Roszaks Perspektiven stützen sich auf tiefenpsychologische Überzeugungen, wollen das Ich, das im Zentrum und einem kranken Planeten gegenübersteht, über die Erweckung des universell in allen angelegten »ökologischen Unbewussten« zu dessen Heilung befähigen. Sie sind von einem erlösenden Gottesbild oder zumindest von spirituellen Erlösungskonzepten getragen. Die Schuld und die Verschuldung (hier nun an der Umwelt) sind wesentliche Triebkräfte des Zugangs. Das sind bis zum heutigen Tag Grundthemen bei vielen Menschen, die sich für Umweltfragen einsetzen. In dieser Frage unterscheidet sich der ökopsychologische Zugang maßgeblich von dem Ansatz, den ich hier zu beschreiben suche. Schuld und Erlösungsbilder gehören nicht zu unseren Grundannahmen, wir orientieren uns eher an Versöhnung und dem Versuch, bessere (Beziehungs)Verhältnisse zu schaffen.
Doch es gibt auch gemeinsame Denkrichtungen, so zum Beispiel die Wertschätzung für Jäger-und-Sammler- sowie frühagrarische Kulturen, die explizite Kritik an patriarchalen Herrschaftsstrukturen und die Anerkennung von ökofeministischen Stimmen. All das spielt unserem Ansatz zu, auch wenn Roszaks Sprache, das ist wohl auch der Zeit und seinen Denkschulen geschuldet, oft selbst in einen der inhaltlichen Absicht widersprechenden imperial-paternalen Duktus verfällt. (Vor dem ist ja wohl niemand ganz gefeit, auch ich nicht.)
So bin ich Theodore Roszak für sein Werk und Engagement für das, was man Gegenkultur nannte, dankbar. Ebenso all jenen, die bis heute in diesem Bereich für Bildung und Gesundheit aktiv sind und Zugänge zu einer lebendigen Erde ins Zentrum ihres Wirkens stellen. 24
Wenige Jahre nach dem Erscheinen von The Voice of the Earth , wie Roszaks Werk im Originaltitel heißt, brachte David Abram, ein damals junger Anthropologe und Philosoph, ein Buch auf den Markt, das die Ökologie-Bewegungen um eine Schlüsselerkenntnis und eine Reflexionstiefe erweitern sollte. Er verband in seinem The Spell of the Sensuous die Reziprozität im menschlichen Wahrnehmungsgeschehen mit der mehr-als-menschlichen Welt, der Landschaft. Seine Gedankenreise beginnt bei persönlichen außergewöhnlichen Geschichten, die ihm während seiner Asienzeit als Taschentrickkünstler geschahen, anschließend nimmt er uns mit auf einen philosophischen Parcours, der den Unterschied zwischen oral-indigenem Weltenempfinden und schriftkulturell geprägtem Denken deutlich machen will. Darin bringt er uns die Phänomenologie Husserls und vor allem auch Merleau-Pontys Entdeckung der Wechselseitigkeit alles Sinnlichen nahe. Schließlich führt er durch die Prozesse der Entortung, die unsere Sprache besonders mit der Verschriftlichung erfahren hat, und letztlich zurück in den Raum von Erinnerung und Poesie, der wieder anschließt an indigenes Weltenempfinden.
Erst 2012, 14 Jahre nach dem ersten Erscheinen, wurde Abrams Buch unter dem Titel Im Bann der sinnlichen Natur ins Deutsche übersetzt und gehört bis heute zur wesentlichen Inspiration für viele Menschen, die unter dem Geist der Wechselseitigkeit in und mit der Natur arbeiten oder das Feld der Öko-Philosophie bestellen. Abram hat eine Sprachtüre zur reziproken Begegnung von Mensch und Naturraum aufgetan, die uns auch hier noch mancherorts begleiten wird.
Mittlerweile scheinen die »Stimmen der Erde« oder andere ökologische Überlegungen vermehrt in das professionelle Feld von Psychotherapie und Beratung einzufließen. Dazu gehören das Erscheinen von zwei rund tausendseitigen Kompendien, die sich mit der Natur-Beziehung von und in Psychotherapien beschäftigen 25, ebenso wie die öffentliche Aufmerksamkeit, die seit einiger Zeit dem »Waldbaden«, diversen Achtsamkeitstrainings in der Natur, der Green Meditation und anderen Naturtherapien zukommt. Seit der ersten Auflage der Systemischen Naturtherapie (Kreszmeier 2012) hat sich das damals noch kaum vorhandene kollegiale Feld um ein Vielfaches erweitert. Diversität ist, wie in allen lebendigen Systemen, auch hier ein gutes Zeichen.
