„Moment. Amazonas ist wo? … wie misst man das hier in Kilometern?“ Conny zeigte es ihm. „Naja, nur so ungefähr. Wenn man von hier aus geht.“ Er zeigte dabei ins obere Drittel des Amazonasgebiets, „dann sind das etwa 1500 Kilometer in südwestlicher Richtung. Da gab es Berge, die schätze ich mal 2000 Meter hoch waren oder auch 3500. Vorgebirge. Wie zeigt man diese Entfernung auf dem Atlas?“
Trifter und Laura rechneten. „Naja“, vollendete Dennis den Satz, „jedenfalls zog sich das Reich von der Grenze von Panama bis in den Süden von Südamerika. Wo das endete, weiß ich nicht genau. Nur die Westküste - also westlich der Anden gehörte nicht dazu.“
„So riesig“, fragte Laura. Das ist ja fast der ganze Kontinent.“
Dennis nickte. Dann zeigte er auf die Karte. „Etwa von hier bis hier bin ich gekommen.“ Achselzuckend fügte er hinzu: „Ich bin viel gereist.“ Trifter sah Dennis ungläubig an. „Doch nicht etwa zu Fuß?“
Dennis lächelte, „ich hatte es bequemer. Ich hab mich tragen lassen. Aber die Indios sind höllisch schnell gewesen.“ Er erzählte von den Läufern, der Sänfte und den Kriegern. „Der Dicke“ war angehender Jurist. Von solchen Sachen hatte er keine Ahnung. Dass so ein Stein, wie Dennis ihn da hatte, besonders geschützt werden musste, das war ihm natürlich klar.
„Nun noch mal zu der andern Sache“, bat er Dennis um seine Stellungnahme.
Dennis erzählte, was er sich überlegt hatte. „Ich denke, es ist das Beste, wieder als Dennis aufzutauchen. Mein Aussehen kann ich verändern. „Der Dicke“ weiß wie. Meine Mutter kann sicher beschwören, dass ich Dennis bin. Sie wird noch irgendwo meine Geburtsurkunde haben. Vielleicht kann ich sagen, dass ich damals einfach ausgebüchst bin. Ich hatte die Nase voll. Ich wollte die Welt sehen. Naja. Sowas in der Art, und ich hatte keine Lust, mal einen Brief zu schreiben. Launen eines vierzehnjährigen halt. Dann könnte ich als Dennis wiederaufstehen. Man wird vielleicht einen Frachter oder einen Kapitän finden, der schwört, er habe mich im Schiffsraum mitgenommen. Ich habe meine Überfahrt abgearbeitet. Vielleicht bin ich auch als blinder Passagier mitgefahren. Lasst euch mal was einfallen.“
Es war minutenlang still. Dann sah Trifter den Dicken an. „Wir können schlecht sagen, wir hätten Dennis auf eine Forschungsreise geschickt. Wir müssen uns eine Geschichte für ihn ausdenken.“
Der angehende Jurist dachte lange nach. „Die Sache mit der Medikamentenmafia macht mir immer noch Sorgen. Wir sollten Dennis Wiedergeburt nicht an die große Glocke hängen. Vielleicht kann er offiziell in die Dienste von Conny treten. Als ungelernte Kraft. Mülleimer raustragen und so. Natürlich nur offiziell. Jedenfalls sollten wir kein öffentliches Freudenfeuer für Dennis anzünden. Das muss gut vorbereitet werden. Jeder muss auf seinem Posten sein. Vielleicht kann er uns auch eine Postkarte aus Buenos Aires schicken. Die ist ein paar Wochen unterwegs. Dann kann er in zwei Wochen im Hafen von Hamburg abgeholt werden. Sowas lässt sich leicht fälschen und kostet auch nicht viel.“
Er fuhr fort: „Dann kann seine Mutter beeiden, dass Dennis ihr Sohn ist und alles geht seinen bürokratischen Gang. Laura und Conny tun so, als sterben sie vor Freude, wenn sie ihn wiedersehen. Vielleicht sollten wir aber erst Connys Abitur abwarten, falls es wider Erwarten doch einen Rummel gibt. Dennis war schließlich eine ziemlich bekannte Persönlichkeit, ihr wisst ja selbst. In der Zwischenzeit kann Dennis etwas über das heutige Südamerika lernen. Alles, was er wissen muss. Es wird ihm nicht schaden. So wie ich dich kenne, Dennis, wird es nicht lange dauern, dann willst du noch mal dahin. Ich würde es nicht anders machen.“
Das war eine lange Rede und der Beginn eines noch längeren Abends. Wie gut, dass das Wochenende vor Ihnen lag. Laura und Conny hatten schulfrei. Die andere Arbeit konnte aufgeschoben werden.
