Hier hat der Redner heutzutage einen enormen Vorteil: 2500 Jahre lang musste er mühsam Materialien in Bibliotheken, eigenen Zettelkästen und seinem Gedächtnis zusammensuchen – jetzt gibt es die Internet-Suchmaschinen. Die bekanntesten zu nennen (Google, Yahoo, Bing), hieße Eulen nach Athen zu tragen (in diesem Satz sind übrigens gleich zwei rhetorische Kunstgriffe verborgen – zur Auflösung siehe unten die Stichwörter Präteritio und Metapher). Mit alternativen Suchmaschinen wie DuckDuckGo, Qwant, IxQuix und Blekko können Sie sich auch spurenlos auf die Suche machen, ohne Ihre Daten quasi kostenlos den Suchmaschinenstaubsaugern zu überlassen. Aber denken Sie bitte daran: Im Fall einer Debatte oder einer Diskussion wird Ihr Redegegner/-partner mit Sicherheit auch im Internet recherchiert haben. Suchen Sie daher im Zweifel auch jenseits der Seite 1, die Ihnen Google anbietet – sonst könnten Sie ins Staunen geraten, dass Ihr Gegner schneller und besser vorbereitet war als Sie! Und vergessen Sie dabei nicht, dass kommerzielle Suchmaschinen dem Vernehmen nach Suchergebnisse auch gegen Entgelt vorpositioniert haben könnten.
Der dann (hoffentlich) angehäufte Wust an Zetteln, Ideen und Bildern kann aber nicht planlos verwertet werden. Es gibt bewährte Muster, nach denen Sie Ihre Ideen strukturieren können, bevor sie dann mit Argumenten und der Gliederung zur Rede umgearbeitet werden. Diese Strukturprinzipien haben einen weiteren großen Vorteil: Sie zeigen Ihnen, wo Sie möglicherweise noch inhaltliche Defizite und Schwächen haben, und dienen damit Ihrem gedanklichen Controlling.
AIDA – die Werbung macht es vor!
Schon vor über 100 Jahren hat der Amerikaner Elmo Lewis das Grundprinzip einer universellen Marketingstrategie entwickelt – und da der Redner seine Ideen ja auch an den Kunden, nämlich an sein Publikum bringen will, ist dieser Methodentransfer sicher legitim. Dem AIDA-Modell nach gibt es vier Stufen oder Prozessabschnitte, in denen ein Kunde/Hörer letztlich vom unentschlossenen Einstieg zur Kaufentscheidung/Überzeugung für etwas geführt werden soll. Sie lauten
Attention – Aufmerksamkeit erwecken
Interest – Interesse des Kunden erregen
Desire – den Wunsch nach dem Produkt erzeugen und verstärken
Action – die gewünschte Aktion/Reaktion auslösen: Kauf des Produktes oder Applaus und Umsetzung der präsentierten These
Auch der Redner sollte seine Ideen in die unterschiedlichen Prozessphasen einordnen. Dies gibt ihm zum einen die Sicherheit, quasi wie im Direktmarketing, sein Produkt rhetorisch verkaufen zu können. Zum andern zeigt ihm das Ergebnis seiner Stoffsortierung, wo möglicherweise noch Defizite bestehen. Hier kann er dann gezielt nacharbeiten und so eine vollständige Stoff-Basis für seine Rede generieren.
Die 6-Schritt-Methode
Diese Strukturierungsmethoden wurden in der Folgezeit entwickelt, um den Redner noch gezielter an weitere Aspekte/Notwendigkeiten in seiner Rede zu erinnern (vgl. Wieke, Handbuch Rhetorik, S. 96 – „5-Schritt-Methode“; Mohl, Der Zauberlehrling, S. 209f. – „Six-Step-Methode“):
1 Aufmerksamkeit/Interesse wecken
2 das Problem benennen
3 Argumente für die vorgeschlagene Problemlösung
4 Argumente gegen die vorgeschlagene Problemlösung
5 Beispiele/Geschichten/Analogien zur Problembehandlung
6 die Lösung formulieren und an sie appellieren
Beachten Sie: Mit dieser Methode haben Sie noch keine Gliederung erarbeitet – es geht nur darum, möglichst optimal eine Stoffsammlung zu gestalten. Allerdings haben Sie am Ende der Stoffsammlung mit dieser Methode schon ein ziemlich gutes Gliederungsgerüst aufgebaut.
