Klassische Führungstheorien
Eigenschaftstheoretische oder personalistische Ansätze: Ein Großteil der Führungsforschung konzentrierte sich bis in die 1960er Jahre auf Persönlichkeit smerkmale, die für Führungspersonen charakteristisch sind. Dabei wurde implizit angenommen, dass die Fähigkeit, andere zu führen, eine relativ stabile, von Zeit und Situation unabhängige Persönlichkeitsdisposition ist. Ziel war die Identifikation des Eigenschaftsprofils von Führungspersönlichkeiten und, darauf aufbauend, die Erstellung eines idealen Eigenschaftsprofils, das die Auswahl geeigneter Personen für Führungspositionen ermöglichen sollte (bspw. durch den Einsatz von Persönlichkeitstests). Metaanalysen (Judge et al. 2002; Judge et al. 2004) bestätigen zwar positive Zusammenhänge zwischen bestimmten Persönlichkeitseigenschaften (z. B. Extraversion, Offenheit, Gewissenhaftigkeit und Intelligenz) und Kriterien des Führungserfolges, jedoch sind diese Zusammenhänge im kleinen bis mittleren Bereich der Effektgröße und erklären Führungserfolg bei weitem nicht erschöpfend.
Verhaltenstheoretische Ansätze: Um den Führungserfolg besser vorhersagen zu können, als dies mit den persönlichkeitsorientierten Ansätzen möglich war, wandten sich zahlreiche Forscher zu Beginn der 1950er Jahre dem Einfluss des Führungs verhalten s auf den Führungserfolg zu. Dabei wurden beobachtbare Führungsverhaltensweisen beschrieben und klassifiziert, mit Hilfe des Konzepts des Führungsstils systematisiert und der Einfluss des jeweiligen Führungsstils für den Führungserfolg untersucht. Aufbauend auf den frühen Arbeiten Kurt Lewins und seiner Schüler (vgl. Lewin et al. 1939) entwickelte die sog. Ohio-Gruppe (Stogdill, Fleishman, [133]Hemphill et al.) mit Hilfe von Fragebögen zur Beschreibung des Führungsverhaltens ein Konzept zur Systematisierung des Führungsverhaltens, das zwei voneinander unabhängige Dimensionen des Führungsverhaltens unterscheidet: Mitarbeiterorientierung (engl. consideration), gekennzeichnet durch freundliches und unterstützendes Verhalten den Mitarbeitern gegenüber sowie Interesse am Wohlbefinden der Mitarbeiter zeigend, und Aufgabenorientierung (engl. initiating structure), gekennzeichnet durch eine Ausrichtung des Verhaltens an Zielerreichung und Aufgabenerledigung. Eine neuere Metaanalyse (Judge et al. 2004) bestätigt moderate Beziehungen zwischen Mitarbeiterorientierung sowie Aufgabenorientierung und verschiedenen Kriterien des Führungserfolgs (z. B. Arbeitszufriedenheit, Zufriedenheit mit der Führungskraft, Motivation der Geführten, Effektivität der Führungskraft).
Kontingenztheoretische Ansätze: Die Kontingenztheorien ergänzen die bisher genannten Ansätze um verschiedene Aspekte der Situation (z. B. Merkmale der Arbeitsaufgabe, der Mitarbeiter, des Organisationskontexts) und fokussieren auf die Frage, in welchen Situationen welcher Führungsstil besonders erfolgreich ist.
Wegbereiter dieser Ansätze war das mittlerweile inhaltlich überholte Kontingenzmodell von Fiedler (1967; Fiedler/Mai-Dalton 1995), das als erstes Führungsmodell auch Merkmale der Situation berücksichtigt. Hohe bzw. geringe Ausprägungen von drei Situationsmerkmalen (in absteigender Wichtigkeit: Qualität der Führer-Geführten-Beziehung, Positionsmacht, Aufgabenstruktur) ergeben acht unterschiedliche Grade der Situationskontrolle der Führungskraft. Auf Seiten der Führungskraft werden über die Einstellung der Führungskraft zum am wenigsten geschätzten Mitarbeiter (sog. »least preferred coworker«, LPC) mitarbeiterorientierte (vergleichsweise positive Einschätzung des LPC) und aufgabenorientierte (negative Einschätzung des LPC) Führungskräfte unterschieden. Fiedler zufolge sind bestimmte Kombinationen von Situationskontrolle und Führungsstil besonders günstig für den Führungserfolg, was für die meisten Kombinationen auch bestätigt werden konnte, allerdings eher in Labor- als in Feldstudien (vgl. Strube/Garcia 1981; Peters et al. 1985; Schriesheim et al. 1994). Vereinfacht sind mitarbeiterorientierte Führungskräfte in mittelgünstigen Situationen (z. B. gute Beziehung zu den Geführten, eher unstrukturierte Aufgaben und geringe Positionsmacht) erfolgreich, während aufgabenorientierte Führungskräfte eher in sehr ungünstigen (z. B. schlechte Beziehung zu den Geführten, geringe Aufgabenstrukturierung und schwache Positionsmacht) oder sehr günstigen Situationen (z. B. gute Beziehung zu den Geführten, strukturierte Aufgaben und hohe Positionsmacht) erfolgreich sind. Fiedlers Modell ist vielfach kritisiert worden (vgl. im Überblick Brodbeck et al. 2002). Ein bleibender Verdienst Fiedlers ist, die Führungsforschung in eine neue Richtung geführt und die Entwicklung zahlreicher weiterer Kontingenztheorien stimuliert zu haben.
