In den späten 1980er Jahren setzt sich die Bezeichnung als „Geographie der Freizeit und des Tourismus“ oder „Freizeit- und Tourismusgeographie“ durch. Die Ersetzung des Begriffes „Fremdenverkehr“ durch den des „Tourismus“ signalisiert dabei nicht nur einen simplen Begriffswechsel zu dem international gebräuchlichen Terminus, der auch in anderen Kontexten vollzogen worden ist (so hat sich der ehemalige Deutsche Fremdenverkehrsverband als Bundesverband der regionalen Tourismusorganisationen 1999 in Deutscher Tourismusverband umbenannt). Vielmehr ist damit – wie auch in anderen Bereichen der Humangeographie – der Wandel von einer stärker deskriptiven Herangehensweise an räumliche Phänomene zu einer analytisch-erklärenden Zielsetzung, bei der die handelnden Individuen und Systeme in ihrem Wechselspiel mit der Umwelt im Mittelpunkt stehen, verbunden.
In diesem Band werden, dem weiten Verständnis von Tourismus (nicht nur auf mit Übernachtungen verbundene Aktivitäten) folgend (vgl. 1.1.3), die beiden Begriffe „Freizeit- und Tourismusgeographie“ sowie „Tourismusgeographie“ synonym verwendet.
1.1.3 Einige Begriffsklärungen
An dieser Stelle soll kein umfassendes definitorisches Kompendium ersetzt werden. Diese sind in unterschiedlichen Lexika tourismuswissenschaftlicher Begriffe verfügbar (vgl. z. B. KIEFL, BACHLEITNER & KAGELMANN 2005; FUCHS, MUNDT & ZOLLONDZ 2008 oder die tourismusgeographischen Stichwörter in BRUNOTTE et al. 2001). Gleichwohl erscheint es wichtig, einige grundlegende Begrifflichkeiten, die im Zusammenhang mit dem Tourismus oftmals eine lebensweltliche Verwendung finden, für den Kontext dieser Einführung aber auch für den fachwissenschaftlichen Gebrauch in der gebotenen Kürze zu fassen.
Scheinbar trivial scheint die Frage, wer oder was ein Tourist ist, wird dieser Begriff doch im alltagssprachlichen Gebrauch von fast jedem verwendet, wobei allerdings auch unterschiedliche begriffliche Fassungen existieren. Eine der klassischen Annahmen ist, dass ein Tourist auch in seinem Zielgebiet übernachtet, d. h. nur der Übernachtungsreiseverkehr als Tourismus verstanden wird. In früheren Zeiten wurde auch versucht, über die zurückgelegte Distanz zwischen Touristen und Naherholungssuchenden zu unterscheiden, wobei manchmal – in Analogie zum Verkehrswesen – die Grenze bei 50 km gezogen wurde. In manchen Ländern der sog. Entwicklungsländer werden als Touristen nur Besucher aus dem Ausland verstanden.
Die United Nations World Tourism OrganisationUnited Nations World Tourism Organisation (UNWTOUNWTO) ist eine internationale Organisation, die sich im Auftrag der UN neben der Bereitstellung von internationalen Tourismusstatistiken auch mit international relevanten Aspekten des Tourismus (z. B. Krisenmanagement, Biodiversität) beschäftigt. Diese hat 1993 – vor allem für die Angleichung der internationalen Tourismusstatistiken einen Katalog von Begriffen unter dem Namen „Standard International Classification of Tourism ActivitiesStandard International Classification of Tourism Activities (SICTA)“ (SICTASICTA (Standard International Classification of Tourism Activities)) beschlossen. Dort findet sich auch die inzwischen weltweit weitgehend akzeptierte Definition des Begriffes „Tourist“.
Box 2 | UNWTO-Definition des Begriffes „TouristTourist “
„A visitor is a traveller taking a trip to a main destination outside his/her usual environment, for less than a year, for any main purpose (business, leisure or other personal purpose) other than to be employed by a resident entity in the country or place visited. These trips taken by visitors qualify as tourism trips. Tourism refers to the activity of visitors” (UNWTO 2008, S. 10).
In dieser Definition sind im Wesentlichen drei Aspekte enthalten:
1 OrtsveränderungOrtsveränderung: Ein Tourist ist eine Person, die sich im Raum von einem Ausgangspunkt zu einem Zielpunkt bewegt. Allerdings gibt es keine Mindestentfernung oder das Überschreiten von (seien es kommunalen oder nationalen) Grenzen als Voraussetzung.
