„Ist ja krass.“ Jule schien beeindruckt, als Pauline von ihrem Besuch in der Buchhandlung erzählte. Die beiden standen in der Küche, wo Jule gerade verschiedene Blumen in eine Vase arrangierte. Sie blickte auf. „Vielleicht sollten wir ein bisschen die Werbetrommel für deine Bücher rühren.“
„Es wundert mich, dass sie dort meine Romane anbieten.“
„Das hast du mir zu verdanken. Ich kenne den Inhaber ganz gut. Er war ein Freund von Jan-Erik.“ Jules verschmitztes Grinsen verschwand und machte einem traurigen Ausdruck Platz. Noch immer schien sie nicht über Jan-Eriks Tod hinweg zu sein. Pauline legte ihre Hand auf Jules Arm. „Tut mir leid, wenn ich gewusst hätte …“
„Papperlapapp.“ Jule wischte sich mit einer fahrigen Bewegung übers Gesicht und nahm eine rosafarbene Dahlie.
„Jedenfalls habe ich ihm vor einiger Zeit deine Bücher empfohlen und gebeten, er möge ein paar Exemplare ordern.“
„Jule, du bist ein Schatz. Du kurbelst auch noch meinen Buchumsatz an.“
„Da du’s gerade ansprichst. Wir könnten noch einiges mehr in die Wege leiten.“
„Was denn?“
„Willst du nicht mal eine Lesung veranstalten? In der Hochsaison sind bestimmt eine Menge interessierte Frauen auf der Insel.“
„So was habe ich noch nie gemacht. Ich weiß gar nicht, ob ich das kann.“ Bei dem Gedanken, vor Publikum aufzutreten, wurde Pauline ganz mulmig.
„Mit ein bisschen Übung geht das schon. Soll ich mal meine Kontakte spielen lassen?“
„Du Jule, sei mir nicht böse. Natürlich bin ich dir sehr dankbar, aber das geht mir viel zu schnell. Ich muss erst mal in Ruhe darüber nachdenken.“
„Denk dran, dass du nicht ewig hier sein wirst.“ Pauline nickte nur. „Wann kommen eigentlich neue Gäste?“ Sie versuchte, dem Gespräch eine neue Richtung zu geben.
„Übermorgen. Morgen hast du frei. Das Ehepaar musste heute überstürzt abreisen.“
„Oh, das ist aber schade. Wie regelst du das eigentlich, wenn so kurzfristige Buchungsänderungen vorkommen?“
„In dem Fall habe ich ein Auge zugedrückt. Die Herrschaften haben eine Todesnachricht aus der Verwandtschaft bekommen. Ansonsten stelle ich achtzig Prozent des Übernachtungspreises in Rechnung, wenn ich das Zimmer nicht anderweitig vermieten kann.“
„Kommt das häufiger vor?“
„Nein, zum Glück nicht. Einige Gäste fangen an zu feilschen und das kann ich überhaupt nicht leiden.“ Jule rollte mit den Augen. Sie stellte die Vase mit dem hübschen Strauß auf den Küchentisch. „Hast du Hunger?“
„Ein bisschen.“
„Wir könnten in den Ort gehen und uns mal verwöhnen lassen.“
Pauline stöhnte auf. „Nee. Ich geh keinen Schritt mehr.“ Jule lachte. „Oh, ich vergaß. Ich mach uns ein paar Schnittchen. In Ordnung?“
„Klar, ich helfe dir.“ Pauline humpelte zum Kühlschrank. Kurze Zeit später ließen es sich die beiden Frauen am Küchentisch schmecken und schmiedeten Pläne für den nächsten Tag.
„Hast du Lust auf eine Radtour?“, fragte Jule, während sie eine Scheibe Graubrot mit Butter bestrich. „Es soll morgen trocken bleiben, hab ich im Radio gehört.“
„Mmh“, machte Pauline mit vollem Mund und schluckte. „Das ist eine hervorragende Idee. Hast du ein Rad für mich, oder muss ich mir eins im Ort ausleihen?“
„Es stehen ein paar im Schuppen neben der Garage.
Die können meine Gäste benutzen.“
„Hervorragend. Ich probiere sie nachher gleich mal aus. Wohin willst du?“
„Wie wäre es mit einer Tour nach Nebel?“ Jule lächelte Pauline an. „Ich weiß doch, dass dir der Ort von allen am besten gefällt.“
„Stimmt. Ich liebe dieses Flair, und wenn du nicht hier wohnen würdest, würde ich garantiert nur dort Urlaub machen.“
„Allerdings hättest du es weiter zum Strand.“
„Ich hätte kein Problem damit, jeden Tag durch das Kiefernwäldchen zum Strand zu radeln. Täte meiner Figur ganz gut.“ Pauline lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und legte ihre Hände auf den Bauch. „Hab schon wieder viel zu viel gegessen. Du solltest mich nicht so verwöhnen.“
„Ich muss doch gut für meine Angestellte sorgen.“ Jule zwinkerte Pauline zu.