Die Weg-Ziel- (engl. path-goal) Theorie von Evans (1970; 1979) und House (1971; House/Mitchell 1974) spezifiziert, aufbauend auf den Instrumentalitäts- oder Erwartungstheorien der Motivation (z. B. Vroom 1964), unter welchen Bedingungen welches Führungsverhalten motivierend auf die Mitarbeiter wirkt. Je nach Struktur der Aufgabe und Merkmalen der Geführten sollten sich bestimmte Arten der Führung (klassifiziert in unterstützend, direktiv, partizipativ und leistungsorientiert) unterschiedlich auf Motivation und Zufriedenheit der Geführten auswirken. Allerdings kommen Wofford und Liska (1993) in ihrer Metaanalyse zu dem Schluss, dass die Befunde wesentliche Annahmen der Weg-Ziel-Theorie nicht stützen. Die Bedeutung, die der Weg-Ziel-Theorie trotzdem zukommt, gründet sich vor allem auf neue, in dieser Theorie enthaltene Überlegungen, die zur Entwicklung einiger sehr erfolgreicher Führungstheorien führten, z. B. zu der Theorie der Führungssubstitution (Kerr/ Jermier 1978; Kerr/Mathews 1995), der Theorie der impliziten Führungstheorien (Lord/Mahler 1991) oder den Theorien über charismatische (House 1977) bzw. transformationale versus transaktionale Führung (Bass 1998).
Interaktionale Führungstheorien
Diese Gruppe von Führungsansätzen befasst sich mit den wechselseitigen sozialen Einflussprozessen zwischen Führenden und Geführten.
Die Grundlagen der Machtnach French und Raven: Im Führungsprozess kommt » Macht « als der Möglichkeit einer Person, auf eine oder mehrere andere Personen Einfluss auszuüben, besondere Bedeutung zu. Die bekannteste Taxonomie der Grundlagen der Macht stammt von French und Raven[134] (1959), die fünf Arten von Machtgrundlagen unterscheiden: (1.) Belohnungsmacht, (2.) Bestrafungsmacht, (3.) Expertenmacht, (4.) legitimierte Macht und (5.) Identifikationsmacht. Menschen stützen sich nicht notwendigerweise nur auf eine dieser Grundlagen von Macht, sondern können eine oder mehrere Arten der Macht benutzen, um ihre Ziele zu erreichen. Positive Zusammenhänge mit der Leistung und der Zufriedenheit der Mitarbeiter gibt es bei Führungskräften hinsichtlich Experten- und Identifikationsmacht; die Ergebnisse hinsichtlich der anderen Machtgrundlagen waren bisher uneinheitlich (vgl. Yukl 2012). Auch bei politischen Führern, die zumindest in demokratischen Systemen über legitimierte Macht verfügen, spielt die Identifikationsmacht eine besondere Rolle. Große politische Führer sind immer Identifikationsfiguren, die über die Fähigkeit verfügen, ihre Anhänger zu begeistern und für ihre Ideen zu gewinnen, so dass diese ihnen »freiwillig« folgen. Insgesamt kommt in unserer Gesellschaft der Identifikationsmacht mehr und mehr Bedeutung zu. Als Folge dieser Entwicklung gewinnen Führungsansätze an Beachtung, die die emotionale Beziehung zwischen Führendem und Geführtem thematisieren (z. B. transformationale Führung, charismatische Führung).
Die Leader-Member-Exchange (LMX)-Theorie: Als eine der ersten Führungstheorien überhaupt konzentrierte sich die von Graen und Kollegen (Dansereau et al. 1975; Graen/Uhl-Bien 1995) entwickelte LMX-Theorie auf die wechselseitige Beeinflussung von Führenden und Geführten. Nach der LMX-Theorie entwickelt eine Führungskraft zu jedem Mitarbeiter eine individuelle dyadische Beziehung, weshalb der Ansatz auch als »Führungstheorie der vertikalen Dyadenverbindungen« oder »vertical dyad linkage«-Ansatz bezeichnet wird. Die Qualität dieser dyadischen Beziehung ist der LMX-Theorie zufolge in verschiedenen Führer-Geführten-Dyaden unterschiedlich und wirkt sich nicht nur auf das Verhalten der Führungskraft gegenüber dem Mitarbeiter aus, sondern ist auch entscheidend für die Ergebnisse auf der Ebene von Individuum, Gruppe und Organisation. Empirische Studien bestätigen, dass gute LMX-Beziehungen positiv mit Einstellung und Verhalten der Mitarbeiter zusammenhängen (z. B. Commitment und Leistung, Gerstner/Day, 1997). Deshalb wird empfohlen, mit allen Mitarbeitern eine gute Beziehungsqualität aufzubauen (Graen/ Uhl-Bien, 1995). Ferner empfehlen Schyns und Day (2010), dass Organisationen und Führungskräfte nach LMX-Excellence streben sollten, das heißt, nach einer guten Beziehungsqualität bei gleichzeitig hoher Übereinstimmung zwischen Mitarbeiter und Führungskraft in der Bewertung ihrer Beziehung sowie hohem Konsens der Mitarbeiter bezogen auf die Einschätzungen ihrer Beziehung zur Führungskraft.
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