(Statthalter)
Die Statthalter waren vor allem für die Gerichtsbarkeit und die Eintreibung von Steuern und Abgaben verantwortlich. Auch die Durchführung kultischer Verrichtungen für das Heil Roms und des Kaisers sowie für lokale Gottheiten lagen in ihrem Aufgabenbereich. In seiner Amtsführung war ein Statthalter mehr oder weniger frei, sodass Grausamkeit und Ausbeutung ebenso möglich waren wie verständnisvolles Eingehen auf die jeweiligen lokalen Gegebenheiten.
(Lokale Verwaltung)
Erste Verwaltungsinstanz war in der Regel aber keine römische Institution, sondern die lokale Administration. Obwohl die Oberhoheit bei römischen Statthaltern lag, überließen diese viele Bereiche einheimischen Einrichtungen. Vor allem die Ebene der Stadt (πόλις/polis, lat. municipium, civitas) war dabei zentral. Ihre Leitung rekrutierte sich durch Wahl aus den führenden Geschlechtern der Stadt, die in der Lage waren, die finanziellen Belastungen eines Amtes, das unentgeltlich war, zu tragen. Die konkrete Ausgestaltung von Ämtern war aber je nach Stadt und deren Status unterschiedlich. Das entscheidende Gremium war der Rat (βουλή/boulē; lat. curia), dem gegenüber das Volk (δῆμος/dēmos; lat. populus) in römischer Zeit nur noch geringe Bedeutung hatte. Den beiden Gremien zugeordnet war Hilfspersonal wie Schreiber oder Aufsichtsorgane. Auch private Unternehmer erledigten Verwaltungsaufgaben, wie z. B. die Zöllner (τελῶναι/telōnai; lat. publicani), die Steuern und Abgaben erhoben.
2.1.3 Herrschaft in Palästina
Der Großraum Palästina umfasste in der Antike die Gebiete Paneas, Gaulanitis, Trachonitis, Batanäa, Auranitis, Galiläa, Dekapolis, Peräa, Samaria, Judäa, Idumäa sowie einige Küstenstädte wie Askalon/Gaza, Jamneia, Caesarea Maritima, Joppe, Apollonia und Ptolemais. Die Bezeichnung dieses geographischen Bereichs als Palaestina geht auf die Zeit Hadrians nach der Niederschlagung des Bar-Kochba-Aufstands zurück (135 n. Chr.; s. u. 3.5.3). Da er sich in der modernen Altertumswissenschaft als Oberbegriff durchgesetzt hat, wird „Palästina“ hier zur Beschreibung des Großraumes, den in unterschiedlichen Konstellationen Mitglieder der herodianischen Dynastie als Klientelfürsten sowie römische Verwaltungsbeauftragte beherrschten, verwendet.
(Herodes der Große)
An erster Stelle unter den Herrschern Palästinas ist Herodes zu nennen (37–4 v. Chr.), Begründer seiner Dynastie und König von Judäa, Samaria, Galiläa und Batanäa, der daher auch als Herodes der Große bezeichnet wird. Als Idumäer war er eigentlich kein Judäer, achtete aber die Bestimmungen der Tora. Er war als Klientelkönig ein enger Verbündeter des Augustus bzw. Tiberius und trieb die Hellenisierung Palästinas voran. Herodes baute Samaria wieder auf und gründete Caesarea Maritima als Hafenstadt. Er ließ die Paläste von Massada und Herodeion errichten und den Jerusalemer Tempel zu einer großartigen Anlage nach hellenistischem Vorbild umbauen. Hohepriester und Synhedrion, die innerjüdische Leitung, verloren unter ihm ihre traditionelle Macht. Widerstand, auch aus der eigenen Familie, wurde brutal gebrochen, was sich auch in der Erzählung vom Knabenmord in Bethlehem niederschlug (Mt 2,1–19). Herodes teilte sein Reich testamentarisch unter seine Söhne Archelaos, Herodes Antipas und Philippus auf.
(Archelaos / Präfekten)
Archelaos (4 v. Chr.–6 n. Chr.; vgl. Mt 2,22) wurde wegen Unfähigkeit, über die sich die Elite Judäas beschwerte, durch römische Beamte ersetzt. Diese trugen den Titel praefectus/Präfekt, waren ritterlicher Herkunft und untergeordnete Beamte des Legaten von Syrien für das Gebiet von Judäa, Samaria und Idumäa. Sie waren daher auch nicht im eigentlichen Sinn Statthalter. Zu dieser Riege gehörte u. a. Pontius Pilatus (26–36 n. Chr.), unter dem Jesus hingerichtet wurde.