Die Journalisten-Recherche: Die 7 W-Fragen
In vielen Fällen ist die Recherche-Arbeit eines Journalisten vergleichbar mit der Stoffsammlung eines Redners: Am Ende muss ein guter Text stehen, der die jeweiligen Anforderungen erfüllt. Hierfür haben die Journalisten seit langem ein ziemlich gutes Frageschema erarbeitet, das auf mindestens 6 W-Fragen beruht; aus meiner Sicht sollte es um eine siebente Frage unbedingt ergänzt werden (vgl. Wieke, Handbuch Rhetorik, S. 97f.):
1 Was ist geschehen?
2 Wer hat es getan/war beteiligt?
3 Wo fand das Geschehene statt?
4 Wann ist es passiert?
5 Wie war der Ablauf?
6 Warum ist es dazu gekommen?
7 Welche Beweise/Quellen gibt es?
Diese journalistische Aufbereitung spielt vor allem für Sachreferate eine große Rolle, in denen ein Redner über bestimmte Vorgänge berichten soll. Die damit erarbeiteten Informationen sind weitgehend vollständig und können dann guten Gewissens in eine Rede umgearbeitet werden. Auch für Beiträge in Diskussionen und Debatten erhält der Redner auf diese Weise eine gute sachliche Vorbereitung.
Die historische Stoffsammlung
Diese Form der Stoffsammlung ist als Recherchemethode dann gut geeignet, wenn ein Rückblick im Zentrum der Rede stehen sollte, gegebenenfalls verbunden mit einer Ausschau in die Zukunft. Dies ist übrigens häufiger der Fall, als man annimmt: Bei Festreden für einen bestimmten Anlass, bei der Feier eines Jubiläums oder auch Geburtstages und in der wichtigen Redegattung der Trauerrede geht es ja darum, den Gegenstand der Rede vor allem in seiner zeitlichen Abfolge, natürlich auch mit den Höhen und Tiefen, zu beleuchten. Auch für die Präsentation eines Lebenslaufes, etwa bei einem Assessment Center, bietet das Prinzip der historischen Stoffsammlung eine nützliche Grundlage. Die drei Gliederungspunkteliegen auf der Hand: Gestern – Heute – Morgen.
Das Gesternist der Schwerpunkt der historischen Sammlung. Denken Sie dabei nicht nur im strikt zeitlichen Ablauf; konzentrieren Sie sich auch auf die Fragen: Was war ein Höhepunkt, ein Erfolg? Was war ein Tiefpunkt, eine Niederlage? Was waren besondere Herausforderungen? Was war kurios? – Dieser Punkt ist bei Lebensläufen derjenige, der erfahrungsgemäß das Publikum besonders fesselt. In meinen Seminaren frage ich die Studierenden systematisch nach einem Schwank aus ihrem Leben – man glaubt nicht, welche Geschichten das Leben tatsächlich schreibt! Und es sind genau die Kuriositäten und besonderen Geschichten, an die sich die Seminarteilnehmer nach der Präsentation mehrerer Lebensläufe eindeutig häufiger erinnern – der durchschnittliche glatte Rest ist schon abgehakt und im Zweifel vergessen.
Untersuchungen der Psychologen stützen diesen Befund: Das unbewusste System 1 scheint demnach bevorzugt auch „das Leben als eine Geschichte“ zu strukturieren (vgl. Kahneman, S. 476–481). Die intuitive Bewertung ganzer Lebensläufe sowie kurzer Episoden scheint besonders auf Höchst- und Tiefstände sowie die Endzustände abzustellen, nicht auf die Dauer eines Lebens oder seinen langen sonstigen Verlauf (vgl. Diener u.a.: End Effects of Rated Life Quality, S. 124–128). Die historische Stoffsammlung bietet daher einen wichtigen Ansatzpunkt für die neurolinguale Intervention.
Das Heuteist die faktische Kulmination der Geschichte: Im Jetzt zeigen sich die Entwicklungsstränge mit allen ihren Problemen, aber auch Chancen. Darauf muss der Redner natürlich eine Antwort geben – selbst bei der Trauerrede ist dieses Jetzt entscheidend (s. dazu unten Kap. V.1.). Daher sollten Sie Ihr Material in der Stoffsammlung unbedingt auf diese Punkte prüfen.
Das Morgenist für die Stoffsammlung und die Gliederung unter folgender Perspektive wichtig: Welche konkreten Pläne gibt es, welche Entscheidungen sollen umgesetzt werden? Sind in der Zukunft Entwicklungen zu erwarten, die für diese Pläne von Bedeutung sind – positiv wie negativ? Gibt es Meilensteine und andere Abschnitte auf dem künftigen Weg, die schon jetzt feststehen?
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