Wer weiß, wohin das noch führt? Ja, wer weiß, wohin Psychotherapeut:innen von ihren Klient:innen geführt werden?
Von allen edlen Überlegungen abgesehen, sind es vor allem die Anliegen und Fragen der Menschen, die in die Praxen und Kliniken getragen werden. Welche guten Fragen können den zahlreichen und mehr werdenden Menschen gestellt werden, die aus ihrem persönlichen Empfinden heraus nicht mehr primär an Geschehnissen in ihrer Kindheit kranken, sondern an einer Form des massiven Leidens mit der Welt, das sich sowohl auf die Ausbeutung von menschlichen als auch von nicht-menschlichen Ressourcen bezieht? Was brauchen Menschen, die in keine Flugzeuge mehr steigen, zu Hause Tomaten pflanzen, sich vegan ernähren und oft keine Ahnung haben, wie und wo den Fuß auf die Erde zu setzen, ohne nicht in das Gefühl von Verschuldung zu geraten? Was be-sprechen wir mit jenen, die den traditionellen Familienbegriff bestenfalls verklären, ihn aber bestimmt nicht mehr ausfüllen wollen und schon lange mit kooperativen Lebensformen experimentieren? Und wie arbeiten wir mit den vielen, die mit Anfang Zwanzig schon die ersten Burn-out-Krisen durchmachen, weil ihre Wachheit und Wahrnehmung und ihr Engagement zu einem erhitzten Mix werden?
Werden sie mit einer Beratung, die sie entlang von reglementierten Straßen führt, gesehen und ihr Fragen beantwortet sein? Wird hier die moderne, von bürokratischen und fachlichen Regelungen zunehmend gelenkte Psychotherapie anschlussfähig bleiben?
Es ist zu vermuten, dass jenes Netz ökologisch orientierter Ansätze, das von vielen Himmelsrichtungen unseres Globus inspirierte Hybridformen ausbildet, gemeinsam mit den gegenwärtigen Notlagen der menschlichen sowie der anders-als-menschlichen Welt weiterwachsen wird. Hier auch nur einen annähernd vollständigen Überblick der Akteur:innen und Aktanten geben zu wollen, wäre vermessen. Dennoch kann es das Verständnis für die Vielfalt schärfen, wenn wir entlang von unterscheidenden Merkmalen zumindest einen Teil der aktuellen Bewegungen wahrnehmen. Mir kommen dabei verschiedene Perspektiven entgegen:
Die transzendenten und immanenten, die psychologischen und die politischen, die progressiven und die zirkulären Perspektiven. Diese klassisch dualen Muster erlauben denn auch verschiedenste Mischungen. Zunächst aber noch einmal jede für sich betrachtet:
Transzendente Perspektiven
Die Erde und das Leben werden in diesen Perspektiven als globales oder kosmisches Ganzes gesehen. Sie sind einer himmlischen Außenperspektive oder einer transzendenten Urkraft verbunden, einer Essenz oder Quelle oder auch verschiedenen Gottesbildern. Die Anbindung an diese Quelle erfolgt meist über Distanznahme, Stille, Kontemplation und Konzentration und will das Bewusstsein für das Ganze erweitern, neue Erkenntnisse emergieren. Die meisten ökologischen Bewegungen, die sich der reflektierenden Anschauung und Achtsamkeitswegen verbunden fühlen, folgen dieser Perspektive: buddhistische und hinduistische Wege, christliche Mystik gehören hier erwähnt.
Diese Ansätze gehen von konkreten Orten und Situationen aus, sie handeln der Erde nahe und schauen zur Erde hin. Hier richtet sich die Aufmerksamkeit auf die vielen Geschöpfe, auf die konkret hier miteinander Lebenden, und so bildet sich auch das Begreifen und Erkennen aus. Das Anerkennen von Vielheit und Pluralität steht gemeinsam mit wahrnehmendem Miteinander-Handeln im Zentrum. Sie folgen einer Ontologie immanenter, sinnlicher Erfahrung und der Annahme, dass wir Menschen Erdverbundene inmitten von Erdverbundenen sind. Viele indigene Traditionen bzw. deren Intellektuelle, einige Anthropolog:innen, Soziolog:innen, Philosoph:innen beschreiben und bemühen sich um diese Weltenschau. 26
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