„Ich werde mir Ihr Angebot merken“, nickte Florian Krautmann.
„Es gilt selbstverständlich für Ihre ganze Familie.“
„Sie sind sehr großzügig“, erwiderte der Chefarzt.
„Ich muss mich doch irgendwie für Ihre Hilfe bedanken.“
„Ich habe Ihnen gern geholfen.“ Sandra Falkenberg reichte dem Klinikchef die Hand, und das glückliche Strahlen ihrer braunen Augen wärmte sein Herz. „Auf Wiedersehen, Dr. Krautmann.“ Sie lächelte. „Es muss ja nicht unbedingt wieder in Ihrer Klinik sein.“
„Ich wünsche Ihnen alles Gute“, gab Florian Krautmann zurück, und die schöne Patientin verließ sein Büro. Ihr Gang wirkte so, als würde sie auf Wolken schweben.
Florian hatte mehr für ihre Seele als für ihr Gesicht getan, und es erfüllte ihn mit Freude, sie so glücklich und zufrieden gemacht zu haben.
Zehn Minuten nachdem Sandra Falkenberg sich verabschiedet hatte, klopfte Schwester Annegret an seine Tür. „Chef …“
„Was gibt’s, Annchen?“
Die grauhaarige Pflegerin trat seufzend ein. „Die arme Frau Schmidt …“
„Wie geht es ihr?“, erkundigte sich der Klinikchef.
„Sie hat seit dreißig Stunden Wehen. Die Zäpfchen und die Spritze wirken noch immer nicht. Die Frau ist schon ganz verzweifelt. Sie hängt seit zwei Stunden am Tropf, aber es geht nichts weiter. Das Baby will und will nicht kommen.“
„Was sagt der Wehenschreiber?“, fragte Dr. Krautmann.
„Wir kriegen immer dieselben Werte.“
„Ist das Baby okay?“, wollte Florian Krautmann wissen.
„Ja, mit dem Kind ist alles in Ordnung.“
„Ich sehe mir die Patientin mal an“, entschied der Klinikchef und begab sich mit Schwester Annegret in den Kreißsaal, wo eine junge, zarte blonde Frau sich schon so lange damit abquälte, ihr Baby auf die Welt zu bringen. Er untersuchte Laura Schmidt, die schrecklich leidend aussah. Sie konnte weder sitzen noch in irgendeiner Position liegen, hatte nahezu ständig Schmerzen und war schon fast am Ende ihrer Kräfte.
Der Muttermund war zwar schon offen, aber noch nicht weit genug. Das Baby, ein Mädchen, wie die Ultraschalluntersuchungen ergeben hatten, kam noch nicht durch.
Laura Schmidt sah den Chefarzt verzweifelt an. „Ich habe solche Schmerzen, Herr Doktor.“
„Es ist bald vorbei“, tröstete Florian Krautmann sie.
„Können Sie mir nichts gegen diese furchtbaren Schmerzen geben?“, flehte die werdende Mutter.
„Wenn ich Ihnen etwas gebe, dauert die Gehurt noch länger“, antwortete Dr. Krautmann.
„Ich kann nicht mehr“, schluchzte die Patientin.
„Tut mir leid, Frau Schmidt, aber Sie müssen da durch.“
„Ich halte das nicht mehr aus“, jammerte die junge Frau mit schmerzverzerrtem Gesicht.
Dr. Krautmann streichelte die schweißfeuchte Hand der Patientin. „Sie werden Ihr Baby noch in dieser Stunde bekommen, dann ist es ausgestanden.“ Er lächelte sie aufmunternd an. „Nur Mut, es wird alles gutgehen. Ich sehe in einer halben Stunde wieder nach Ihnen.“
Als er dreißig Minuten später feststellte, dass der Kopf des Kindes noch immer nicht durch die Öffnung des Muttermundes passte, sah er sich gezwungen, diesen über das Köpfchen des Babys zu schieben. Ihm war klar, dass das äußerst schmerzhaft für die Patientin war, aber nur so ließ die Geburt sich vorantreiben. Laura Schmidt schrie grell auf, und für einen Moment befürchtete Dr. Krautmann, sie würde das Bewusstsein verlieren, aber sie blieb ansprechbar, und von da an nahm die Niederkunft endlich ihren gewünschten Lauf.
Schwester Annegret und zwei Hebammen halfen der jungen Frau, ihr Kind zu gebären, während Dr. Krautmann sich immer wieder um die Herztöne des Babys kümmerte.
Schließlich erblickte das kleine Mädchen das Licht der Welt. Es wurde gewaschen, gemessen, gewogen und fotografiert, und als Dr. Krautmann der jungen Mutter ihr süßes Baby zeigte, schaffte diese trotz der großen Strapazen, die sie ausgestanden hatte, ein glückliches Lächeln.
