dich irgendwann!“
Ravanna drehte sich gerade herum, als der Hüne sie aufhielt.
„Warte.“
Mehr hatte die listige Hexe nicht hören wollen. Zutiefst befriedigt lauschte sie danach den vor Aufregung und Wollust bebenden Worten des Hünen, der aufgrund Ravannas Pheromone bereits völlig in ihren Bann gezogen war:
„Ich bin einverstanden mit deinem Angebot! Und ich verspreche dir, dass dein Ruf nicht beschmutzt wird. Ich werde niemandem erzählen, dass ich deine Dienste so günstig habe in Anspruch nehmen können.“
Er sah sie ein wenig angstvoll an, als fürchtete er, diesen Handel nicht mehr vollziehen zu können, und streckte ihr eilig seine Hand mit dem bereits angetrockneten Blut vom vorangegangenen Kampf mit dem Reptilienmann daran entgegen:
„Ich gebe dir hiermit mein Wort! Und verlange im Gegenzug deines, um unseren Tauschhandel auf der Stelle endgültig und unwiderruflich zu besiegeln.“
Ravanna lächelte triumphierend in sich hinein und nahm die grobe Hand des Hünen entgegen, obwohl sich ihr beim Anblick des Blutes daran die kleinen Nackenhaare aufstellten.
„Abgemacht!“
Sie sah ihm noch einmal eindringlich in die Augen.
„Eine Nacht mit mir im Tausch für den Jungen! Und dein absolutes Stillschweigen darüber!“
Der Handel war somit beschlossene Sache. Ravanna rollte zwar erneut innerlich mit den Augen, als der Hüne sie gierig begaffte und sich in seiner Vorstellung womöglich schon ausmalte, was er alles mit ihr anstellen würde. Doch das war ihr nun gleich. Immerhin hatte sie bekommen, was sie wollte. Vielleicht hätte sie einfach den doppelten Preis zahlen sollen, anstelle die eigenen Dienstleistungen anzubieten, dachte sie bei sich. Nun war der Kerl immerhin so dermaßen aufgegeilt, dass sie ihn nicht lange würde hinhalten können. Sicher, sie hatte diese Begehrlichkeiten in ihm durch ihr laszives Auftreten ja geschürt. Und eigentlich suchte sie sich ihre Liebhaber immer noch gerne selbst aus. Doch sie war nun einmal keineswegs daran interessiert gewesen, den nackten Jüngling da oben aufzugeben. Er war einfach zu perfekt und sie hatte sich in den Kopf gesetzt, ihn Ash als ihr Geschenk von diesem ansonsten völlig nutzlosen Ausflug in den Sukkura Forest und nach Innubà, mitzubringen. Sie würde wohl oder übel mit dem Verlauf der Dinge leben müssen. Ein Geschäft war ein Geschäft und sie nahm sich vor, das Beste aus der Situation zu machen.
„Du solltest Mera jetzt lieber ihr Gold zahlen. Ich habe gehört, mit ihrer Geduld soll es nicht weit her sein“, forderte Ravanna von dem Unhold, während dieser sie noch immer verlangend betrachtete, „und danach machen wir uns auf die Suche nach einem netten, ungestörten Plätzchen für die Nacht“, ergänzte der Hüne voll freudiger Erwartung.
„Sicher. Aber zuerst will ich den Menschen bei meinem Hundedämon in Sicherheit wissen.“
Der Hüne nickte nur und zahlte das Gold an die wartende Mera, welche kurz darauf einen ihrer Lakaien anwies, den nackten jungen Mann von der Tribüne zu holen.
Christopher, der nicht hatte mitanhören können, was die Halbhexe namens Ravanna und der Muskelprotz da miteinander ausgehandelt hatten, verfiel in angstvolles Zittern, als man ihn die Anhöhe herunterzerrte. Doch Ravanna kam sogleich auf ihn zu und betrachtete ihn voll Bewunderung. Allem Anschein nach war sie es also, die den „Zuschlag“ für ihn erhalten hatte. Irgendetwas in Christopher war einerseits erleichtert. Anderseits wusste er damit noch lange nicht, was dieses Schicksal nun für ihn bereithielt. War diese äußerlich so schön anzuschauende Gestalt im tiefsten Inneren ebenso abartig und grausam wie jene anderen Kreaturen dieses Ortes? Oder hatte sie ihn womöglich vor einem schrecklichen Los gerettet? Und wenn ja, warum hatte sie das getan? Was mochte der Grund dafür sein?
