Ein unsichtbares Band, genannt Familie.
Ein Drei-Generationen-Dialog
1. Auflage, erschienen 8-2021
Umschlaggestaltung: Romeon Verlag
Text: Heli Ihlefeld
Layout: Romeon Verlag
ISBN (E-Book): 978-3-96229-798-5
www.romeon-verlag.de
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EIN UNSICHTBARES BAND, GENANNT FAMILIE
Ein Drei-Generationen-Dialog
Vorwort
Mein Großvater Otto Rüter
Der Beginn eines (scheinbar) geradlinigen Lebenswegs
Die Liebe oder die schöne Kunstläuferin
Zum ersten Mal „nicht tauglich“
Aufwärts geht’s
Der Erste Weltkrieg – alles wird anders
Onkel Hans und die Wieselbriefe
Stimmungsbericht aus der „Waffenschmiede“
Drei-Generationen-Dialog
Eine verlorene Kindheit
Ein unsichtbares Band, das man Familie nennt
Ein bewegtes Leben: Heli Ihlefeld
Für...
die fünf Enkel von Onkel Hans, Andreas, Annabelle, Hans-Martin, Franziska und Julia
meine beiden Brüder Andreas und Hermann und deren Kinder Henrik, Dodo und Moritz,
meine Kinder Katharina und Sebastian und meinen Enkel Antek
und für alle Kinder und Kindeskinder
„Die Wieselbriefe von Hans müssen veröffentlicht werden!“ Diese Worte meiner Mutter sind in meinem Gedächtnis haften geblieben. Als ich 60 Jahre später die auf hauchdünnem Durchschlagpapier getippten und nummerierten Briefe im Nachlass meiner Patentante Elli, zusammen mit 40 handgeschriebenen Seiten Lebenserinnerungen meines Großvaters fand, nahm ich den Auftrag an.
Mit diesem Fund wurde mir klar, was drei Generationen innerhalb kürzester Zeit an Schicksalsschlägen und Schrecken zugemutet worden war. Aus der dritten Generation stamme ich, ein Kriegskind, das seine Kindheit verloren hat.
Mein Großvater Otto Rüter, einfacher Handwerkerspross, durfte studieren, baute ein Stahlbauwerk in Hannover auf und Eisenbahnbrücken als Ingenieur in ganz Europa. Sein Lebenswerk ging durch den Ersten Weltkrieg für die Familie verloren. Sein ältester Sohn Hans, der Bruder meiner Mutter und mein Lieblingsonkel, machte den ganzen Russlandfeldzug bis zur Krim mit. Als Leiter einer Instandsetzungskompanie der Division, genannt „das Wiesel“. Seine 23 Briefe sind das Kernstück dieses Buches nummeriert von Onkel Hans wohl in dem Bewusstsein, dass sie durch die Zensur mussten. Er wollte wissen, ob sie alle ankamen. Und von 24 sind tatsächlich alle bis auf einen bei der Schwester meiner Mutter angekommen. Insgesamt hat er 14 Durchschläge verfassen können, die mit ein paar persönlichen handschriftlichen Bemerkungen ergänzt an die engste Familie und sehr gute Freunde geschickt worden sind. Was aus den übrigen geworden ist, entzieht sich meiner Kenntnis.
Hans Rüter ersparte ihnen nicht den unfassbaren Schrecken und die unfassbaren Grausamkeiten dieses verbrecherischen Krieges. Seine Liebe jedoch zu seiner Familie ist in diesen Briefen auch unübersehbar, wenn man sich in seinen trockenen, ironischen Stil eingelesen hat. Mir ist, als hätte er einen Auftrag verspürt, diesen unvergesslichen Krieg auf seine ganz besondere persönliche Art zu dokumentieren und der Nachwelt nahezubringen. Dass er die Zensur berücksichtigte, geht ebenfalls aus den Briefen hervor. Und er schaffte es. Beamte verstehen wohl keine Ironie.
Als ich ein junges Mädchen war, habe ich ihn wegen dieses trockenen Humors bewundert und geliebt. Und dieser hat auch auf mich abgefärbt ebenso übrigens, wie Opas Bedürfnis, seine Pflicht zu erfüllen. Die ganze Familie liebte auch Hans´ liebevollen Humor.
Onkel Hans war immer eine große Hilfe und Unterstützung für mich. Denn ich war ein einsames Kind und ein orientierungsloser junger Mensch.
Ich, Kind aus der dritten Generation, habe die Schrecken, die ich ebenso wie mein Bruder Andreas erleben musste, durch ein gütiges Trauma weitgehend vergessen dürfen. Nur ganz Weniges ist mir aus dieser Zeit in Erinnerung geblieben. So muss ich heute sagen, dass ich meine Kindheit verloren habe.
Obwohl ich noch zur „Tätergeneration“ gehöre, frage ich mich nach wie vor: Bin ich Täter oder Opfer? Wer kann mir diese Frage beantworten? Ich gebe dem naziverfolgten Willy Brandt recht, wenn er in seinem Buch „Verbrecher und andere Deutsche“ im Vorwort schreibt: „Im Übrigen habe ich versucht, die Beseitigung der Ruinen - jener auf den Straßen und jener in den Hirnen - zu schildern. Nichts davon kann weggepredigt werden. Sie müssen weggeräumt werden, um neuem Leben Platz zu machen.“
Das Buch soll aber auch zeigen, was den Kindern und jungen Menschen von drei Generationen damals zugemutet wurde. Das ist heute auch wichtig angesichts der Tatsache, dass gegenwärtig in den Zeiten der Pandemie vor allem Kinder die Leidtragenden sind.
Mein großer Wunsch ist, dass diejenigen, denen Leid zugefügt wurde oder heute wird, es später besser machen. Aber Menschen sind keine Heiligen. Sie müssen erst verstehen können. Auf das „Bewusstmachen“, folgt die Vergebung und dann die Versöhnung.
Heli Ihlefeld
MEIN GROßVATER OTTO RÜTER
Ich kann mit den Toten sprechen. Sie sind lebendiger als wir. Ich höre ihnen zu. So hat mir mein Großvater auch seinen Lebenslauf übergeben. Eines Tages hielt ich ihn in meinen Händen.
Er erzählte mir darin von einer schlichten und herrlichen Kindheit. Von einer Kindheit, die ich durch den Zweiten Weltkrieg verloren hatte.
Der Krieg war zu Ende und ich ging in Hannover aufs Gymnasium. Wenn ich mittags nach Hause kam, saß Opa an seinem kleinen sechseckigen Marmortisch und legte Patiencen.
Ich erinnere mich an sein lachendes rundes Gesicht mit den klaren hellblauen Augen unter buschigen Augenbrauen. Die Ohrmuscheln standen ab von seinem kahlen Schädel.
Mein Großvater!
Wenn ich kam, blickte er von seiner Patience auf und freute sich. „Wie war’s in der Schule?“
Er legte erwartungsvoll seine rechte Hand ans Ohr und schob die Ohrmuschel etwas nach vorne, denn er war schwerhörig. – Übrigens ein Familienerbe.
Aber ich hatte keine Lust, ihm von der Schule zu erzählen. Ich ging nicht gerne zur Schule. Opa aber dachte als über 80-jähriger Mann nach einem langen arbeitsreichen, anstrengenden und auch schmerzensreichen Leben fast nur noch an seine Kindheit.
Ich lese in den 44 handgeschriebenen Seiten seines Lebenslaufes:
„Ich bin jetzt über 80 Jahre und gesundheitlich so in Form, dass ich spazieren gehen kann, gerne noch Zigarren rauche und abends noch ein Schöppchen Wein trinke.“
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