Theorie und Praxis: Regionalentwicklung wird im Folgenden sowohl aus der wissenschaftlichen Sicht (analytische Perspektive) reflektiert, vor allem aber werden auch die mögliche Handlungs- und Politikoptionen erörtert (normative Perspektive). Dies schlägt sich auch in der Illustration theoretischer Ansätze mit Fallbeispielen nieder.
Multiperspektivität: Auch im Bereich der Regionalentwicklung gibt es keine ‚letzten Wahrheiten‘. Stattdessen sehen wir ein komplexes Wirkgefüge, das mit verschiedenen wissenschaftlichen ‚Brillen‘ beobachtet und reflektiert werden kann, und das im Hinblick auf die politischen Handlungsmöglichkeiten fast ausnahmslos umstritten ist. Es soll im Folgenden zumindest exemplarisch dargestellt werden, welche unterschiedlichen Perspektiven und Prioritäten vertreten werden. So macht es einen wesentlichen Unterschied, ob man eher dem Ausgleichspostulat der klassischen Ökonomie anhängt, oder ob man von einer grundsätzlichen Tendenz zur regionalen Polarisierung ausgeht.
Pars pro toto: Es ist offensichtlich, dass das vorliegende Buch nicht vollständig sein kann. Die Themen jedes (Unter-)Kapitels werden an anderer Stelle in Form eigener Monographien behandelt. Es ist der Preis für eine übergeordnete Systematik, dass nicht alle Anwendungsfelder bearbeitet werden können.
Regionaler Fokus: Der Fokus des vorliegenden Buches liegt auf Deutschland, wobei europäische Bezüge durchgängig im Blick gehalten werden. Auch darüber hinausgehende Argumente werden in Bezug genommen, beispielsweise Entwicklungen in den Vereinigten Staaten, wo Raumentwicklungsprozesse in aller Regel mit geringerer politischer Einflussnahme erfolgen als in Westeuropa. Der räumliche Fokus ist vor allem dadurch begründet, dass die Instrumente der Regionalentwicklung und deren historisch gewachsene Verankerung sich in hohem Maße zwischen den Staaten unterscheiden.
Das vorliegende Lehrbuch stellt sich dieser recht umfassenden Aufgabe mit einem betont formalen Aufbau, insbesondere aus Gründen der Übersichtlichkeit: Kap. 1 erläutert die Begriffe ‚Region‘ und ‚Entwicklung‘, bevor Kap. 2 den ‚Werkzeugkasten‘ öffnet und rechtliche, finanzielle sowie persuasive Instrumente vorstellt. Kap. 3 erörtert die Handlungsfelder Wirtschaft, Gesellschaft und Natur vor dem Hintergrund des zur Verfügung stehenden Instrumentariums, bevor das Schlusskapitel Maßstäbe für eine ‚gute‘ Regionalentwicklung diskutiert und eine synoptische Betrachtung vornimmt.
Die textliche Argumentation ist um eine solide Verankerung in der fachlichen Diskussion und zugleich um die stete Illustration mit Fallbeispielen bemüht. Wo ausführlichere Informationen sinnvoll erscheinen, greifen wir zum einen auf Textboxen zurück, in denen zentrale Inhalte vertieft und ergänzend dargestellt werden. Besonders aussagekräftige Fallbeispiele werden ebenfalls aus dem Fließtext herausgenommen und als eigenes Format dargestellt. Beide Elemente können übersprungen werden, ohne dass der Argumentationsfluss unterbrochen wäre.
1.2Möglichkeiten regionaler Abgrenzung
Der vermeintlich klare Begriff der Region ist bei näherem Hinschauen oft nur schwer greifbar, selten eindeutig definierbar – zwei Beispiele aus dem Norden und dem Süden Deutschlands zeigen dies: Wo und was ist eigentlich das Allgäu ? Dies kann man als touristischen Kernraum nahe Oberstdorf verstehen oder als die institutionalisierte Planungsregion, die mehrere Landkreise und kreisfreie Städte umfasst (Lindner & Böckler 2002). Und was ist die Region Hamburg ? Wo fängt sie an, wo hört sie auf ? Man mag Hamburg als (Hanse-)Stadt oder als Metropolregion definieren (s. Abb. 1). Die Arbeitsmarktregion überschreitet die Grenzen des Stadtstaats erheblich und ist ein Argument für eine großräumigere Kooperation, wobei dann überrascht, dass in der Metropolregion Hamburg die Stadt Kiel nicht einbezogen ist, zu der erhebliche Pendel-Bezüge bestehen – das erklärt sich dann aus politischen Gründen.
