Will nickte. »Sie haben immer noch meine Nummer…?«
»Ja, natürlich. Abgespeichert in meinem Telefon«, sagte er etwas strenger. »Gehen Sie jetzt. Sie verdienen es, ein wenig Spaß zu haben.«
Um sicherzugehen, reichte Will ihm zusätzlich einen 20er.
Mr. Wilkens stopfte ihn schnell in die Tasche, bevor er sich nach rechts und links umsah und die Tür zuschob. »Geh schon, Junge.«
Junge. Gott, er war fast 29.
Will rannte in dem Gefühl zur Bahn, dass vielleicht alles gut laufen würde. Er hatte bisher nur einmal mit einem Kunden die Stadt verlassen und war damals so nervös gewesen, dass er seitdem sämtliche Angebote außerhalb der Stadt ausgeschlagen hatte. Aber dieses Mal würde er immer noch in der Nähe sein – na ja, zumindest nur ein paar Stunden Zugfahrt entfernt statt einen ganzen Flug –, sodass es sich machbar anfühlte.
Er traf sich mit Noah an der Penn Station, sodass sie zusammen nach Sayville fahren und von dort die Fähre nach Fire Island nehmen konnten. Noahs Lächeln wirkte etwas hölzern und er wischte sich immer wieder die Hände an den Oberschenkeln an. Insofern wusste Will, dass Noah ebenfalls nervös war.
Er war heute lässiger gekleidet als üblich und trug abgeschnittene Jeans mit ausgefransten Säumen zu einem oft gewaschenen T–Shirt, das seine Augenfarbe betonte. Will war froh zu sehen, dass Noah ein bisschen lockerer auftrat, wenn er mit seinen Freunden zusammen war.
Statt Will ein Ohr abzukauen, wie er es auf der Arbeit mit Kunden getan hätte, war Noah auch im Zug ungewöhnlich still. Aber nun war Max im Dienst und er hatte eine Rolle auszufüllen. Er hatte viel Erfahrung darin, dafür zu sorgen, dass seine Kunden sich wohlfühlten, und würde hoffentlich auch bei Noah in der Lage sein, seine Magie zu wirken.
Noah
Das einzige Wort, das Noah auf der Fahrt nach Fire Island durch den Kopf ging, war: peinlich. Worauf zum Teufel hatte er sich eingelassen? Hatte er vollkommen den Verstand verloren, dass er nicht nur einen Escort angeheuerte hatte, sondern auch noch dachte, dass er so eine Nummer vor seinen engsten Freunden durchziehen konnte?
Auf einmal war ihm so übel, dass er glaubte, sich übergeben zu müssen. Daher sprang er von der Bank auf und stürzte zur Reling der Fähre. Sie sollten in rund zwanzig Minuten auf Fire Island anlegen. Es wäre ein typischer Streich des Schicksals, wenn er sich vor Will die Seele aus dem Leib kotzen müsste.
Nein, Max. Als Escort hieß er Max. Während einer getippten Unterhaltung vor zwei Abenden hatten sie entschieden, über das Wochenende Wills Pseudonym zu verwenden. Es könnte besser sein. Leichter. Er konnte in die Rolle von Max schlüpfen, während er vorgab, Noahs Date zu sein, und sobald sie wieder in der Stadt und im Home and Hearth waren, würde er wieder zu Will werden. Diese Unterscheidung, hatte Will erklärt, könnte ihnen helfen, diese Veranstaltung in ihren Köpfen innerlich abzuspalten. Noah hatte zugestimmt, denn er wollte sicher nicht, dass sie sich nach diesem Wochenende bei der Arbeit unwohl miteinander fühlten.
Er sah aufs Wasser und schluckte die aufsteigende Magensäure herunter.
»Hey«, sagte Will hinter ihm und Noah zog die Schultern hoch. Gott, was hatte er nur getan?
Will strich mit den Fingern sacht über seinen Unterarm und Noah widerstand dem Drang, ihm nervös auszuweichen. »Nur ein Wort und ich nehme die nächste Fähre zurück. Unsere Kunden ändern öfter ihre Meinung. Ich weiß, es fühlt sich merkwürdig an, weil wir Kollegen sind.«
Und doch gefiel Noah die Vorstellung, allein aufzutauchen – schon wieder – auch nicht. Seine widersprüchlichen Gedanken machten ihn noch irre.