„Siehst du, was ich sehe?“, fragte Julian Krautmann seine Zwillingsschwester Lisa. Sie saßen in dem roten Kleinwagen, den sie gebraucht, aber noch sehr gut erhalten – zu ihrem achtzehnten Geburtstag geschenkt bekommen hatten, und befanden sich auf dem Heimweg.
„Ja“, antwortete Lisa, „und es gefällt mir irgendwie nicht.“
„Mir auch nicht.“
Sie blickten beide in dieselbe Richtung. Julian hatte an einer Verkehrsampel angehalten, und auf der gegenüberhegenden Seite der Straßenkreuzung warteten ein Motorrollerfahrer und sein Klammeräffchen auf Grün.
„Oliver Wiechert und Dorothee Simonis“, brummte Julian. „Ich weiß jemanden, dem bei diesem Anblick die Galle hochkommen würde.“
„Sandra Falkenberg“, sagte Lisa. „Genau.“
„Ich dachte, Oliver würde Sandra so sehr liehen“, bemerkte Lisa.
Julian zuckte die Schultern. „Vielleicht bringt Oliver die mannstolle Dotty nur irgendwo hin.“
„Ja, und dafür bedankt sie sich dann auf ihre spezielle Weise“, sagte Lisa giftig. „Sieh nur, wie sie sich an ihn schmiegt! Sie genießt es richtig, sich an ihm festzuhalten. So ein Luder! Keine Beziehung ist ihr heilig. Je besser sich zwei verstehen, desto mehr ist ihr das ein Dorn im Auge. Wenn ich einen Freund hätte, und Dotty Simonis würde sich so an ihn ranschmeißen …“
„Was würdest du dann tun?“
„Das Gesicht würde ich diesem Biest zerkratzen.“
Das Lichtsignal wechselte auf Grün, Julian fuhr weiter. Der Motorroller fuhr vorbei, ohne dass Dotty und Oliver die Krautmann-Zwillinge bemerkten.
„Ich sage Sandra nichts davon“, murmelte Julian.
„Ich auch nicht.“
„Aus solchen Dingen hält man sich besser raus“, meinte Julian. „Die Angelegenheit kann ja auch völlig harmlos sein.“
„Von Olivers Seite aus vielleicht, aber ganz bestimmt nicht von Dottys. Sie scheint sich mal wieder selbst beweisen zu müssen, dass sie jeden haben kann, wenn sie will.“
Julian feixte. „Warum versucht sie’s nicht mal bei mir?“
„Du bist nicht interessant für sie.“
„Na, hör mal.“
„Erstens bist du erst achtzehn, während sie schon vierundzwanzig ist, und zweitens bist du nicht gebunden.“ Julian schlug mit der Hand auf das Lenkrad, als würde er sich ärgern. „So ein Pech aber auch.“
Die Zwillinge kamen nach Hause. „Cäcilie, was gibt es zu essen?“, fragte Julian die Haushälterin.
„Leute, die nicht grüßen können, bekommen von mir prinzipiell nichts“, entgegnete die alte Wirtschafterin.
„Oh, Entschuldigung. Ich muss meine guten Manieren draußen im Auto vergessen haben.“
„Scheint so.“
Julian schnappte die Wirtschafterin blitzschnell mit beiden Händen, zog sie zu sich und drückte ihr einen schmatzenden Kuss auf die Wange. „Guten Abend, Cäcilie.“
Die Haushälterin lachte. „Verrückter Kerl.“ Sie hatte ein so großartiges Verhältnis zu allen vier Krautmann-Kindern, als wären es ihre eigenen.
„Was gibt’s zu essen?“, wiederholte Julian seine Frage.
„Geschmorten Kalbsbraten mit pikanter Füllung.“
„Großartig.“ Julian rieb sich begeistert die Hände. „Und wann?“
„Sobald euer Vater nach Hause kommt“, antwortete Cäcilie.
Julian legte die Hand auf seinen Magen und verzog schmerzlich das Gesicht. „Das erlebe ich nicht“, stöhnte er. „Ich sterbe vor Hunger.“
„Dann nimm dir einstweilen ein Stück Brot“, riet die Wirtschafterin ihm.
„Der Mensch lebt nicht von Brot allein“, versuchte Julian sie zu belehren.
Cäcilie schmunzelte. „Den Rest bekommt der Mensch in etwa einer halben Stunde.“
Nach dem Abendessen gab es eine Neuauflage der ewigen Kabbelei zwischen der zehnjährigen Kim und dem vierzehnjährigen Christoph. Diesmal ging es um einen neuen Popstar. Kim schwärmte für ihn, während Christoph ihn total ablehnte.
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