Noah strauchelte beim Gehen. »Moment mal, also bist du manchmal auch mit demjenigen allein?«
»Nun, ja«, erwiderte Will behutsam. Es kam ihm vor, als sollte er vorsichtig sein, um Noah mit seinen folgenden Worten nicht abzuschrecken. »Manchmal möchte meine Kundschaft nur… Gesellschaft.«
»Ja, okay. Das ergibt Sinn«, sagte Noah. Dann brachten sie schweigend ein oder zwei Blocks hinter sich. Will überlegte, worüber zum Teufel Noah wohl grübelte. Verglich er sich mit Wills anderer Kundschaft oder dachte er über das kommende Wochenende nach?
»Macht dir das zu schaffen?«, fragte Will schließlich. Wahrscheinlich war es besser, offen darüber zu reden.
»Ich denke nicht?«, antwortete Noah, als wäre er sich nicht sicher. »Das sind nur Sachen, über die ich vorher nicht nachgedacht habe. Und abgesehen davon geht's mir im Grunde ja um dasselbe.«
»Stimmt«, entgegnete Will vorsichtig. »Gesellschaft, die dir durch eine unangenehme Situation hilft.«
Eine gewisse Schwere lag zwischen ihnen in der Luft, als sie in die Park Avenue abbogen.
»Wäre es dumm, einfach zu behaupten, dass wir uns auf der Arbeit kennengelernt haben?« Noah schien angestrengt nachzudenken. »Das würde zumindest stimmen.«
Will sah nachdenklich in die Ferne. »Es ist nicht dumm, aber… langweilig. Wenn wir schon eine Show abziehen, können wir auch aufs Ganze gehen.«
Noah fuhr zusammen. »Inwiefern aufs Ganze?«
»Lass mich mal nachdenken.« Will grinste teuflisch. »Vielleicht so eine Schicksalskiste wie in romantischen Komödien. Unsere Blicke sind sich quer durch den Raum begegnet, irgendwie so was. Denn, warum nicht?«
Noah schüttelte den Kopf, als würde die Idee ihn abstoßen, auch wenn Will nur versucht hatte, die Stimmung aufzulockern. »Keine Chance, dass sie uns das abkaufen würden«, spottete er. »Ich würde es jedenfalls nicht.«
»Was? Bist du in deinem Herzen etwa kein Romantiker?«, zog Will ihn auf.
»Verdammt, nein«, antwortete Noah und verdrehte die Augen. »Ich bin unübersehbar Realist.«
»Oh, wie gut ich das verstehe«, stimmte Will ihm zu und klatschte ihn mit der Faust ab.
»Also bleiben wir bei der Arbeitsversion?«, fragte Noah.
»In Ordnung. Ich habe in erster Linie rumgeblödelt.«
»Oh. Verstehe.« Noahs Wangen wurden rot und aus irgendeinem Grund fand Will das süß. »Okay.«
Nachdem sie bei Veng's ihr Essen geholt hatten, gingen sie mit ihrer Tasche über die Straße in einen winzigen Park. Dort setzten sie sich auf eine Bank und aßen.
»Das sind die besten Teigtaschen, die ich je in der ganzen Stadt gegessen habe.«
»Hab's dir ja gesagt«, sagte Will und wischte sich mit einer Serviette den Mund ab. »Danke fürs Mitkommen.«
»Gern geschehen«, gab Noah zurück und lächelte schüchtern, während er sich weitere Sesamsoße nahm.
Sobald sie satt waren, stand Noah auf, um die leeren Verpackungen wegzuwerfen. Wills Handy kündigte eine Nachricht seiner Mutter an. Ich bin zu Hause, Schatz.
Das war sein Signal zum Aufbruch. Er schrieb zurück: Bin bald da.
»Tja, ich gehe besser«, sagte Will im Aufstehen und reckte sich. Er war überraschend enttäuscht. Mit Noah abzuhängen, war eine nette Abwechslung von seiner üblichen Routine gewesen.
»Ja, ich auch«, sagte Noah, als sie zur nächsten U–Bahn–Station liefen. »Schreib mir, falls dir vor dem Wochenende noch irgendetwas einfällt.«
***
Ein paar Abende später verließ Will halbwegs früh das Home and Hearth und nahm auf dem Heimweg Essen aus dem Lieblings–Thairestaurant seiner Mom im East Village mit.
»Hey, Ma«, sagte er, als er durch die Tür kam, und hielt die Tasche hoch. Sie saß auf der Couch und sah sich eine ihrer bevorzugten Reality Shows an, die Hausfrauen verschiedener Städte vorstellte. Sie wirkte ruhig und zufrieden, auch wenn sie noch ihren Morgenmantel trug.