Abb. 1 Unterschiedliche Möglichkeiten der Abgrenzung der Region Hamburg (eigene Darstellung nach Metropolregion Hamburg o. J., Kropp & Schwengler 2011, BKG 2015)
Regionalisierungen können auf sehr unterschiedlichen Maßstabsebenen und implizit auch mit unterschiedlichen Abgrenzungskriterien argumentieren. Diese Antwort-Optionen lassen sich systematisieren, wie Tab. 1 zeigt. Übergeordnet lassen sich Regionen dabei zunächst definieren als „Ausschnitt der Erdoberfläche, der über bestimmte gemeinsame oder verbindende Merkmale und Eigenschaften definier- und abgrenzbar ist“ (Braun & Schulz 2012: 83). Im Speziellen ist dann zwischen funktionalen / homogenen, administrativen und diskursiven Abgrenzungsmöglichkeiten zu unterscheiden.
Tab. 1 Formen der Abgrenzung und Definition von Regionen (Regionalisierung) |
Homogen |
Funktional |
Administrativ |
Diskursiv |
räumliche Einheit von ähnlichen/gleichen Merkmalsausprägungen |
räumliche Einheit von miteinander verbundenen Elementen (Verflechtungen) |
Raumeinheiten für die statistische Erfassung und/oder für die Organisation politischer bzw. administrativer Zuständigkeiten |
Raumeinheiten in gesellschaftlicher Debatte (medial, politisch, alltagsweltlich) |
1.2.1Auf Homogenität basierende Abgrenzung
Zunächst lassen sich Regionen nach ähnlichen oder gleichen Merkmalsausprägungen abgrenzen. Das Homogenitätsprinzip stellt somit auf die gemeinsamen Merkmale eines Raumes ab. ‚Bierfranken‘ ist eine Region, die sich über solche Merkmale abgrenzen lässt. Beispielsweise lässt sich der Indikator Brauereidichte (Brauerei-Standorte pro km²) dazu nutzen, um mittels eines Schwellenwertes Bierfranken vom Nicht-Bierfranken abzugrenzen.
Bei vielen ‚klassischen‘ Regionsabgrenzungen fällt es hingegen oft schwer, ein Argument der Homogenität für die jeweils gültige politische Abgrenzung zu finden, selbst die Operationalisierung von Klischees fällt schwer: Im Allgäu mag man über die Dichte von Käsereien und Milchwirtschaft auf den Alpen argumentieren; für die Region Hamburg ließe sich über die Firmen des Sektors maritime Wirtschaft diskutieren, die inzwischen auch in einem Cluster zusammengeschlossen sind. Häufig wird auch die Verbreitung eines Dialektes als Kriterium herangezogen: ein weitgehend homogener Sprachraum bildete dann auch eine Region (z. B. für das Fränkische, das über den nordbayerischen Raum auch nach Thüringen und Baden-Württemberg hineinragt).
1.2.2Funktionale Abgrenzung
Das Funktionalprinzip argumentiert nicht mit Ähnlichkeit, sondern mit Verflechtungen, also anhand von miteinander verbundenen Elementen. Abb. 2 zeigt den wohl wichtigsten Indikator für diese Form der Regionalisierung, die Pendlerbereiche. Diese Art der Abgrenzung ist für die praktische Raumbeobachtung – in Form von Arbeitsmarktregionen – von großer Bedeutung. Die Verfügbarkeit von amtlichen Daten zu Wohn- und Arbeitsort für die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist in Deutschland durch die Arbeitsmarktstatistik erfasst und flächendeckend verfügbar, sodass der Regionalentwicklung hiermit ein wichtiger Indikator zur Verfügung steht. Ebenso relevant wären beispielsweise wirtschaftsräumliche Verflechtungen, also insbesondere Handelsbeziehung entlang von Wertschöpfungsketten (z. B. im Automotive-Bereich), aber solche Daten müssen eigens erhoben werden und werden von statistischen Ämtern jedenfalls nicht kleinräumig erfasst.
Abb. 2 Pendlereinzugsgebiete in Deutschland (verändert nach BBSR 2012: 79)
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