Bald darauf entfachte sich aber eine neue Idee, nämlich mich gezielt auf meinen Traumberuf Ärztin vorzubereiten. Etwa mit acht Jahren begann ich, Miniaturplastiksäckchen zu erstellen, diese mit rot gefärbtem Wasser (in meiner Idee Blut) zu füllen und in die Hohlräume der Puppen zu implantieren. Mein Ziel war es, Blut zu entnehmen und unter dem Mikroskop meines älteren Bruders zu untersuchen. Das erneut knifflige Projekt endete in kleineren und grösseren Sauereien.
Die absolut krönende Herausforderung war schliesslich, eine tote Fliege wieder zum Leben zu erwecken. Ich beträufelte die auf einem Papiertaschentuch aufgebahrte Fliege sanft mit Tropfen aus einer Spritze. Deren Inhalt war nichts anderes als das Lebenselixier Wasser. Voller Spannung wartete ich auf Reaktionen. Nichts geschah, nicht der kleinste Flügelschlag, nicht das leiseste Zucken. Ein weiterer Tropfen Lebenselixier und die Verlegung auf die Fensterbank folgten, damit zusätzlich himmlische Sonnenstrahlen auf die Fliege einfielen. Wiederum null Reaktion. Das darf doch nicht wahr sein, dachte ich, ähnlich wie bei den Puppen. Nur Materie ohne Leben, nur diesmal nicht aus Kautschuk! Aber ich war um eine Erfahrung reicher: Ich wurde unmissverständlich mit dem Tod konfrontiert. Das kam mir fremd, gruselig und unheimlich vor. Was für ein Unterschied zwischen der lebendigen Fliege, die nervig und unermüdlich herumsummt, und der toten Fliege, die starr und regungslos vor sich hin trocknet! Diese Beobachtung löste in mir ein sonderbares Schaudern aus. Ein Schaudern, das ich heute noch verspüre, wenn ich mit dem Tod in Berührung komme.
Als es um die Berufswahl ging und ich meinen innigsten Wunsch, Ärztin zu werden, kommunizierte, stiess ich bei meinem autoritären Vater auf taube Ohren. Er meinte, meine Mathematiknote sei dermassen schlecht, dass sie mir den Übertritt ins Gymnasium unmöglich mache. Das hat mich hart getroffen. Das Oberhaupt der Familie war zudem der festen Überzeugung, dass ich als sehr feinfühlige, sensitive Persönlichkeit dem Druck der Medizin, sprich den Leidensgeschichten der Patientinnen und Patienten, nicht standhalten würde. Diese beiden fixen Meinungen liessen nicht den geringsten Spielraum für weitere Diskussionen. In mir herrschte einen Moment lang nur noch Weltuntergangsstimmung, und ich hegte einen inneren Groll meinem Vater gegenüber. Aber die kleine Ärztin liess sich nicht unterjochen. Sie wusste im innersten Herzen, dass sie eines Tages ihren Traum realisieren und im Rahmen des Möglichen Menschen mit gesundheitlichen Beschwerden helfen würde.
Mein vom Vater indoktrinierter Bildungsweg führte anfänglich über Sprachaufenthalte in die kaufmännische Welt. Ich schloss die Handelsschule sowie die kaufmännische Lehre mit Diplom ab und startete die praktische Tätigkeit direkt im Polizeiwesen als Stabsassistentin. Weit weg also vom Gesundheitswesen, aber hautnah am Puls der Menschen. Hier wurde mir erstmals richtig bewusst, wie unterschiedlich wir Menschen im Denken, Handeln und Fühlen sind. Warum ist das so? Warum sind nicht alle gleich? (Lesen Sie mehr darüber im Kapitel «Wir sind nicht gleich».)
Neben meiner spannenden Tätigkeit bei der Polizei drehten sich meine Gedanken ununterbrochen um die Welt der Medizin. Wenn jemand in der Familie, in der Bekanntschaft oder am Arbeitsplatz erkrankte, nahm ich den Pschyrembel (ein medizinisches Fachbuch) zur Hand, suchte nach den vorliegenden Krankheiten und setzte mich im Rahmen des Möglichen damit auseinander, quasi als Fortsetzungsarbeit meiner früheren Puppenarzttätigkeit. So geschah es, dass sich meine Arbeitskolleginnen und -kollegen in eine Warteschlange vor meinem Büro begaben, um sich als Testpersonen für Experimente zur Verfügung zu stellen. Sie wollten mehr wissen über die von mir erklärte Wirkung des Reizes und liessen sich von mir therapieren. Diese Art von Tätigkeit stand natürlich nirgends in meinem Pflichtenheft, und ich bangte, dass Vorgesetzte dies nicht lange billigen würden. Doch einige davon gesellten sich sogar zur Testgruppe. (Im Kapitel «Der Reiz und seine Antwort» erfahren auch Sie mehr.)
