Plötzlich winkte Will. Der Hauptdarsteller der Vorführung schaute hinter dem Vorhang hervor und deutete auf sie. »Das ist mein Freund. Hast du etwas dagegen, kurz in den Backstage–Bereich zu gehen?«
»Ganz und gar nicht.« Noah war noch nie hinter einer Bühne gewesen und er fand es ziemlich faszinierend, als sie an Kulissen und Beleuchtung entlang durch den engen Flur zu den Garderoben gingen. Ein paar der Bühnenassistenten begrüßten Will oder klopften ihm auf den Rücken, als würden sie ihn gut kennen.
Will klopfte behutsam an die Tür der Hauptgarderobe und als ein Herein ertönte, traten sie ein.
Der Star der Produktion – ein gut aussehender, brünetter Typ mit nettem Lächeln – umarmte Will auf eine Weise, die ein wenig zu innig für eine freundschaftliche Geste zu sein schien. Hatten die beiden eine Vergangenheit?
»Schön dich zu sehen«, sagte der Schauspieler und plötzlich hatte Noah den Eindruck, dass er störte. Also hielt er sich zurück. »Wir vermissen dich hier.«
»Ich vermisse es manchmal auch«, erwiderte Will, als er sich aus der engen Umarmung löste. »Das Stück ist immer noch so großartig wie eh und je.«
Als der Schauspieler Will über die Schulter sah, drehte dieser sich um, als wäre ihm plötzlich wieder eingefallen, dass er Noah mitgenommen hatte. »Len, das ist mein… Kollege Noah.«
Noah trat vor, um ihm die Hand zu schütteln. »Schön dich kennenzulernen. War eine tolle Vorführung.«
»Danke, dass du da warst«, antwortete Len, aber dann glitt sein Blick wieder zu Will. Offenbar hatten sie sich viel zu erzählen. Daher hörte Noah aus einigem Abstand zu, wie sie über Beleuchtung, Kulissen und Schauspieler sprachen, die sie beide kannten. Er sah sich inzwischen in der winzigen Garderobe, die etwas chaotisch und vollgestopft war, um. Er konnte nicht anders, als sich… so vieles zu fragen. Will stellte sich mehr und mehr als Mysterium heraus und Noah war plötzlich froh, dass er die Gelegenheit gehabt hatte, einen Nachmittag mit ihm zu verbringen.
Auf dem Rückweg gingen sie erneut über den Bauernmarkt, wobei Will verkündete, dass er verhungere. Daher kaufte er Äpfel und Weintrauben, während Noah ihnen knuspriges Brot und Käse besorgte. Anschließend setzten sie sich mit ihrem improvisierten Picknick auf eine Bank.
»Frag ruhig«, sagte Will, nachdem er einen Bissen von seinem Granny Smith genommen hatte. Der Saft rann ihm übers Kinn. »Ich weiß, dass du es willst.«
Noah schnitt mit einem Kunststoffmesser ein Stück Käse für Will ab. »Was meinst du?«
Will deutete in Richtung Theater. »Warum ich aufgehört habe. Warum ich als Escort arbeite. Stimmt's?«
»Na ja, nun, da du es erwähnst…« Noah zuckte mit den Achseln und spürte, dass seine Wangen rot wurden. »Ich hatte den Eindruck, dass Len und du irgendwie eine Geschichte habt. Als wäre er vielleicht dein Ex?«
Will hörte auf zu kauen und fuhr sich übers Kinn. »So offensichtlich, ja?«
»Es war nicht so schwer, darauf zu kommen«, sagte Noah, während er nach einer Traube griff.
»Wir haben uns letztes Jahr getrennt. Es funktionierte einfach nicht zwischen uns und ich hatte sowieso eine Menge Familienscheiß um die Ohren. Zu dem Zeitpunkt habe ich auch entschieden, vom Theater wegzugehen. Ein sauberer Schnitt, ein neuer Anfang«, erzählte Will, und als Noah nur die Brauen hob, fuhr er fort. »Ich verdiene deutlich mehr und was den Laden angeht, habe ich einen geregelteren Schichtplan.«
Noah kaute nickend an einem Stück Brot, während er über Wills Worte nachdachte. »Hast du deinen Traum aufgegeben?«, fragte er schließlich.
Will sog zittrig die Luft ein. »Da bin ich mir noch nicht so sicher. Fürs Erste ist es eine Pause… während ich ein paar andere Sachen in Ordnung bringe.«
Sie schwiegen eine Weile, jeder in seinen Gedanken verloren. Noah sah stur geradeaus und beobachtete einen Jongleur, der nah der Straßenecke seine Kunststücke zeigte und vor sich einen Hut für Spenden von Passanten hingelegt hatte.
