Doch noch immer werden Ärzt*innen während ihrer medizinischen Ausbildung und in den ersten Berufsjahren kaum auf die Übernahme von Führungsverantwortung vorbereitet – im Vordergrund steht in dieser Zeit der Ausbau des medizinischen Fachwissens. Auch die meisten Fachgesell-schaften hielten bislang nur wenige Angebote für den gezielten Ausbau der Führungskompetenz ihrer Mitglieder bereit.
Daher verwundert es nicht, dass die Motivation vieler Aspirant*innen für eine Chef- oder Oberärzt*innenposition selten darin besteht, eine echte Führungsrolle auszufüllen. Im Vordergrund steht vielmehr der Anspruch, höchste medizinische Fachkompetenz einzubringen und diese zudem an jüngere Mitarbeiter*innen weitergeben zu können.
Mit der Übernahme einer Führungsposition sehen sich viele Ärzt*innen dann allerdings mit einer ganzen Reihe von Aufgaben (z. B. Mitarbeiterführung, Zielentwicklung, Veränderungsmanagement) konfrontiert, mit denen sie in dieser Form nicht gerechnet haben und die sie allein mit ihrem exzellenten fachlichen Know-how nicht bewältigen können. Gleichzeitig müssen sie erkennen, dass Personalmangel, strikte Sparvorgaben der Krankenhausträger und die enorme medizinische Leistungsverdichtung ihre Gestaltungsfreiräume mitunter erheblich einschränken.
Letztlich repräsentieren Chef- und Oberärzt*innen ihre Klinik bzw. ihre Fachabteilung nach außen und innen. Sie müssen sich am Erfolg und Renommee ihres Verantwortungsbereiches messen lassen. Es sind also große Herausforderungen, die Chef- und Oberärzt*innen im Klinikalltag erbringen müssen. Um sie zu bewältigen, sind wirksames Führungshandeln und damit die kontinuierliche Investition in Führungszeit gefragt.
Das vorliegende Buch ist ein praxisorientierter Leitfaden, der Ärztliche Leitungskräfte konkret dabei unterstützt, im Spannungsfeld der vielfältigen Anforderungen die Hoheit des Handelns zu behalten. Die Unterteilung in einen Grundlagenteil und einen Praxisteil bietet die Möglichkeit, sich auf zwei Ebenen mit den relevanten Führungsthemen des Klinikalltags zu beschäftigen:
1. Der Grundlagenteil liefert ausführliche Informationen zu zentralen Themen rund um das Thema Führung und nimmt dabei direkt Bezug auf die besonderen Herausforderungen des Klinik- oder MVZ-Betriebs und andere ambulante Strukturen.
2. Der Praxisteil enthält kürzere Texte zu konkreten Führungssituationen im Klinik- und/oder ambulanten Alltag.
Je nach Fragestellung und Zeitbedarf liefert das Buch Grundlagenwissen oder schnelle Hilfestellung bei der Bearbeitung akuter Herausforderungen oder Probleme.
Da sich der Klinik-, ambulante und der MVZ-Alltag für Ärztliche Leitungskräfte hochkomplex darstellt und entsprechend differenziert bearbeitet werden muss, wird in diesem Buch der Versuch unternommen, mit einfachen, in der Praxis entwickelten Modellen und Lösungsideen eine Reduktion der Komplexität der Sachverhalte und Zusammenhänge vorzunehmen. Dabei ist es die vordringliche Absicht, regelmäßig vorkommende Herausforderungen und Probleme handhabbar und lösbar zu machen. Die enthaltenen Checklisten, Bewertungsbögen und Gesprächsleitfäden dienen diesem Ziel und sind als Orientierungshilfen gedacht.
Wohlwissend, dass kaum ein Fachbuch von vorne bis hinten gelesen wird, haben wir das Ziel, ein Praxishandbuch vorzulegen, das ähnlich wie FAQs (Frequently Asked Questions) das schnelle und gezielte Informationsbedürfnis der Leser befriedigt. Dabei versteht sich das Buch im erweiterten Sinne als eine Art Coach, der zur Entlastung, zur Problembearbeitung und zur konkreten Klinikentwicklung herangezogen wird.