Meine Zeit bei der Polizei endete mit der Geburt unserer Tochter. Eine neue Aufgabe erwartete mich. Mit Leidenschaft war ich Mutter und sehr auf ein harmonisches Familienleben fokussiert. Die kleine Ärztin in mir blieb aber hartnäckig und trieb mich ständig dazu, Gesundheitsbeiträge und Fachliteratur zu lesen. Nachdem unsere Tochter flügge geworden war, bäumte sich die ständige Geisseltreiberin so richtig auf und gab mir unmissverständlich zu verstehen, dass ihre Blütezeit nun reif sei, und zwar ohne Wenn und Aber. Hoppla, dachte ich, das heisst Ärmel hochkrempeln, nochmals die Schulbank drücken, und das nicht nur für heute und morgen. So absolvierte ich vorerst die Ausbildung zur medizinischen Sekretärin H+ (H+ ist der nationale Spitzenverband der öffentlichen und privaten Schweizer Spitäler, Kliniken und Pflegeinstitutionen). Nebst der medizinischen Terminologie waren Anatomie und Pathologie die Hauptfächer. Die Ausbildung beflügelte mich und liess mein Herz höherschlagen. Ich spürte eine gewaltige Energie und Motivation, nun der Körperwelt – und nicht dem Kautschuk – auf die Spur zu kommen. Ich entschloss mich, parallel auch noch die viereinhalb Jahre dauernde Ausbildung zur diplomierten Naturheilpraktikerin TEN (traditionelle europäische Naturheilkunde) zu starten. Es war eine intensive Zeit. Unterricht und Prüfungen an zwei Ausbildungsstätten gleichzeitig zu absolvieren, war fordernd. Meine Tage und Nächte waren mit intensivem Lernen ausgefüllt. Meine Familie und meine Freunde wurden in dieser Zeit stiefmütterlich behandelt.
Mit dem erfolgreichen Abschluss beider Ausbildungen hat sich mein Traum erfüllt. Heute bin ich zwar keine Ärztin, dafür aber Komplementärmedizinerin. Mein Fokus richtet sich auf die integrative Medizin. Das heisst, ich strebe eine Symbiose zwischen konventioneller und komplementärer Medizin an. Es ist mir wichtig, dass die Vertreterinnen und Vertreter der beiden Sparten respektvoll miteinander umgehen und es gemeinsam als das oberste Ziel ansehen, den Patientinnen und Patienten die bestmöglichen Voraussetzungen für ihren Heilungsprozess zu schaffen. In unserem Beruf sind wir das den Menschen schuldig, die uns ihr Vertrauen und ihre Hoffnung schenken. Mein Fachwissen zusammen mit den nicht unbedeutenden Fremd- und Eigenerfahrungen kann ich heute in der Praxis als diplomierte Naturheilpraktikerin gezielt einbringen. Beruflich lebe ich die mir in die Wiege gelegte Passion und bin überzeugt, dass sich selbst mein seliger Vater darüber freuen würde. Mein zweiter Bildungsweg war geprägt von Staunen, Begeisterung, Bewunderung und grossem Respekt unserem Körper gegenüber. Einem Wunderwerk der Natur, das ich Ihnen in meinem Buch näherbringen will.
Das Mysterium X
Die Annehmlichkeiten unseres hoch entwickelten Lebensstandards haben die Menschheit nicht nur geprägt, sondern in gewisser Weise auch verändert. So leben wir heute mit viel Wohlstand in einer Selbstverständlichkeit, ohne uns gross Gedanken über unsere Entstehung, das Leben und die Gesetze der Natur zu machen. Verständlich, denn heutzutage fokussieren wir uns auf ganz anderes als auf diese Fragen: Existenz, Familie, Partnerschaft, Beruf, Gesundheit, Wirtschaft, Politik, Technologie, Wissenschaft und vieles mehr stehen global im Zentrum.
Auf die Fragen, was vor dem Urknall war und wer oder was dafür verantwortlich ist, dass der menschliche Körper und überhaupt alle Lebewesen so perfekt funktionieren, kennt bis heute niemand die wahrhaftige oder ultimative Antwort. Sicher, es gibt Interessierte, die diesen Grundfragen intensiv nachgehen und nach plausiblen Antworten in der Evolution, in der Bibel oder in der weit fortgeschrittenen Wissenschaft und Forschung suchen. Bis heute konnte aber noch keine Theorie klar belegt oder bestätigt werden. Wissen führt immer bis zum Erklärbaren zurück. Was davor war, kann niemand plausibel belegen. Es bleibt etwas Unbekanntes. Deshalb werden wir nie wissen, was uns im Leben, auf der Erde und im Universum mit viel Kraft und Energie unsichtbar umzingelt und tagtäglich begleitet. Hier könnte sich eine Diskussion über Religion, Glauben und Evolution entfachen. Das ist aber nicht Inhalt meines Buches. Vielmehr will ich Sie hiermit dazu anhalten, sich mehr als sonst bewusst zu werden, dass es etwas in unserem Universum gibt, das weder sichtbar noch fassbar ist. Etwas, das sich nicht in einem Begriff, einer Person, einem Symbol oder einem Bild darstellen lässt. Damit Sie nachfolgend aber immer gleich wissen, wovon ich spreche, bezeichne ich es als X, das mächtig, aber trotzdem liebevoll auf Sie herunterblickt.
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