Nachdem sie Will geholfen hatte, die Behälter aus der Tasche zu nehmen, und er Gabeln und Teller aus der Küche geholt, klopfte sie neben sich aufs Polster. »Komm, setz dich zu mir. Zwischen den beiden fängt gleich die Schlammschlacht an.«
Will starrte auf den Bildschirm, der zwei Frauen zeigte, die sich anzuschreien begannen. »Ich weiß nicht, wie du die Streitereien ertragen kannst.«
Seine Mom kicherte. »Manchmal hilft es mir, mich daran zu erinnern, dass mein Leben dagegen ziemlich ruhig ist.«
»Ich verstehe, was du meinst«, antwortete Will und küsste sie auf die Wange. Sein Herz schlug schneller, als ihm aufging, dass dank der letzten Anpassung der Medikamente durch den Psychiater wirklich ein paar ruhigere Monate hinter ihnen lagen. Es hatte ein paar dubiose Abende gegeben, an denen sie nicht ganz sie selbst zu sein schien, aber dann hatte sie sich immer wieder gefangen.
»Denk daran, dieses Wochenende bin ich nicht da.«
Sie schielte ihn von der Seite an. »Sagst du mir noch mal, wo du hinwillst?«
»Zu einer Party auf Fire Island«, antwortete er. »Mit meinem Freund Noah. Er ist ein Kollege von mir.«
»Noah? Warum habe ich nie zuvor von ihm gehört?«
Will versteifte sich bei dieser Frage. »Er ist eine neuere Bekanntschaft.«
»Oh, das ist schön, Schatz. Du arbeitest sowieso zu viel. Eine Auszeit wird dir guttun«, sagte sie, bevor sie über etwas im Fernsehen lachte.
»Jedenfalls fahre ich morgens los«, erinnerte er sie erneut. Dann stand er auf, um ihre Teller abzuräumen.
»Klingt lustig. Und auch so, als könnte es ein bisschen schicker werden. Hast du etwas Nettes anzuziehen?«
»Ja, ich glaube, ich bin versorgt«, erwiderte er, während er gedankenverloren die Teller abwusch. Danach setzte er sich wieder zu ihr, um ihr während der Show ein bisschen Gesellschaft zu leisten.
Er konnte sich nicht erinnern, was er vor der Schlafenszeit sonst noch tat, so sehr war er gedanklich bei den Plänen fürs Wochenende.
Als es Morgen wurde, fühlte sich Will, als hätte er sich die ganze Nacht lang von einer Seite auf die andere gewälzt und die Nervosität war wieder da. In erster Linie, weil er seine Mom allein lassen musste. Er hätte Oren aufsuchen und sich einen Tee holen sollen, aber er hatte zu viel Sorge gehabt, dass er ihm das Herz ausschütten und sich die Sache vielleicht sogar ausreden lassen könnte.
»Denk daran«, sagte er, als seine Mom im Morgenmantel an der Arbeitsplatte stand und sich eine Tasse Kaffee einschenkte. »Du kannst mir immer schreiben oder mich anrufen.«
»Du machst dir zu viele Sorgen«, sagte sie gähnend. Dann tätschelte sie ihm die Wange. »Du bist ein guter Sohn, William. Ich wünschte, du würdest jemand Netten finden, der dich glücklich macht.«
Sein Herz schlug hart in seiner Brust. Manchmal wurde er wütend auf sie, besonders, wenn sie zu sorglos mit ihren Medikamenten umging. Aber verdammt, das Schicksal hatte ihr wirklich miese Karten zugespielt. Sie war ihm immer eine gute Mutter gewesen und selbst wenn sie an Wahnvorstellungen gelitten hatte, hatte sie immer nur sich selbst geschadet. Wenn sie auf der Straße herumlief oder sich in vermeintlichen Bunkern versteckte, weil die Regierung hinter ihr her sei, brachte sie sich selbst in Gefahr. Will hatte dann ständig Angst, dass sie vor ein Auto lief oder jemand wütend genug auf sie werden könnte, um sie zusammenzuschlagen und halb tot liegen zu lassen.
»Du machst mich glücklich. Das ist für den Moment alles, was ich brauche.«
Will verließ die Wohnung und ging ins Erdgeschoss, um an die Tür des Hausmeisters zu klopfen. Das Gebäude gehörte einem älteren Paar, das sich seiner Mom gegenüber sehr anständig verhalten hatte – und solange er ihnen einen kleinen Bonus auf die Miete zahlte, war alles gut. »Ich wollte Sie nur daran erinnern, dass ich das ganze Wochenende weg sein werde.«
Mr. Wilkens lächelte. »Genießen Sie es. Es wird ihr gut gehen. Meine Frau wird ein paarmal nach ihr sehen.«
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