Er war sich nicht sicher, wie ihr gemeinsames Wochenende verlaufen würde und ob er Noah anschließend noch mehr aus dem Weg gehen würde. Warum hatte Will sich überhaupt für die Buchung entschieden? Um Gottes willen, sie waren Kollegen, und in ein paar Tagen würden sie durch eine Überweisung vertraglich aneinander gebunden sein.
Doch Noah hatte an jenem Tag im Café so verwundbar ausgesehen und Will hatte instinktiv das Bedürfnis gehabt, ihm zu helfen. Ihn vielleicht sogar zu beschützen. Aber, um ehrlich zu sein, drehte sich ihm bei der Vorstellung, Noah einen anderen Escort zu empfehlen, der Magen um. Abgesehen davon wurde er dafür bezahlt, ein ganzes Wochenende auf Fire Island zu verbringen, wenn sie Glück hatten, bei perfektem Strandwetter.
Sie hatten sich beide dieselben Tage freigenommen, aber da sie nur selten miteinander zu tun hatten, hatte niemand auch nur mit der Wimper gezuckt. Unabhängig davon war es seit seiner Einstellung das erste Mal gewesen, dass er darum gebeten hatte, seine Schichten anzupassen. Daher war die Geschäftsführerin entspannt damit umgegangen.
Will und Noah mochten im Laden nicht viel miteinander reden, aber jenseits davon lagen die Dinge anders. Sie schrieben sich von Zeit zu Zeit und stellten sich Fragen, die das Wochenende betrafen. Will hatte an dem Nachmittag mit Noah auf dem Union Square Spaß gehabt. Daher fühlte es sich fast natürlich an, sich mit ihm abzusprechen.
Vielleicht waren sie mutiger, wenn sie sich nicht gegenüberstanden.
Also, was soll ich anziehen?, fragte Will eines Abends, als er schon im Bett lag. Wird das eine formelle Angelegenheit?
Nee, die Partys sind normalerweise ziemlich lässig. Die meisten tragen Shorts und Badesachen.
Cool. Und wie sieht es mit den Schlafgelegenheiten aus?
Es folgte eine lange Pause, die in Will die Frage weckte, ob er Noah durcheinandergebracht hatte.
Äh, ich bin mir nicht sicher. Ich habe im Strandhaus immer in demselben Schlafzimmer im ersten Stock übernachtet. Ich vermute, dieses Mal wird es genauso sein. Aber hey, wenn du lieber ins Hotel möchtest oder gern ein eigenes Zimmer hättest, ist das total in Ordnung.
Er konnte fast vor sich sehen, dass Noah ebenso rot anlief wie im Starbucks. Ganz anders, als er sich im Verkauf verhielt.
Keine Sorge! Ich soll so tun, als wären wir zusammen, weißt du noch?
Gott, das ist so dämlich. Es tut mir leid, dass ich dich unter Zugzwang gesetzt habe.
Tief durchatmen. Solange du nicht furchtbar schnarchst: Ich habe schon mit vielen Freunden in einem Bett geschlafen. Das klappt schon.
Zum ersten Mal fragte sich Will ernsthaft, was Noah sich abseits von Gesellschaft von diesem Geschäft wünschte. Er ging stark davon aus, dass es nicht körperlich werden würde, womit er vollkommen einverstanden war. Es war nicht nötig, diese Geschichte komplizierter zu machen, als sie ohnehin schon war, besonders auf der Arbeit.
Abgesehen davon hatte Noah ernsthaft entsetzt gewirkt, als Will ihn auf dem Bauernmarkt aufgezogen hatte.
In Ordnung. Lass es mich nur wissen, wenn sich etwas für dich… merkwürdig oder unangenehm anfühlt.
Wie wäre es, wenn wir den Dingen einfach ihren natürlichen Gang lassen? Denken wir nicht zu viel darüber nach. Und vergiss nicht, ich mache das schon eine Weile und ich bin ziemlich gut darin.
Aufleuchtende Punkte verrieten Will, dass Noah schrieb, aber seine kurze Nachricht passte nicht zu der Zeit, die er dafür benötigt hatte.
Okay… und danke noch mal.
Will schrieb das Noahs Nervenkostüm zu, was vermutlich bedeutete, dass es eine gute Idee wäre, sich noch etwas aneinander zu gewöhnen.
Als der Laden am folgenden Sonntag früher als üblich schloss, gingen Noah und er gleichzeitig hinter Kara, ihrer Managerin, nach draußen. Nachdem sie sich von ihr verabschiedet hatten, wandte Will sich an Noah, der es betont langsam angehen ließ. Vielleicht war er zu derselben Ansicht wie Will gelangt.
»Willst du direkt nach Hause?«, fragte Will.
