Stechapfel, Mandragora, Tollkirsche, Bilsenkraut und Engelstrompete enthalten u. a. das giftige Skopolamin (Hyoszyamin), das in kleinen Dosen beruhigend und vegetativ stabilisierend wirkt. Es ist ebenso wie das entspannende und stimmungsaufhellende Cannabis aus dem Harz der (indischen) Hanfpflanze im assyrischen Herbal erwähnt, einer Rezeptsammlung aus dem 3. Jahrtausend v. Chr., die 250 Pflanzenstoffe und andere Heilmittel enthält. In der altindischen und altchinesischen Medizin jener Zeit war der Hanf ebenfalls als Drogenpflanze gebräuchlich.
Der aufmunternde Effekt des Hypericumöls aus Johanniskraut, seit der Antike bekannt und fester Bestandteil der mittelalterlichen Klostermedizin, hat inzwischen seinen Platz im Arsenal antidepressiv wirkender Medikamente zurückgewonnen. Der Wander- und Wunderarzt Paracelsus (1493–1541) bezeichnete es als „Arnica der Nerven“.
Zu den ältesten Mitteln zur Auflockerung und Verbesserung der Stimmung gehört zweifellos der Alkohol. Im altägyptischen Papyrus Ebers (um 1600 v. Chr.) ist Palmwein wiederholt als Arzneibestandteil genannt, auch zum Einsatz gegen Schwermütigkeit. In den früheren Irrenanstalten war Alkohol ein gebräuchliches Medikament gegen Melancholie, Angstzustände und Schlafstörungen.
Der Hallenser Medizinprofessor Friedrich Hoffmann (1660–1742), dessen berühmte Hoffmannstropfen, ein Alkohol-Äther-Gemisch, als 12Mittel zur Entspannung jedermann bekannt waren, sprach dem Wein die Eigenschaft zu, Sorgen, Furcht und Traurigkeit zu verjagen und fröhlich, beherzt und kühn zu machen. Die beruhigend-entkrampfende Wirkung von Klosterfrau-Melissengeist, einer Mixtur aus Alkohol und Melissenöl, wird bis heute genutzt.
Mit Etablierung der medizinischen Heilkunde im antiken Griechenland traten an die Stelle religiös-vorwissenschaftlicher Auffassungen über die Ursachen von Krankheiten rationale Hypothesen. Auf den „Vater der Medizin“, Hippokrates von Kos (um 460–370 v. Chr.) bzw. seine Vorgänger im 5. Jahrhundert v. Chr., geht zum einen die These vom Gehirn als Sitz geistig-seelischer Fähigkeiten zurück, zum anderen die Vorstellung, dass ein schädliches Übermaß an schwarzer Galle (griechisch: melane cholos) – Schwarzgalligkeit – zu Depressionen führt. In den Hippokratischen Schriften (Aphorismen VI) werden als Kennzeichen eines melancholischen Zustands u. a. eine länger anhaltende Angst und Traurigkeit genannt. In seinem medizinischen Sammelwerk „Artes“ behandelte der herausragende römische ärztliche Schriftsteller Celsus (um 25 v. Chr. bis 50 n. Chr.) auch die Geistes- und Gemütsstörungen; der Melancholiker wurde als erschöpft und langsam, gereizt und schlaflos, aber auch als schreckhaft und geplagt von Angst charakterisiert.
Der kosmopolitische Grieche Galen von Pergamon (129–216), zeitweilig Leibarzt der römischen Kaiser, formte schließlich aus dem Hippokratischen Konzept im 1. Jahrhundert n. Chr. eine streng systematisierte Krankheitslehre, derzufolge alle Krankheiten auf einem Ungleichgewicht der vier Körperflüssigkeiten Blut, Schleim, gelbe Galle und schwarzer Galle beruhten. Diese Viersäftelehre, Humoralpathologie genannt, hatte bis weit ins 18. Jahrhundert Gültigkeit. Erstmals während der Renaissance infrage gestellt, verschwand sie erst Mitte des 19. Jahrhunderts endgültig aus der wissenschaftlichen Medizin.
Folgerichtig bestand die Behandlung im Prinzip aus einer Ableitung bzw. Regulierung der Körpersäfte durch Aderlass, Schröpfen und Abführmittel, außerdem durch eine Regelung der Lebensweise und Verabreichung von pflanzlichen Heilmitteln. Konstantin Africanus, berühmter Medizintheoretiker und Verfasser etlicher Lehrbücher an der damals führenden Medizinschule von Salerno, empfahl um 1080 n. Chr. als Rezept gegen Melancholie eine Mixtur aus Thymian, Safran, weißem und schwarzem Nieswurz (lat. Helleborus), Wasser, Zucker und Most. Insbesondere der giftige Nieswurz sollte über Jahrhunderte eines der gebräuchlichsten Mittel zu Melancholiebehandlung bleiben. Nieswurzextrakt verursacht Erbrechen und Durchfall mit schwarzem oder blutigem 13Stuhl, was den irrigen Glauben stützte, der Körper werde von einem krankmachenden Übermaß an schwarzer Galle gereinigt.
