Eine Ehefrau, deren Gatte sein Eigentum verlor, wurde in diesem Gesetz außerdem vor dem Verlust ihrer Rechte geschützt. Auch indem er das Eigentum an Grund und Boden genau definierte, sorgte Tassilo für mehr Rechtssicherheit. Die Bildung förderte er, indem er jedem Bischof vorschrieb, eine Domschule – Vorläufer der späteren Universitäten – zu unterhalten. Bischöfen und Äbten schärfte er ein, sich in ihrem Privatleben streng nach den Kirchengesetzen beziehungsweise Ordensregeln zu richten. Auf einer weiteren Synode in Neuching bei München, in der Nähe von Erding, erleichterte Tassilo das Los der Sklaven, die es damals auch noch in Bayern gab.
Seine Klostergründungen dienten der Förderung von Glauben und Kultur gleichermaßen. Das erste Projekt ist vermutlich die Abtei Benediktbeuern am Fuß der Benediktenwand gewesen, die schnell durch eine hervorragende Predigtsammlung berühmt wurde. Die ersten Äbte hatten eine rührige Schwester, Gailswind, die in der Nähe das Frauenkloster Kochel errichtete und als Äbtissin zur Blüte führte. Innichen im Pustertal, Polling, Thierhaupten gehen auf Tassilo zurück, Gars am Inn und Metten in Niederbayern, vor allem aber Wessobrunn (wo eine Tassilo-Linde an ihn erinnert und an seinen Jäger Wezzo, der hier eine heilkräftige Quelle entdeckt haben soll) und Kremsmünster, das als Stützpunkt der Mission nach Osten gedacht war. Hier hütet man heute noch den kostbaren „Tassilokelch“, den englische Goldschmiedemeister zwischen 764 und 768 für seine Hochzeit mit der Langobardin Liutbirga gefertigt haben. Der Abendmahlskelch zeigt Christus, die vier Evangelisten und (vermutlich) Johannes den Täufer, den gemeinsamen Patron der bayerischen und langobardischen Herrscherhäuser – und die Inschrift „Tassilo dux fortis – Liutpirc virgo regalis, Tassilo, der starke Herzog, und Liutbirga, die königliche Jungfrau“.
In Gottes Namen, ich, Tassilo, Herzog der Bayern, schenke und übergebe von dem Gedanken an Gottes Barmherzigkeit und die ewige Seligkeit durchdrungen, mit starker Hand und unter Zustimmung der Mächtigsten aus Bayern, den Ort India, der im Volksmund Gelau heißt, dem Abt Atto (…) zu Bau und Unterhalt eines Klosters; vom Taistnerbach bis zur Slawengrenze, das heißt zum Erlbach, schenke ich alles ganz und gar, Gefilde und Gebirge, Weide und Jagd, Moos und Au, was immer zu diesem Ort gehört, sodass kein Mensch-in Zukunft sich unterfangen soll, unter was für einem Vorwand oder Anspruch auch immer, diesen Ort und seine Bewohner (…) zu beunruhigen. Darum habe ich eigenmächtig, so gut ich konnte, in Gegenwart meiner Richter und Vornehmsten, den Anfang der Buchstaben dieser Handschrift nachgebildet. Wir wissen auch, dass diese Gegend seit alter Zeit öd und unbewohnt ist, darum habe ich das demütige Bitten erhört und damit das ungläubige Volk der Slawen auf den Weg der Wahrheit geführt werde. Geschehen in Bozen, bei der Rückkehr aus Italien.“
Klostergründungsurkunde für Innichen im Pustertal, 769
Kremsmünster erinnert allerdings auch an einen ersten schweren Schicksalsschlag in Tassilos tragischem Leben: Gemeinsam mit seinem Sohn Gunther soll er dort im Gebiet der Enns gejagt haben; Gunther hatte es auf einen mächtigen Eber abgesehen, den er in einem wütenden Zweikampf erlegte. Doch das Wildschwein hatte ihn so schwer verletzt, dass er verblutete. Gunthers treuer Hund führte den Vater zur Leiche, und der soll so erschüttert gewesen sein, dass er spontan hier ein Kloster zu errichten versprach. Tatsächlich birgt die Klosterkirche einen wunderschönen, ein halbes Jahrtausend später gestalteten Epitaph für Sohn Gunther.