2 Zeitliche BefristungZeitliche Befristung: Die Bewegung im Raum ist zeitlich befristet, dauerhafte Migrationen (sei es durch einen freiwilligen Umzug oder eine Zwangsmigration durch Flucht oder Vertreibung) zählen damit nicht als touristische Aktivität. Gleichzeitig wird keine Mindestaufenthaltsdauer, sondern nur ein Maximum von einem Jahr angegeben.
3 ZweckZweck: Die Motive für die Raumveränderung können unterschiedlicher Art sein, wobei die UNWTO neben den Hauptzwecken von freizeitmotivierten und Geschäftsreisen, die möglichen anderen Motive nicht weiter eingrenzt. Eine religiös motivierte Pilgerfahrt (egal ob zur nahegelegenen Marienkapelle oder nach Mekka) zählt damit ebenso als touristische Aktivität wie der Aufenthalt zu einem Sprachkurs im Ausland. Ausgeschlossen sind lediglich Fahrten von Berufspendlern zum Hauptort der Berufsausübung (auch wenn diese über eine nationale Grenze hinweg erfolgt).
Für die statistische Erfassung werden darüber hinaus noch ausgeklammert die Raumveränderung von Diplomaten und Angehörigen von Streitkräften, aber auch von Nomaden, Flüchtlingen und Transitreisenden.
Die Differenzierung von Touristen primär für statistische Zwecke (vgl. Abb. 2) folgt weitgehend diesen Grundvorgaben des UNWTO. So wird einerseits oftmals unterschieden zwischen freizeitorientierten Touristen und anderen Motiven (wobei hier dann vor allem der Geschäftsreiseverkehr erfasst wird, während andere Motive nur sehr begrenzt statistisch fassbar sind). Von Freizeitaktivitäten werden aus touristischer Sicht nur diejenigen erfasst, die außerhalb der eigenen Wohnung stattfinden, während häusliche Freizeitbeschäftigungen nicht berücksichtigt sind. Sowohl beim freizeitorientierten als auch beim Geschäftsreise-Tourismus werden die Besucher oftmals unterschieden in Tagestouristen und Übernachtungstouristen. Da bei einer der wichtigsten sekundärstatistischen Quellen der Tourismusforschung, der sog. „Reiseanalyse“ (vgl. FUR div. Jg.) lange nur Reisen mit mindestens 4 Übernachtungen erfasst wurden, wird oftmals auch noch zwischen Kurzurlauben (1 bis 4 Tage) und Urlauben unterschieden.
Abb. 2:
Differenzierung von Tourismus für statistische Zwecke (Quelle: eigener Entwurf)
Gleichzeitig ist in Abbildung 2 mit den grauen Pfeilen angedeutet, dass die vermeintlich klare statistische Erfassung der MotiveMotive der Realität oftmals nicht gerecht wird. Die grauen Pfeile im rechten Teil der Graphik sollen darauf hinweisen, dass auch Geschäftsreisen oder primär aus anderen, nicht freizeitbezogenen Motiven unternommene Reisen (wie z. B. Kuren, Pilgerreisen oder Sprachkursaufenthalte) zu gewissen Teilen auch freizeitorientierte Komponenten aufweisen können (genauso wie umgekehrt auch primär freizeittouristische Aufenthalte natürlich auch partiell berufliche Aspekte inkludieren können).
Für die weitere Differenzierung von Ausprägungen des Tourismus kann nach STEINGRUBE (2001) zwischen unterschiedlichen TourismusformenTourismusformen unterschieden werden. Die Festlegung von Tourismusformen „greift auf sichtbare, äußere Erscheinungen oder auf nur zum Teil sichtbare Verhaltensweisen sowie auf die nicht sichtbare Reisemotivation zurück, um die Vielfalt der touristischen Nachfrage zu gliedern“ (2001, Band 3, S. 358f.). Wie anhand der Beispiele in Tabelle 1 sichtbar wird, erweist sich die Vielfalt von unterschiedlichen Tourismusformen als offenes Konzept, bei dem je nach Betrachtungswinkel und Interessenslage Teilbereiche der konkreten touristischen Praxis ausgegliedert werden können. Dabei sind die verwendeten Kriterien „frei wählbar, nicht immer überschneidungsfrei, sie müssen nicht die Gesamtheit aller Touristen erfassen und sie müssen einander nicht ausschließen, sondern können auch miteinander kombiniert werden“ (STEINGRUBE 2001, Band 3, S. 359).
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