Stuttgart/Ulm, Januar 2016
Joanna Fietz, Jutta Schmid
Einführung und Grundlagen:
Was ist Ökologie?
Was genau versteht man eigentlich unter Ökologie? Betrachten wir die Wortbedeutung, so leitet sich der Begriff „Ökologie“ von den griechischen Wörtern oikos (Haus, Haushalt) und logos (Lehre) ab. Das bedeutet, Ökologie ist die „Lehre vom Haushalt“. Fragen wir nach der Definition von Ökologie, denken wir an den deutschen Zoologen Ernst Haeckel (1834–1919), der als enthusiastischer Anhänger von Charles Darwin (1809–1882) im Jahr 1866 den Begriff „Ökologie“ erstmals geprägt hat: „Unter Oecologie verstehen wir die gesamte Wissenschaft von den Beziehungen des Organismus zur umgebenden Außenwelt, wohin wir im weiteren Sinne alle ‚Existenzbedingungen‘ rechnen können“ (Haeckel 1866). Viele bedeutende Wissenschaftler haben seither die Definition von Ökologie unter verschiedenen Blickrichtungen modifiziert und konkretisiert. So erklärt beispielsweise der Ökologe und Limnologe Hartmut Bick (1998) Ökologie als „die Wissenschaft vom Stoff- und Energiehaushalt der Biosphäre und ihrer Untereinheiten (z.B. Ökosysteme) sowie von den Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Organismen, zwischen Organismen und den auf sie wirkenden Umweltfaktoren sowie zwischen den einzelnen unbelebten Umweltfaktoren“. Um diese teilweise doch recht abstrakten Definitionen anschaulicher zu machen und gleichzeitig die Faszination und die Bedeutung der Ökologie zu vermitteln, ist es vielleicht besser zu fragen, mit was sich Ökologen beschäftigen oder was sie interessiert.
Tatsächlich haben sich die frühen Ökologen hauptsächlich mit der geographischen Verbreitung und Abundanz von Organismen auseinandergesetzt. Dabei waren die Themengebiete häufig angewandter Natur, wie beispielsweise die Frage, wie viel Nahrung maximal aus natürlichen Lebensräumen über einen längeren Zeitraum hinweg wiederholt entnommen werden kann oder wie man Krankheitserreger erfolgreich bekämpft. In den letzten 50 Jahren hat die Ökologie, neben ihrer zentralen Bedeutung in der Umweltschutzbewegung, ihre Forschungsfelder insbesondere in der Grundlagenforschung jedoch erheblich erweitert und vertieft. Neue Teildisziplinen, wie beispielsweise die Ökophysiologie, welche physiologische Anpassungen und Reaktionen eines Organismus auf seine Umwelt untersucht, oder die Ökosystemforschung, die sich mit Stoffflüssen innerhalb von Ökosystemen beschäftigt, traten vermehrt in den Vordergrund.
Aufgrund der komplexen Interaktionen innerhalb eines Ökosystems und der daran beteiligten physikalischen und chemischen Prozesse hat die Ökologie zahlreiche Schnittstellen mit anderen Naturwissenschaften, wie der Physik, der Chemie und den Geowissenschaften. Um das Zusammenspiel von Organismen mit ihrer Umwelt besser und umfassender zu verstehen, ist zudem die Verknüpfung mit Fachrichtungen innerhalb der Lebenswissenschaften, wie Physiologie, Evolutionsbiologie, Genetik, Verhaltensbiologie oder Biochemie, unerlässlich. Am anschaulichsten wird dieser interdisziplinäre Rahmen an einem einfachen Beispiel: Nehmen wir einmal an, Sie führen eine wissenschaftliche Studie durch, deren Ziel es ist, zu verstehen, wodurch die Abundanz und die geographische Verbreitung der bei uns besonders gefährdeten Haselmaus (Muscardinus avellanarius) beeinflusst werden. Zunächst einmal werden Sie eine Monitoringstudie durchführen, bei der Sie untersuchen, wo diese Art überhaupt vorkommt und aus wie vielen Individuen die Populationen der unterschiedlichen Standorte bestehen. Um zu erfahren, welche Ressourcen für diese Art von zentraler Bedeutung sind, ist es zudem notwendig, Verhaltensbeobachtungen durchzuführen. Anhand dieser Verhaltensbeobachtungen werden Sie z.B. erfahren, was genau die Haselmaus zu unterschiedlichen Jahreszeiten frisst, wo sie ihre Ruhephasen verbringt und wie sie ihre Jungtiere aufzieht, also welche Schlüsselressourcen sie benötigt, um zu überleben und sich zu reproduzieren. Ebenso sind wir aber auch auf Kenntnisse aus der Physiologie über Stoffwechselprozesse und Thermoregulation angewiesen, um zu verstehen, bei welchen klimatischen Bedingungen diese Art physiologisch an ihre Grenzen stößt. Nur so können wir den Winterschlaf und den Tagestorpor der Haselmaus als physiologische Anpassung an Kälte und Nahrungsknappheit im Detail erforschen. Für das Durchführen von Schutzmaßnahmen, die es dieser besonders geschützten Art ermöglichen soll, in unserer Landschaft zu überleben, benötigen wir zudem Kenntnisse aus den Bereichen der Geographie und der Klimatologie. Mit diesen Informationen können wir analysieren und Modelle entwickeln, in welchen Gebieten diese Art potentiell vorkommen könnte, auch wenn sie an diesen Stellen eventuell lokal ausgestorben ist. Die Evolutionsbiologie vermittelt als weitere Wissenschaftsdisziplin das Verständnis für die Mechanismen der evolutiven Veränderungen und der natürlichen Selektion wonach nur jene Individuen überleben und sich erfolgreich fortpflanzen, welche Merkmale aufweisen, die unter den vorherrschenden sich aber ständig ändernden Umweltbedingungen von Vorteil sind. So kann man davon ausgehen, dass die Klimaerwärmung in den nächsten Jahrzehnten insbesondere auf das Überleben kleiner winterschlafender Arten einen bedeutsamen Einfluss haben wird. Zu guter Letzt müssen wir aber auch den Einfluss des Menschen bei unseren Studien mit berücksichtigen. Durch die hohe Bevölkerungsdichte und die damit einhergehende Intensivierung der Landnutzung werden die natürlichen Lebensräume der Haselmaus in großem Maße zerstört. Zur Bewahrung der biologischen Artenvielfalt setzt sich die Naturschutzökologie daher für die Wiederherstellung und den Schutz gefährdeter Lebensräume mit ihren Lebensgemeinschaften ein. Dieses simple Beispiel macht deutlich, dass die Ökologie zahlreiche Schnittstellen mit anderen Wissenschaftsdisziplinen hat und Ökologen sowohl angewandte Forschung als auch Grundlagenforschung betreiben.