(Herodes Antipas / Philippus)
Das Gebiet von Galiläa und Peräa regierte von 4 v. Chr.–39 n. Chr. Herodes Antipas als Tetrarch. Er war der Landesherr von Johannes dem Täufer und Jesus (Mk 6,14–29; Lk 3,1; 13,31f.; 23,7–12). Philippus erhielt Gebiete im Nordosten Palästinas und regierte von 4 v. Chr.– 33 n. Chr.
(Herodes Agrippa I.)
Von 37–44 n. Chr. gelang es Herodes Agrippa I., einem Freund des Kaisers Claudius, noch einmal, das Großreich seines Großvaters, Herodes dem Großen, wiederherzustellen, allerdings kam er erst im Jahr 41 n. Chr. tatsächlich nach Jerusalem. Unter seiner Regentschaft wurde der Jünger Jakobus, Sohn des Zebedäus, hingerichtet (Apg 12,1f.).
Herrscher aus dem Haus des Herodes
37–4 v. Chr. |
Herodes der Große |
4 v. Chr.–6 n. Chr. |
Archelaos |
4 v. Chr.–39 n. Chr. |
Herodes Antipas |
4 v. Chr.–33 n. Chr. |
Philippus |
37/41–44 n. Chr. |
Herodes Agrippa I. |
48/49–92/93 n. Chr. |
Herodes Agrippa II. |
(Prokuratoren)
Nach dem Tod Agrippas I. übernahmen ab 44 n. Chr. die Römer wieder direkt die Leitung. Die vom Kaiser mit der Verwaltung Beauftragten hatten nun den Rang von Prokuratoren, was ihnen mehr eigenen Handlungsspielraum gab als den früheren Präfekten. Zu nennen sind hier u. a. Cuspius Fadus (44–46 n. Chr.), unter dem es zum Aufstand des Theudas kam (vgl. Apg 5,36), und der romanisierte Judäer Tiberius Iulius Alexander (46–48 n. Chr.). Antonius Felix (52–59 n. Chr.) und Porcius Festus (59–62 n. Chr.) hielten Paulus in Gefangenschaft. Herodes Agrippa II., Sohn von Agrippa I., erhielt ab 48/49 n. Chr. Gebiete im Norden Palästinas, u. a. Galiläa, und herrschte bis 92/93 n. Chr. Nach Apg 25,13–26,32 begegnete Agrippa II. in Caesarea Maritima gemeinsam mit seiner Schwester Berenike dem gefangenen Paulus. Die Rolle der Hohepriester und des Synhedrions war unter diesen Bedingungen die des Vermittlers zwischen römischer Herrschaft und dem Volk vor Ort. Sie bemühten sich um Frieden und die Weiterführung des Kultes, verloren aber zunehmend die Anerkennung ihrer religiösen Legitimation.
(Nach 70 n. Chr.)
Nach dem Ende des ersten Aufstandes der Judäer im Jahr 70 n. Chr. übernahm zunächst der Kommandant der in Jerusalem stationierten Legio X Fretensis auch das Amt des Prokurators. Die nun von Syrien unabhängige senatorische Provinz Judäa, in der um 110 n. Chr. eine zweite römische Legion stationiert wurde, bestand bis zum Ende des zweiten Aufstandes (132–135 n. Chr.). Nach dessen Niederschlagung wurde Judäa in Syria-Palästina umbenannt.
Römische Beauftragte in Palästina 6–66 n. Chr.
Präfekten
6–9 |
Coponius |
9–12 |
Marcus Ambibulus |
12–15 |
Annius Rufus |
15–26 |
Valerius Gratus |
26–36 |
Pontius Pilatus |
36–37 |
Marcellus |
37–41 |
Marullus |
(37/41–44 Agrippa I.)
Prokuratoren
44–46 |
Cuspius Fadus |
46–48 |
Tiberius Iulius Alexander |
48–52 |
Ventidius Cumanus |
52–59 |
Antonius Felix |
59–62 |
Porcius Festus |
62–64 |
Albinus |
64–66 |
Gessius Florus |
2.2 Gesellschaft und Kultur
2.2.1 Der mediterrane Raum
(Verbreitungsgebiete des Christentums)
Vom Großraum Palästina mit seinen zahlreichen Landschaften ausgehend kam der Christusglaube bis 135 n. Chr. in weite Bereiche des römischen Imperiums. Belegt ist dies vor allem für Syrien, Kleinasien, Griechenland und das südliche Italien, doch ist auch eine frühe Verbreitung nach Ägypten und Nordafrika, nach Norditalien, auf den Balkan und vielleicht auch nach Spanien sehr wahrscheinlich. In dieser Welt entstand das frühe Christentum. Es ist daher von größter Bedeutung, die verschiedenen Kontexte, aus denen die ersten Christusgläubigen stammten und in denen sie selbstverständlich lebten, genauer zu betrachten.
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