Gescheiterte Friedensinitiative
Zu einem ersten Affront war es gekommen, als Tassilo 763 seinen Onkel Pippin bei dessen Feldzug gegen die an der Loire siedelnden Aquitanier unterstützen musste – die peinlicherweise mit Tassilos Vater verbündet waren – und mitten im Krieg das Schlachtfeld mit seinen Truppen verließ. Glatte Fahnenflucht, obwohl er sich darauf berufen konnte, dass daheim an der bayerischen Ostgrenze wieder einmal Attacken der Awaren drohten. Pippin plante einen Rachefeldzug, Tassilo bat den Papst um Vermittlung, Pippins plötzlicher Tod löste das Problem – scheinbar.
Tassilo schloss ein Bündnis mit den Langobarden, heiratete deren Prinzessin – und schöpfte Hoffnung, als sein Cousin Karl (der spätere Karl der Große), Pippins Sohn, eine Schwester Liutbirgas zur Frau nahm und Pippins Witwe Bertrada die Aussöhnung zwischen Franken und Langobarden betrieb. Bertrada, Tassilos Tante, stattete ihm in seiner Regensburger Herzogspfalz einen Besuch ab und wurde herzlich empfangen. Doch Karls Bruder Karlmann und der die Langobarden wie den Teufel fürchtende Papst machten die Friedensinitiative zunichte, es gab neue Feldzüge, heimtückische Morde.
Der auf Unabhängigkeit bedachte Bayernherzog geriet immer stärker ins Visier der misstrauischen fränkischen Führung. Es half ihm wenig, dass er den Aufstand der Osttiroler Karantanen im Auftrag Karls bravourös niedergeschlagen hatte und von begeisterten Klosterchronisten mit Kaiser Konstantin verglichen worden war. 781 wurde er vor die Reichsversammlung in Worms geladen, wo er seinen Vasalleneid erneuern musste. Als er auch noch unter den bayerischen Adeligen und Bischöfen auf zunehmende Opposition stieß, suchte Tassilo in Panik und völliger Verkennung der politischen Realitäten den Schulterschluss mit den Hunnen, den Todfeinden des fränkischen Reiches. Damit war sein Schicksal besiegelt. Karl – der sich jetzt etwas angeberisch „König der Franken und Langobarden“ nannte – rüstete zum Krieg gegen Bayern. Tassilo flehte ihn um Gnade an, bekam Verzeihung gewährt, unter demütigenden Bedingungen, er musste Karl die Füße küssen und ihm sein Zepter überreichen – und schon nahm er erneut Verhandlungen mit den Hunnen auf. Obwohl er Karl zwölf Geiseln gestellt hatte, darunter seinen eigenen Sohn.
788 wurde er auf der Reichsversammlung von Ingelheim entwaffnet, verhaftet und wegen des Bündnisses mit den Reichsfeinden und der ein Vierteljahrhundert zurückliegenden Fahnenflucht zum Tod verurteilt; die wütendsten Ankläger gehörten dem bayerischen Adel an, der sich bei König und Papst einschmeicheln wollte. Karl wandelte die Todesstrafe generös in dauernde Klosterhaft um und verbannte den Herzog zunächst nach St. Goar und dann nach Jumièges an der Seine. Auch Liutbirga und Tassilos vier Söhne und Töchter verschwanden für immer hinter Klostermauern, in Trier, in Chelles, in Laôn, damit sie keinen Kontakt miteinander aufnehmen konnten.
Nach 792 ist Tassilo gestorben, angeblich im Kloster Lorsch an der Bergstraße. Seine Bayern liebten ihn bis zuletzt, trotzig tauften sie ihre Kinder auf die Namen der Verbannten. Tassilos Standbild in seiner stolzen Gründung Kremsmünster trägt die melancholische Inschrift: „Tassilo, zuerst Herzog, dann fast König, zum Schluss Mönch.“
„Herr Papst, wärt Ihr hier, ich getraute mich wohl, Euch zu sagen …“
Ein feuriger Elias
Warum der nicht sehr bibelfeste Bruder Berthold von Regensburg (um 1210–1272) zu einem der besten Volksprediger des Mittelalters wurde
Er war der prominenteste deutsche Volksprediger des Mittelalters. Einen „feurigen Elias“ nannte man ihn oder die „leuchtende Fackel“. Wo er auftauchte, strömten die Menschen in Scharen zusammen. Der Bauer ließ die Ochsen vor dem Pflug stehen und der Metzger seine Schinken unter dem Rauchfang liegen. „Seit den Aposteln bis auf unsere Tage“ sei ihm niemand gleichgekommen, zumindest in deutschen Landen, schwärmt der italienische Geschichtsschreiber Salimbene de Adam in seiner nach 1280 entstandenen sehr unterhaltsamen Chronik:
Читать дальше