Dannenbauer, F. M. (1997): Mentales Lexikon und Wortfindungsprobleme bei
Kindern. Die Sprachheilarbeit 42 (1), 4-21
Glück, C. W. (2010): Kindliche Wortfindungsstörungen. Ein Bericht des aktuellen Erkenntnisstandes zu Grundlagen, Diagnostik und Therapie. 4. Aufl. Peter Lang, Bern
Siegmüller, J. (2005): Einflüsse von Frequenz und Erwerbsalter auf das Benennen bei Kindern mit Wortfindungsstörungen. Logos Interdisziplinär 13 (1), 15-20
Ulrich, T. (2012): Effektivität lexikalischer Strategietherapie im Vorschulalter. Eine randomisierte und kontrollierte Interventionsstudie. Shaker, Aachen
Abrufqualität Die Abrufqualität setzt sich zusammen aus den Komponenten der Abrufgenauigkeit und der Abrufgeschwindigkeit. Für die allmähliche Zunahme beider Komponenten im Rahmen des Spracherwerbs wird der zunehmende Einsatz von Speicher- und Abrufstrategien verantwortlich gemacht (Glück 2010; Ulrich 2012):
■ Speicherstrategien: z. B.
– Memorieren: mehrfaches Vorsprechen (laut oder leise, rehearsal), mehrfaches Hören / Aufschreiben / Lesen des Wortes,
– Elaborieren: Verknüpfen mit bereits vorhandenem Wissen im Netzwerk, Ausdifferenzieren der Einträge (z. B. Eselsbrücken, Suche nach ähnlichen Wörtern, Suche nach passendem Satzrahmen),
– Segmentieren: umfangreiche Informationen zu kleinen „Päckchen“ schnüren (z. B. Gruppieren von Elementen, Rhythmisieren, silbisches Sprechen);
■ Abrufstrategien: z. B.
– Self-Priming / Self-Cueing: Generieren eigener Hinweisreize durch Erinnern sämtlicher verfügbarer Information zu dem lexikalischen Eintrag (z. B. semantische Eigenschaften, Anlaut, Betonungsstruktur, Silbenanzahl, Lernkontext) mit dem Ziel, sich selbst zu deblockieren.
Abschließend soll darauf aufmerksam gemacht werden, dass die soeben vorgenommene Trennung in Speicherung und Abruf vorrangig theoretischer Natur ist. De facto sind Speicher- und Abrufprozesse eng miteinander verbunden und wirken wechselseitig aufeinander ein; nach konnektionistischer Vorstellung existieren überhaupt keine getrennten Verarbeitungsebenen für Speicherung und Abruf (Rothweiler 2001; Ulrich 2012).
Kannengieser, S. (2015): Sprachentwicklungsstörungen – Grundlagen, Diagnostik und Therapie. 3. Aufl. Elsevier, München
Kauschke, C. (2015): Frühe Entwicklung lexikalischer und grammatischer Fähigkeiten. In: Sachse, S. (Hrsg.), 3-14
Rupp, S. (2013): Semantisch-lexikalische Störungen bei Kindern. Sprachentwicklung: Blickrichtung Wortschatz. Springer, Berlin / Heidelberg
Zusammenfassung
Der Wortschatzerwerb stellt eine lebenslange Lernaufgabe dar. Einträge im mentalen Lexikon werden als Bündel miteinander vernetzter Informationen verstanden, die vielfältig mit anderen Einträgen verbunden sind. Ab dem Kleinkindalter besitzen Kinder die Fähigkeit, blitzschnell einen ersten Eintrag für neue Wörter abzuspeichern. Prozesse der Ausdifferenzierung von Wortform- und -bedeutungsinformation benötigen jedoch deutlich mehr Zeit.
2 Störungen des Wortschatzerwerbs
2.1 Begriffsbestimmung
(semantisch) lexikalische Störungen In der deutschsprachigen Fachliteratur werden unterschiedliche Begrifflichkeiten verwendet, um auf Störungen des Wortschatzerwerbs zu referieren. Die Bezeichnung „semantisch-lexikalische Störung“ wird von Glück / Elsing (2014a, 73) verwendet als
„umfassender Begriff […] für erhebliche, nicht altersgemäße, häufige und anhaltende Schwierigkeiten, die eigenen Äußerungsintentionen in angemessenen lexikalisch besetzten Äußerungen auszudrücken bzw. Äußerungen anderer lexikalisch zu interpretieren […]“.