„Bisher hatte ich bei dir eher ein laues Arbeitsleben.“
„Warte ab, das ändert sich sehr bald.“
„So schlimm wird es schon nicht werden.“
Das Klingeln des Telefons unterbrach die Freundinnen. Jule erhob sich und eilte ins Büro. Währenddessen räumte Pauline den Tisch ab und spülte auch gleich das Geschirr.
„Wir kriegen Gäste. Heut Abend noch“, rief Jule vom Flur her. „Sie kommen mit der letzten Fähre an.“
„Wann ist das?“
„Um zweiundzwanzig Uhr.“ Jule kam in die Küche, nahm ein Geschirrtuch und trocknete die Teile ab, die Pauline eben abgewaschen hatte.
„So spät? Dann noch die Fahrt hierher. Das heißt für dich ja fast Nachtschicht.“
Jule zuckte mit den Schultern. „Das Los der Vermieter. Die meisten Urlauber kommen nachmittags an, allerdings sind die Fähren im Sommer schnell ausgebucht. Außerdem wechseln die Ankunftszeiten je nach Tide. Wer sich kurzfristig entscheidet, muss halt nehmen, was übrig bleibt.“
„Musst du noch was vorbereiten?“
Jule nickte. „Ich gebe ihnen Zimmer drei, das ist das größte. Es kommt ein Paar mit einem Kleinkind an. Wir müssen ein Kinderbett aufstellen und die Betten beziehen.“
Gemeinsam bauten sie das Kinderbett auf. Während Jule bunt gemusterte Bettwäsche auf die Bettdecke zog, kümmerte sich Pauline um die Elternbetten.
„Ich zieh immer erst auf, wenn ich weiß, dass ich Gäste bekomme“, erklärte Jule. „Sonst staubt alles voll, bevor die Betten benutzt werden.“
„Apropos vollstauben.“ Pauline malte ein Smiley auf die Platte des Nachtschranks, das deutlich sichtbar war. „Ich hol einen Lappen und wisch überall noch mal drüber.“
Nach getaner Arbeit machten sie es sich im Wintergarten gemütlich. Im Hintergrund lief leise Musik. Pauline ließ sich eine Weißweinschorle schmecken und Jule begnügte sich mit einem Mineralwasser. Zum ersten Mal hatte Pauline einen Hauch von Jules Alltag erlebt und erkannte, dass Jule in der Hochsaison wohl eher selten einen geregelten Achtstundenarbeitstag hatte.
Pauline hatte sich bald von Jule verabschiedet und war auf ihr Zimmer gegangen. Mit dem Notizbuch machte sie es sich auf ihrem Bett gemütlich. Sofort schob sich das Bild eines Mannes mit blonden Locken vor ihr inneres Auge. Alles, was Pauline an ihm auffiel, notierte sie. Anschließend führte sie in Gedanken ein Interview mit ihm. Sie staunte, was sie dabei alles über ihn herausbekam. Natürlich notierte sie jede noch so winzige Information. Als Pauline später ihre Aufzeichnungen beiseitelegte und sich unter ihre Bettdecke kuschelte, grübelte sie darüber nach, welche humorvolle Geschichte sie um ihn herum weben sollte. Bei der Überlegung, wie sie die weibliche Hauptrolle besetzen sollte, sah sie sich in Gedanken selbst.
Die neuen Urlauber lernte Pauline am nächsten Morgen kennen. Ein junges Paar, Mitte zwanzig, wie Pauline schätzte. Beide waren an den Augenbrauen und Lippen gepierct und sehr leger gekleidet. Sie wirkten ein bisschen ungepflegt. Irgendwie passten sie gar nicht in eine beschauliche Pension an der Nordsee, Pauline hätte sie eher in einer Jugendherberge oder auf einem Campingplatz vermutet. Aber so kann man sich täuschen. Ihre kleine Tochter saß in einem Hochstuhl, kaute mit Hingabe an einem Stück Brötchen und sah Pauline mit großen dunklen Kulleraugen an. Wirklich goldig, die Kleine.
Die junge Frau reichte Pauline die Hand. „Das ist unsere kleine Lilli und wir sind Andy und Sarah Busch.“
„Hallo und herzlich willkommen.“
„Sie sind kein Gast?“
„Ich bin eine Freundin des Hauses und helfe im Moment ein wenig aus.“ Pauline nickte den jungen Leuten noch einmal zu und machte sich auf den Weg in die Küche.
Читать дальше