Sie diskutierten lange. Schließlich brach „der Dicke“ das Gespräch ab. „Ich denke mal, heute werden wir nichts mehr beschließen. Nicht im Detail. So oder so ähnlich machen wir das. Trifter und ich werden uns die Einzelheiten überlegen. Wir werden das deichseln. Dennis wird Erdkunde und sowas büffeln. Die Landschaft kennt er ja, aber er weiß nichts über heutige Städte, über Länder, über politische Strukturen. Vielleicht kann Laura ihm dabei helfen. Laura kann ihre Arbeit in der Stiftung etwas vernachlässigen. Sie hat dort ein paar gute Leute sitzen, die sie in den nächsten Wochen, zusammen mit Trifter, vertreten können. Wichtig ist jetzt ein lückenloser Nachweis der Identität, auch wenn Dennis sich selbst spielt. Ich sage euch das als angehender Jurist. Naja. Und natürlich als euer Freund.“
„Wir brauchen mindestens zwei Wochen, bis wir alles geregelt haben. Ich denke die Postkarte sollte höchstens zwei Tage vor Dennis Eintreffen in Hamburg hier ankommen. Sonst wird nur unnötig blöde nachgefragt.“
Sie verabschiedeten sich. Die Sache war im Groben abgemacht.
So hatte Dennis in wenigen Stunden Aussicht auf eine alte und eine neue Identität bekommen. Er war froh. Er wollte sich nicht verstecken.
Die paar Wochen würde er lernen, so wie das „der Dicke“ gefordert hatte. Er sah Laura an. „Hilfst du mir?“ Er sah die Antwort in Lauras Gesicht. Er würde bald viel mehr wissen über diesen Kontinent.
„Ich habe einen Computer“, orakelte Conny. „Den könnt ihr benutzen, um im Internet zu recherchieren. Laura weiß, wie das geht. Bücher besorgen wir dir aus der Leihbücherei. Aber das können wir morgen besprechen. Ich will ins Bett.“
Auch Dennis und Laura zogen sich zurück.
„Ist es das was du wolltest“, fragte sie, als sie nebeneinander lagen.
„Ich glaube schon“, antwortete Dennis.
Als sie am nächsten Morgen aufwachten, streckte sich Dennis erwartungsfroh. „Heute freue ich mich auf das Frühstück. Brötchen, Kaffe, Käse, Speck, Tomate… all das.” Laura lief, um Brötchen zu holen. Dennis machte Kaffee, briet Speck und Eier und deckte den Tisch.
Als Conny herunterkam war alles fertig. „Ihr seid die besten“, lachte sie und goss sich Kaffee ein.
8.
Auch Dennis hatte heute richtig Hunger. Er hatte eine Perspektive. Sie war in greifbarer Nähe. Und er hatte eine konkrete Aufgabe. Er musste seine Legende glaubwürdig stricken.
Dennis hatte sich schon beim Zubereiten des Frühstücks so seine Gedanken gemacht. Er schob es zunächst auf, das auszusprechen. Jetzt hielt er eine lange Rede, immer wieder unterbrochen durch Essen und Trinken.
„Hört mir jetzt mal zu, und unterbrecht mich nicht. Heute ist der erste Tag für mich, wo ich all das vorbereiten muss, was jetzt vor mir liegt. Conny hat mich gestern mitlernen lassen. Das hat uns, glaube ich, beiden geholfen. Das, was heute vor mir liegt, wird auch Conny nützen, denn die Analyse ist Connys Schwachpunkt, hat sie gestern gesagt. Es geht nicht darum, jetzt irgendeinenWeg nachzuzeichnen. Es geht darum, den einen, absolut glaubwürdigen und nachvollziehbaren Wegzu erfinden.“
„Wir brauchen eine Analyse der verschiedenen Fakten, die Auswahl einer glaubwürdigen Reiseroute, und vor allem das Hineindenken in die Situation und die Menschen des heutigenSüdamerika. Davon weiß ich nichts. Dafür brauche ich jetzt eure Hilfe. Den Atlas zu lesen, das habe ich vergessen. Von Schiffen hab ich keine Ahnung. Ich weiß nicht, wie und wo ich diese Informationen möglichst schnell herbekomme. Es gibt viele Dinge, die ich ganz neu lernen muss. Conny, du bist die älteste. Du hast wahrscheinlich viele Kenntnisse durch deine Reisen. Hilfst du mir heute?“
Zu Laura gewandt sagte Dennis: „Dein Organisationstalent ist deine Stärke. Du hast viele Kontakte. Du sagst, du kannst mit dem Computer umgehen. All das brauche ich jetzt.“
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