Während unter „Semantische Störungen“ auch Einschränkungen im Satz- und Textverstehen fallen (sententiale semantische Störung, Crystal 1981), soll der Fokus dieses Beitrags auf den Einschränkungen auf Einzelwortebene liegen. Entsprechend des in der englischen Fachliteratur meist verwendeten Begriffs des „lexical deficit“ wird daher die Bezeichnung „lexikalische Störung“ verwendet (Ulrich 2012; Motsch et al. 2016). Lexikalische Störungen werden als Sammelbegriff für verschiedene Formen von Wortschatzstörungen verstanden:
„Lexikalische Störungen sind Störungen im Lexikoninventar (Wortschatz und Komposition des Wortschatzes), Störungen im semantischen Lexikon (Bedeutungsaufbau und Bedeutungsbeziehungen) und im Wortformlexikon (phonologische Repräsentation) sowie lexikalische Zugriffsstörungen (Wortfindung, Wortabruf und Worterkennung)“ (Rothweiler 2001, 97).
Wie aus dieser Definition deutlich wird, handelt es sich bei lexikalisch gestörten Kindern um eine heterogene Gruppe. Die unterschiedlichen Erscheinungsbilder werden in Kapitel 2.2.2genauer in den Blick genommen.
Lexikalische Störungen treten meist in Zusammenhang mit (spezifischen) Sprachentwicklungsstörungen auf (Glück 2001; Glück / Elsing 2014a). Jedoch auch bei Kindern mit kognitiven Einschränkungen, Hörstörungen, frühkindlichem Autismus sowie erworbenen neurologischen Störungen können lexikalische Defizite beobachtet werden (McGregor 2008; Glück / Elsing 2014a; Motsch et al. 2016).
Immer stärker kristallisieren sich die engen Zusammenhänge zwischen lexikalischen Störungen und (späteren) Schriftspracherwerbsstörungen heraus (Beier / Siegmüller 2013; Motsch et al. 2016; Beitrag 5).
Prävalenz Hinsichtlich der Häufigkeit, mit der lexikalische Störungen auftreten, finden sich unterschiedliche Angaben. So ermittelten Dockrell et al. (1998) anhand einer Befragung unter britischen Sprachtherapeuten, dass 23 % der Kinder in sprachtherapeutischer Behandlung Symptome von lexikalischen Störungen zeigten. Glück / Elsing (2014a) interpretieren die Ergebnisse einer Studie von van Weerdenburg et al. (2006) dahingehend, dass 64 % der untersuchten sechs- bis achtjährigen spracherwerbsgestörten Kinder im lexikalischen Bereich auffällig waren. Im förderschulischen Kontext finden sich teilweise noch höhere Prävalenzraten: So schätzten die von Glück (2010) befragten Lehrkräfte an Schulen mit dem Förderschwerpunkt Sprache 60 % ihrer Schülerschaft als lexikalisch auffällig ein, eine Untersuchung an Drittklässlern der Sprachheilschule ermittelte bei 86 % der 212 untersuchten Kinder eine therapierelevante lexikalische Störung (Marks 2017).
Entwicklungsverlauf Typischerweise starten lexikalisch gestörte Kinder bereits verspätet in den Spracherwerb: Die ersten Wörter produzieren sie durchschnittlich erst mit 23 Monaten, also fast ein Jahr später als sprachunauffällige Kinder (Trauner et al. 2000). Im Alter von 24 Monaten erfüllen sie oftmals das diagnostische Kriterium eines „Late Talkers“, d. h. weniger als 50 verschiedene, produktiv verwendete Wörter (Hachul 2015). Für die weitere Prognose eines Late Talkers scheinen die rezeptiven sprachlichen Leistungen eine besondere Rolle zu spielen. So haben Late Talker mit zusätzlichen rezeptiven Einschränkungen ein erhöhtes Risiko, in der Folge eine manifeste Sprachentwicklungsstörung (SES) zu entwickeln, die sicher ab dem Alter von drei Jahren diagnostiziert werden kann (Schlesiger 2009; Hachul 2013, 2015; Sachse 2015). Im Vorschulalter zeigen sich lexikalische Störungen in unterschiedlichen Ausprägungen und Erscheinungsformen ( Kap. 2.2.2). Spätestens zu dieser Zeit erfolgt bei den meisten lexikalisch gestörten Kindern eine sprachtherapeutische Diagnostik mit anschließender Therapie. Ab dem Vorschulalter und insbesondere mit dem Eintritt in die Schule werden gehäuft Schwierigkeiten beim Zugriff auf Lexikoneinträge (kindliche Wortfindungsstörungen) beobachtet (Glück 2010). Wortfindungsstörungen ebenso wie sententiale semantische Störungen – also Schwierigkeiten beim Verstehen von Sätzen, Texten und Geschichten – können bis ins Jugendlichen- und Erwachsenenalter persistieren. Sie erschweren den betroffenen Schülern die Aneignung schulischen Wissens, bildungs- und fachsprachlichen Vokabulars und gefährden insgesamt den schulischen Erfolg (White et al. 1990; Stothard et al. 1998; Glück 2001). Darüber hinaus entwickeln viele lexikalisch gestörte Kinder Verhaltensauffälligkeiten sowie psychische Störungen (Dannenbauer 1997; Toppelberg / Shapiro 2000).
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