Als ihn jener grobe Oger unter Meras Befehl der zierlichen Ravanna übergab, konnte er sich noch nicht im Geringsten ausmalen, was ihm in der nächsten Zeit bevorstehen würde.
„Fucking for Freedom“
Es war so still, dass man jedes noch so leise Geräusch des Waldes hören konnte. Wind, der durch Blätter und Zweige wehte. Das Knacken des Geästs unter den zierlichen Füßen der dort nach Nahrung suchenden Mäuse und Eichhörnchen. Herabrieselnde Tannennadeln auf dem moosbewachsenen Dickicht. Der Ruf eines Uhus. Das Knistern des Feuers inmitten dieser kleinen, versteckten Lichtung.
Das sphärische, hellblaue Licht des Vollmondes bahnte sich seinen Weg auf Christophers Antlitz. Mit einer Decke um die nackten Schultern saß er gegen einen besonders dicken, alten Baum gelehnt da und harrte der Dinge, die noch kommen mochten. Um seinen Hals unverändert jener Ring, an dessen Öse die schwere Eisenkette befestigt war, mit der man ihn an Ort und Stelle gefangen hielt. Und deren Ende irgendwo unter dem Körper dieses riesigen, Furcht einflößenden Hundedämons liegen musste, der sich zum Ruhen dicht an der Feuerstelle niedergelassen hatte, vor der auch Christopher ausharren musste. Es war momentan absolut unmöglich für ihn, von hier zu entkommen. Zumindest so lange nicht, wie dieses Ungetüm hellwach war und sich keinen Zentimeter vom Boden weg rührte. Und natürlich so lange auch die Hexe und der narbengesichtige Hüne neben dieser ebenfalls noch nicht auf ihr Nachtlager sanken, um zu schlafen. Christopher beobachtete seit geraumer Zeit heimlich von seinem Platz aus, wie der muskelbepackte Kerl, der nur Stunden zuvor jenen Reptilienmann ohne jede Gnade im Zweikampf erschlagen hatte, einem Hühnerschenkel nach dem anderen so gierig das Fleisch abnagte, bis davon jeweils nur noch der reine Knochen übrig war. Es wunderte ihn, dass der Unhold nicht auch noch diesen komplett aufaß. Die zur linken Seite des Grobians hockende, zierliche Halbhexe mit dem dunklen, langen Haar wirkte wie ein zerbrechliches Püppchen neben ihm. Es war grotesk. Diese Schönheit. Und daneben dieses Monster. Und dennoch musste sie irgendeine Art von Macht über ihn ausüben, die dazu geführt hatte, dass Christopher sich nun offenbar nicht im Besitz des Hähnchenschenkel verschlingenden Wüstlings befand, sondern in ihrem. Er wusste wirklich nicht, was er davon zu halten hatte. Er versuchte, den schmatzenden Hünen da vor sich irgendwie zu ignorieren, während er selbst bedächtig einen Bissen nach dem anderen von dem Brot nahm, das Ravanna ihm zuvor zusammen mit zwei Hühnerkeulen vor die Füße gelegt hatte. Bis jetzt ließ er das noch dampfende Hühnerfleisch jedoch völlig außer Acht.
Er hatte schon länger nichts mehr gegessen und wollte seinen Magen nicht überfordern. Und außerdem gefiel ihm der Gedanke gar nicht, gegen seine Prinzipien zu verstoßen, indem er nun doch ein getötetes Tier aß. Nein. Das Brot, langsam vertilgt und mit etwas Wasser aus der Feldflasche neben ihm heruntergespült, würde als Mahlzeit ausreichen müssen.
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