Anhand der Marginalien am Rand jeder Buchseite, des umfassenden Schlagwortverzeichnisses sowie der Querverweise zu thematisch verwandten Textteilen ist eine schnelle inhaltliche Orientierung möglich.
Dieses Buch »Wirksam führen« ist Leitfaden und Nachschlagewerk zugleich – aus der Praxis für die Praxis. Das Autorenteam möchte mit diesem Buch Chef- und Oberärzt*innen ein »Heft des Handelns« an die Hand geben, mit dessen Hilfe sie das fordernde Aufgabenspektrum dauerhaft bewältigen und wirksam gestalten können.
Dr. med. Barbara Hogan, MBA
Werner Fleischer, Dipl.-Päd.
Wir bemühen uns, alle Texte nach modernen Richtlinien zu gendern. Sollte es in manchen Fällen wegen der besseren Lesbarkeit nicht möglich sein, gilt die männliche oder neutrale Form für alle Geschlechtsformen (männlich, weiblich, divers). Feststehende Begriffe wie beispielsweise »Ärztekammer«, »Mitarbeiterführung«, »Chefarztwechsel« oder »Mitarbeiterjahresgespräch« bleiben unverändert.
Einleitung
Klinikstrategie »Attraktiver Arbeitgeber«
Zukunftsfragen von Kliniken 
Lange Zeit galt die Wirtschaftlichkeit als Hauptproblem vieler Klinken und Krankenhäuser in Deutschland. Inzwischen hat sich ein weiteres gewichtiges Problem hinzugesellt: Fachkräftemangel. Für viele Mediziner*innen und Pflegekräfte stellt der anstrengende Klinikalltag mit seinen immer gegenwärtigen Sparzwängen längst keine Perspektive für ein erfülltes Arbeitsleben mehr dar. Es besteht also dringender Handlungsbedarf für die meisten Kliniken. Dabei geht es in der Konsequenz um die Entwicklung einer Klinikstrategie als »Attraktiver Arbeitgeber«. Dies wird zum Knotenpunkt eines Prozesses, der alle Leitungskräfte konsequent einbindet und Antworten auf aktuell drängende Fragen findet:
• Wie halten wir gute Mitarbeitende?
• Wie erhalten wir deren Motivation?
• Wie können wir die größer werdende Gruppe der über 55-jährigen Mitarbeitenden integrieren?
• Wie entwickeln wir die Qualifikation von sogenannten »High-Potentials« und die von sogenannten »B-Playern«?
• Wie integrieren wir Mitarbeitende mit Migrationshintergrund?
• Wie stellen wir zu jeder Zeit den optimalen Informationsfluss über alle Ebenen und Berufsgruppen sicher?
• Wie machen wir für unsere Mitarbeitenden Familie und Beruf vereinbar?
• Wie machen wir unsere Klinik für Bewerber*innen attraktiv?
Gemeinsame Werte als Basis einer Klinikstrategie
Eine Klinikstrategie »Attraktiver Arbeitgeber«, mit der sich alle Leitungskräfte identifizieren können und die sie top-down über alle Hierarchien mit Leben füllen können, braucht eine solide Basis. Sie besteht aus der Orientierung an gemeinsamen Werten. Diese werden als Klinikleitsätze sowie als Führungsleitsätze gemeinsam entwickelt und formuliert bzw. gemeinsam überprüft und ggf. verändert. Sie finden ihren Ausdruck im täglichen Verhalten der Leitungskräfte.
Führungsverhalten muss Leitsätze widerspiegeln 
In vielen Häusern existieren bereits Leitbilder. Jedoch sind sie häufig kaum bekannt und im Alltag nicht »in aller Munde«. Damit vorhandene Leitbilder nicht zu ungenutzten Worthülsen verkommen, müssen sie gemeinsam im Leitungsteam überprüft, aktualisiert und in Führungsleitsätze übersetzt werden. Entscheidend für die Wirksamkeit dieser Leitsätze ist, dass sie von allen Führungskräften mitgetragen, vorgelebt und kommuniziert werden. Erst wenn die in den Leitsätzen definierten Regeln und Werte in das tägliche Führungsverhalten einfließen, gewinnen sie Kontur und stiften Sinn.
Leitsätze fließen in Anforderungsprofil für neue Leitungskräfte ein 
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