»Gefällt sie dir wenigstens? Die Arbeit als Escort?« Noah druckste etwas herum, als er fragte, nicht sicher, ob er damit eine Grenze überschritten hatte. Doch sie waren im Café so offen miteinander gewesen, warum also jetzt damit aufhören? Es war wirklich erfrischend. Keine Erwartungen, nur die Wahrheit.
Will zuckte mit den Schultern. »Manchmal. Irgendwie ist das auch Schauspielerei – man spielt eine Rolle. Das hilft mir, andere Teile meines Gehirns zum Schweigen zu bringen.«
Scheiße, an diese Schauspielkiste hatte Noah gar nicht gedacht, aber es ergab Sinn. Sein Bauch verkrampfte sich und er fragte sich, ob Will ihm ebenfalls eine Performance liefern würde.
»Sorgst du dich je um deine Sicherheit?« Die Frage rutschte ihm heraus, bevor er sich bremsen konnte.
Will drehte sich auf seinem Platz zur Seite und zog die Nase kraus. »Hast du vor, mit einem Messer vor mir herumzufuchteln? Mir zu drohen, mich abzustechen, wenn ich dir keinen blase?«
Heilige Scheiße. Noah lief puterrot an und erstickte allein bei der Erwähnung, dass etwas Körperliches zwischen ihnen geschehen könnte, beinahe an einer Weintraube.
»Ich zieh dich nur auf.« Will lachte leise, dann stand er auf und reckte sich. »Ich muss nach Hause. Aber ich gehe mit dir zur U–Bahn-Station.«
Unterwegs warfen sie ihren Abfall fort. Sobald die Treppe hinter ihnen lag, mussten sie in unterschiedliche Richtungen gehen.
»Ich muss hier entlang.« Will deutete auf das Gleis Richtung Downtown. »Wir sehen uns auf der Arbeit.«
»Klingt gut«, sagte Noah. »Und… danke noch mal.«
Aber seltsamerweise war er noch nicht bereit, sich zu trennen. Was, wenn Will Fragen hatte? Was, wenn sie noch etwas besprechen mussten?
Noah wollte gehen, doch dann blieb er stehen und rief Will über die Schulter zurück. »He, warte mal!« Es war doch wohl normal, ihre Nummern auszutauschen, oder?
Er zog sein Handy hervor und trat dichter an Will heran, damit die anderen Passanten an ihnen vorbeigehen konnten. »Falls sich irgendetwas ändert und du vor dem Wochenende Fragen hast, lass es mich wissen. Ansonsten treffen wir uns an der Penn Station. Dann können wir zusammen nach Long Island fahren.«
»Gute Idee. Es könnte ein bisschen auffällig sein, das auf der Arbeit zu erledigen.«
Nachdem sie rasch ihre Nummern ausgetauscht hatten, gingen sie ihrer Wege. Noah war sowohl für die Wende der Ereignisse als auch für den netten Nachmittag dankbar. Beides war unerwartet gewesen und auf dem Heimweg konnte er nicht anders, als die ganze Zeit über zu pfeifen, während er an das Wochenende auf Fire Island dachte. Vielleicht freute er sich sogar darauf.
Will
Will fand die Wochen vor der Party auf Fire Island irgendwie surreal. Auch wenn er mehrfach dieselbe Schicht wie Noah hatte, sprachen sie im Verkaufsbereich nicht viel miteinander und sahen sich auch nicht großartig an. Ein paar Mal erwischte er Noah dabei, dass er ihn anstarrte, bevor er schnell wieder wegsah. Aber Will machte sich in dieser Hinsicht ebenfalls schuldig.
Er entdeckte keine weiteren Narben an Noah, besonders, da sein Kragen und Haar die Stellen allzu gut bedeckten, aber er konnte dennoch nicht anders, als ihn näher zu betrachten. Noah war derselbe fröhliche, selbstsichere Verkäufer wie zuvor. Sein Stil unterschied sich von Wills, das war mal sicher, und deshalb hatte Will ihn als ein bisschen fies empfunden. Noah begrüßte Kunden fröhlich, sobald sie Home and Hearth betraten, während Will sich zurückhielt und es den Kunden ermöglichte, erst einmal die Lage zu sondieren, bevor er sich ihnen näherte.
Zweifelsohne war Noah der beste Verkäufer im Team und vermutlich auf der Überholspur Richtung Management unterwegs. Will war mit seinen durchschnittlichen Verkäufen zufrieden – dies war schließlich nicht seine Leidenschaft. Solange er seine Arbeit größtenteils gern erledigte und regelmäßig sein Gehalt bekam, reichte ihm das.
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