In erster Linie ist der Ökologe ein Wissenschaftler, der, wie andere Wissenschaftler auch, Fragen stellt. Er formuliert Hypothesen, beobachtet, führt Experimente durch und sammelt Daten, die er statistisch analysiert und, wenn möglich, zu Modellen entwickelt, die ihm Vorhersagen erlauben. Forschen ist ein stetiger Prozess, um Erklärungen für die Vielfalt an Naturphänomenen zu finden und diese in einen Gesamtzusammenhang zu stellen. In der heutigen Zeit ist es uns möglich, viele der früher nur im Labor nutzbaren Techniken und Methoden auch im Freiland erfolgreich einzusetzen. Letzten Endes ist die ökologische Forschung, egal ob mittels Labor- oder Freilandexperimenten, für die Beantwortung aktueller Umweltfragen von großer Bedeutung und macht dem interessierten Ökologen schlicht und einfach auch Spaß.
1 Umweltbedingungen
Bei manchen Arten haben wir den Eindruck, sie würden eigentlich überall vorkommen und hätten keine besonderen Ansprüche an ihren Lebensraum. Trotzdem sollten wir uns klarmachen, dass alle Arten auf dem größten Teil der Erde nicht vorkommen und die jeweiligen geographischen Verbreitungsmuster sehr spezifisch sind. So hat jede Art ganz bestimmte Bedürfnisse bezüglich der Ressourcen, die sie benötigt, und der klimatischen Bedingungen, um zu überleben und sich erfolgreich zu reproduzieren. Betrachten wir beispielsweise die Kohlmeise (Parus major), eine Art, die bei uns relativ weit verbreitet ist. Kleine Endotherme, wie die Kohlmeise, haben aufgrund ihrer geringen Körpergröße eine relativ große Körperoberfläche über die sie, insbesondere bei niedrigen Umgebungstemperaturen, viel Energie in Form von Wärme verlieren. Sie müssen daher bei tiefen Umgebungstemperaturen zusätzliche Energie zur Wärmeproduktion verwenden und geraten schneller als große Endotherme an die Grenzen ihrer Regulationsmöglichkeiten. Folglich sind vor allem kleine Endotherme, wie die Kohlmeise in unserem Beispiel, in ihrer geographischen Ausbreitung durch klimatische Faktoren limitiert und können in Gebieten, in denen ihre thermoregulatorischen Kosten nicht durch Futteraufnahme kompensiert werden, nicht vorkommen. Kohlmeisen sind typische Höhlenbrüter und daher für die Fortpflanzung auf das Vorkommen von geeigneten Baumhöhlen angewiesen. Eine geeignete Baumhöhle ist trocken und schützt die Brut durch einen relativ engen und tiefen Eingang vor potentiellen Nesträubern, wie z.B. Mardern (Mustelidae), Spechten (Picidae) und Rabenvögeln (Corvidae). Eine solche Baumhöhle stellt eine limitierte Ressource dar und die Kohlmeisen konkurrieren sowohl mit anderen Kohlmeisen, als auch mit anderen Höhlenbrütern, wie z.B. mit Kleibern (Sitta europaea), um diese kostbare Ressource. Natürlicherweise kommen solche Höhlen aber nur in relativ alten Baumbeständen vor. Für den Nestbau benötigt die Meise Moos, Tierhaare, Federn und Halme, und um ihre Jungen erfolgreich großzuziehen, proteinreiches Futter, wie z.B. Blattläuse, Raupen und Spinnen, die ebenfalls in Bäumen und Büschen zu finden sind. Während der Jungenaufzucht sind beide Meiseneltern pausenlos im Einsatz, um ausreichend Futter einzutragen und kommen in Spitzenzeiten im Minutentakt zum Füttern an die Bruthöhle. Stehen die Bäume mit den Nahrungsressourcen in großer Distanz zueinander, müssen die Meisen weite Strecken beim Eintragen des Futters zurücklegen und verbrauchen dabei entsprechend viel Energie. Sind diese Distanzen zu groß, kann es sein, dass die Meisen nicht ausreichend Futter für ihre Jungtiere eintragen können und diese verhungern. Ältere Laubmischwälder bieten Meisen daher einen geeigneten Lebensraum, da sie hier die für ihre Fortpflanzung notwendigen Ressourcen finden.
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