Die Idee von der Notwendigkeit einer Entgiftung, einer „Entschlackung“ des Körpers durch Fasten, Schwitzen oder Trinkkuren blieb bis heute lebendig, obgleich sie einer wissenschaftlich-physiologischen Überprüfung nicht standhält. Zeitweilig erreichte sie im 19. Jahrhundert aberwitzige, exzessive Höhepunkte: Aderlässe – manchmal mit tödlichem Ausgang –, alle möglichen Brech- und Abführmittel, Klistiere, Blutegel und Schröpfköpfe sollten auch die vermuteten Ursachen psychischer Leiden wie giftigen Schleim, Galle, Säuren und unverdaute Nahrungsstoffe aus dem Körper befördern.
Seit Jahrtausenden wird in Südamerika der stimulierende Effekt des Genusses von Blättern der Coca-Pflanze genutzt. Nach chemischer Entschlüsselung ihres stimulierenden Wirkstoffes Kokain Mitte des 19. Jahrhunderts verbreitete sich dieser aufgrund seiner euphorisierenden, anregenden Wirkung bald in Europa und avancierte zu einer gefragten Droge, obgleich deren Suchtpotenzial längst bekannt war. Sigmund Freud (1856–1939), Begründer der Psychoanalyse, schätzte Kokain als harmloses Heilmittel ein und empfahl es – auch aus eigener Erfahrung – zur Aufheiterung und Verbesserung des körperlichen wie psychischen Leistungsvermögens. Heute zählt Kokain zu den vor allem in der Schickeria-Szene beliebten, „harten Drogen“, deren Herstellung und Besitz wie bei Heroin und anderen Rauschmitteln strafbar sind.
Trotz großer Erfahrungen in der Kräutermedizin, deren Tradition in den Klöstern gepflegt wurde, verlor sich die mittelalterliche Heilkunde infolge des damaligen wissenschaftsfeindlichen Weltbildes nach und nach in einem Dunst von Magie, Mystizismus und Alchemie mit – aus heutiger Sicht kaum vorstellbaren – abwegig spekulativen Behandlungsmethoden. Melancholie wurde als Laster, als sündhafte Haltung aufgefasst, die mit Faulheit, Müßiggang, Unlust, Stumpfsinn, Herzensträgheit und Verstocktheit – „Acedia“ genannt – gegenüber der göttlichen Gnade einhergeht. Sie wurde als verwerfliche Verneinung der Schöpfung zu den sieben Todsünden gezählt, die wie Hochmut, Geiz, Wollust, Zorn, Neid und Völlerei mit ewigen Höllenstrafen geahndet wurden.
Selbst der Reformator Martin Luther (1483–1546) schrieb seine eigenen Depressionen, die ihn von Jugend auf in Form von Trübsinnigkeit, Apathie, innerer Zerissenheit und Sündenangst bis hin zum Lebensüberdruss heimsuchten, Einflüssen des Teufels zu. Der englische Theologe Robert Burton (1577–1640) stellte die Melancholie als „Hölle auf Erden im Herzen des Menschen“ dar. Wurden an solcherart schwermütigen 14Personen ungewöhnliches Benehmen oder absonderliches Verhalten als Zeichen von Besessenheit gedeutet, fielen sie dem Exorzismus zum Opfer bzw. wurden als Hexen verfolgt. Ansonsten waren Gebete, Buße, Fasten, Exerzitien, Reliquienverehrung und Wallfahrten gebräuchliche Gnadenspender, um der Gemütsverfinsterung und dem pessimistischen Glaubenszweifel entgegenzuwirken.
Paracelsus empfahl – neben einem gottgefälligen, frommen Leben – gegen melancholische Anwandlungen Mixturen aus der schier unerschöpflichen alchemistischen Giftküche, in der außer pflanzlichen Mitteln tierische Exkremente und mineralische Präparate, sogar Leichenteile zusammengebraut wurden. Sie wurden von umherziehenden Quacksalbern und Heilkünstlern auf Jahrmärkten angeboten. Bestandteile des Theriaks, der universalen Wunderarznei zur Zeit des Spätmittelalters und der Renaissance, waren u.a. Opium, Kampfer, Baldrian, Zimt, Kardamon, Moschus, Bibergeil, spanische Fliege, Phosphor, Schwefel, Vitriol, Quecksilber, Weingeist und Salmiak. Aus der arabischen Medizin hatte die mittelalterliche europäische Heilkunde als Therapeutika gegen die verbreitete Melancholie neben Myrrhe, Kardamon, Wacholder, Passionsblume, Oleander und Gallbaum auch die Verabreichung von Gerstenschleim und Eselsmilch übernommen.
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