»Ja, ich wollte mir was zu essen holen und dann meine Wohnung putzen«, sagte Noah. Er rümpfte die Nase, als handele es sich um eine unangenehme Aufgabe, was komplett dem Bild widersprach, das sich Will früher von Noah gemacht hatte. Er hatte sich seine Wohnung immer als makellos sauber und aufgeräumt vorgestellt. Aber das ging wieder zulasten seiner Vorurteile. Abgesehen davon konnte man durchaus ein nettes Zuhause haben und trotzdem nicht gern putzen. Wer hatte schon ernsthaft Spaß daran, eine Toilette zu schrubben?
»Hallo, Jungs«, sprach ihre Kollegin Samantha sie an und erschreckte sie damit. Sie musste in den Bagelladen gegangen sein, um sich den Becher dampfenden Kaffee zu holen, von dem sie gerade trank. Sie sah schuldbewusst von einem zum anderen, als ob sie ihr Gespräch unterbrochen hätte, und wünschte ihnen dann abrupt einen schönen Abend.
Noah musste es ebenfalls aufgefallen sein, denn er rief ihr nach. »Was hast du heute Abend vor?«
Sie drehte sich lächelnd um. »Mich mit meinem Freund in SoHo zum Essen treffen.«
»Viel Spaß«, antwortete Noah, als sie zur U–Bahn lief. Als er sich wieder an Will wandte, stieß er die Luft aus. »Also, was meinst du?«
Vielleicht war das doch eine schlechte Idee. Nur warum sollten sie sich nicht miteinander unterhalten? Sie waren Kollegen, verdammt noch mal. »Ich habe Lust auf Teigtaschen von Veng's. Hast du Lust mitzukommen, damit ich dir weitere Fragen stellen kann? Wir können die A nehmen und von da zur 34. laufen.«
Noah riss die Augen auf und schluckte mühsam. Für den Bruchteil einer Sekunde war Will überzeugt, dass Noah ihn abweisen würde, und er wollte sich schon für den Vorschlag treten.
Dann schielte Noah zur nahen Straßenkreuzung. »Klar. Gehen wir zu Fuß?«
Erleichterung durchflutete Will. »Perfekt.«
Er hatte an diesem Abend nichts vor und seine Mom war mit einem Freund essen gegangen, der sie alle paar Wochen besuchte. Insofern hatte Will ein paar Stunden Zeit, selbst wenn er zu Hause die Toilette hätte putzen können. Aber wie spannend war das schon? Er hatte neben seinen beiden Jobs schon genug zu erledigen und er hasste es, zu viele Abende hintereinander unterwegs zu sein, für den Fall, dass seine Mom in ihrer Wohnung durchdrehte. Es fühlte sich einfach besser an, wenn er vor Ort nach ihr sehen konnte – was dafür sorgte, dass er wegen des Wochenendes auf Fire Island reichlich nervös war. Außerdem: Je mehr er wusste, desto besser.
Sie hielten Small Talk, als sie sich über die volle Straße vom Rockefeller Center entfernten.
»Also, stell mir mal deine Fragen«, sagte Noah, sobald sie zwischen sich etwas mehr Platz auf dem Bürgersteig hatten.
»Magst du mir von deinen Freunden erzählen, die ich nächstes Wochenende kennenlernen werde?«
»Gute Idee.« Sie übersahen beinahe ein Taxi, das über die überlaufene Kreuzung schleuderte, und Will wunderte sich, dass es nicht zu mehr Unfällen kam. »Wie gesagt kenne ich Tony mein ganzes Leben lang. Ein totaler Playboy, bis er Matt kennengelernt hat.«
»Den Mann, dem er den Antrag machen wird?«, fragte Will.
»Genau.« Noah nickte. »Er hat sich Hals über Kopf in ihn verliebt und ich muss zugeben, dass sie perfekt füreinander sind.«
»Cool«, sagte Will. Am Rande fragte er sich, wie viele Beziehungen Noah über die Jahre gehabt hatte; besonders, wenn man überlegte, wie er jetzt über sein Liebesleben sprach. »Also… Deine Freunde werden uns Fragen stellen, wie wir uns kennengelernt haben.«
»Mist. Darüber habe ich gar nicht nachgedacht.« Noah holte ein paarmal kontrolliert Luft, als wollte er sich beruhigen. »Du bist gut hierbei.«
Nun war Will froh, dass er Noah gefragt hatte, ob er ihn begleiten wolle. Er war nervöser, als Will anfangs vermutet hatte.
Er lachte leise. »Es hilft eindeutig, wenn man sich abgesprochen hat. Erst recht, wenn man eine Veranstaltung mit anderen Leuten besucht«, erklärte er. »Wenn es nur um den Kunden und mich geht, ist das natürlich egal.«
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