Er wandte Will das Gesicht zu. »Wirklich?«
»Nun, ja.« Will kratzte sich im Nacken. »Warte, welchen Teil meinst du?«
Ein Grinsen zupfte an Noahs Mundwinkel, aber er bremste sich. »Den, dass die Kunden ihre Meinung ändern.«
»Definitiv«, antwortete Will, stützte die Unterarme auf die Reling und sah hinaus aufs Wasser. »Anfangs kommt es ihnen wie eine gute Idee vor, aber dann werden sie nervös, flatterhaft… benehmen sich wie Freaks.«
»Ich bin weder flatterhaft noch ein Freak«, sagte Noah scharf. Solche Bemerkungen waren für ihn seit seiner Kindheit ein Grund gewesen, um einen Streit anzufangen. Er konnte nicht anders. »Ich bin nur…«
»Entschuldige, hab mich dumm ausgedrückt.« Will schüttelte den Kopf. »Es ist nur so, dass du mich für das ganze Wochenende gebucht hast. Daher könnte ich es verstehen, wenn es gerade ein bisschen zu viel für dich ist.«
Noah leckte sich die Lippen und überdachte seine nächsten Worte genau. »Ich dachte ehrlich gesagt eher, dass es für dich zu viel sein könnte.«
Will zog die Brauen zusammen. »Wie meinst du das?«
»Zu viel verlangt… du weißt schon… so zu tun, als ob… du dich zu mir hingezogen fühlst.« Noah wand sich und stellte fest, dass er Will nicht in die Augen sehen konnte.
Er schrak zusammen, als Will in sich hineinlachte, sah hastig zu ihm hinüber und verengte die Augen. Ausgerechnet das fand er lustig? Scheiß auf ihn.
»Du hältst dich offensichtlich für eine Art Troll«, sagte Will ungläubig. »Verdammt, wer hat es dir so verdorben? Dem würde ich ernsthaft gern den Arsch versohlen.«
Noah sah weg. Er würde auf keinen Fall erzählen, wie einer der ersten Männer, für den er geschwärmt hatte, mit seinem Ekel vor seinen Narben praktisch etwas in ihm zerbrochen hatte.
»Ich bin nur realistisch. Du wirst bald sehen, was ich meine«, murmelte Noah, während er Wills Erscheinung musterte, wie er es auch schon am Morgen in der Penn Station getan hatte. Sein T–Shirt betonte seinen Körperbau und Noah konnte sich genau vorstellen, wie seine Freunde darauf reagieren würde, ihn mit so einem attraktiven Mann zu sehen. »Du wirst perfekt zu ihnen passen.«
Plötzlich strich Will mit den Fingern direkt unter seinen Narben an seiner Schulter entlang. »Ist das der Grund? Sorgst du dich, was die Leute denken, wenn sie dich sehen?«
Noah zuckte vor der Berührung zurück und bemerkte sofort das Bedauern in Wills Blick. »Das hat nichts mit Sorgen zu tun. Es ist eine Tatsache. Männer ignorieren mich entweder oder machen einen großen Bogen um mich. So war das schon immer.«
Will seufzte. »Tja, ihr Verlust.«
Noah wandte sich schluckend ab. Er richtete den Blick auf die Fähre, die aufrecht durch die Wellen schnitt.
Er spürte den Blick von Wills warmen, braunen Augen auf sich, wollte sich ihm jedoch nicht stellen. Das Schlimmste war, dass Will bezahlt wurde, um den fürsorglichen Begleiter zu spielen, und war es nicht genau das, was an dieser ganzen Angelegenheit falsch war?
Noah holte tief Luft. Es war zu spät. Er musste akzeptieren, was er getan hatte. Vielleicht würde es nicht so schlimm werden. Will hatte sich letztendlich doch nicht als Arschloch erwiesen. Genau genommen war es bisher nicht gerade eine Strafe gewesen, Zeit mit ihm zu verbringen.
»Wir haben noch ein paar Minuten Zeit, bis wir anlegen. Also erzähl mir, wie Tonys Haus aussieht.«
»Okay, klar.« Sie setzten sich wieder auf die harte Bank in der Nähe eines älteren Pärchens, das sich an den Händen hielt. »Es ist ein ziemlich großes Strandhaus, das in den letzten Jahren runderneuert worden ist.«
»Teurer Geschmack?«, fragte Will.
»Eindeutig.« Noah nickte. »Ich werde dir nichts vormachen: Meine Familie hat auch Geld, aber ich… ich habe in den letzten Jahren mein eigenes Ding durchgezogen.«
»Gibt es einen besonderen Grund dafür?«, fragte Will zögernd. »Nicht, dass es mich etwas angeht.«
Noah wand sich. »Das ist eine längere Geschichte. Aber kurz gesagt: Meine Eltern können ziemlich… übergriffig sein.«
»Verstehe.« Will sah nachdenklich in die Ferne. »Werden sie auch auf der Party sein?«
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