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1. Monismus mit Völkerrechtsprimat
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Der Monismus mit Völkerrechtsprimat geht von einer Einheit von Völkerrecht und nationalem Recht aus, wobei dem Völkerrechtder Vorrangzukommt. Das läuft auf die Parömie „Völkerrecht bricht Landesrecht“ hinaus. Hinsichtlich der Folgen dieses Vorrangs ist die Lehre wiederum geteilt.
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Der radikale Monismus geht davon aus, dass jeder völkerrechtswidrige innerstaatliche Hoheitsakt (Gesetz, Urteil, Verwaltungsakt) nichtig sei (vertreten zB von Scelle ). Diese radikale Variante wird heute nicht weiter vertreten.
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Der gemäßigte Monismus geht davon aus, dass ein völkerrechtswidriger innerstaatlicher Akt (Gesetz, Urteil, Verwaltungsakt) zunächst innerstaatlich gilt. Dies ist aber nur ein Provisorium. Sobald nämlich die Frage der Rechtmäßigkeit dieser Akte vor ein völkerrechtliches Gericht gebracht wird, setzt sich der Vorrang des Völkerrechts durch (vertreten zB von Seidl-Hohenveldern , Verdross ). Denn das völkerrechtliche Gericht wendet nur Völkerrecht an. Die innerstaatlichen Akte sind daher rechtlich irrelevant und werden nur als Tatsachen gewertet, deren Völkerrechtmäßigkeit zu beurteilen ist. Ein Staat kann sich daher nicht auf innerstaatliche Akte berufen, um die Nichteinhaltung des Völkerrechts zu rechtfertigen.
Beispiel:
Das völkerrechtliche Fremdenrecht schreibt bei der Behandlung von Ausländern einen internationalen Mindeststandard vor. Dazu gehört zB die Regel, dass über die Verhaftung eines Ausländers innerhalb einer angemessenen Frist ein unparteiisches Gericht zu entscheiden habe. Es bleibt jedem Staat grundsätzlich (dh vorbehaltlich etwaiger Verpflichtungen aus dem internationalen Menschenrechtsschutz) unbenommen, Verhaftungen seiner eigenen Staatsangehörigen ohne richterliche Kontrolle zuzulassen. Er darf aber nicht unter Berufung auf den nationalen Gleichheitssatz diese innerstaatliche Regelung auf Ausländer ausdehnen.
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Der gemäßigte Monismus besagt daher im Ergebnis, dass ein völkerrechtswidriger innerstaatlicher Akt zwar nicht nichtig, aber doch insofern „vernichtbar“ ist, als der Staat dafür zu sorgen hat, dass das Völkerrecht eingehalten wird. Dies kann er zB dadurch erreichen, dass der innerstaatliche Akt wieder aufgehoben wird. Im Ergebnis bedeutet das, dass sich – auf Dauer gesehen – das Völkerrecht durchsetzt, insofern also faktisch den Vorrang hat.
2. Monismus mit Primat des nationalen Rechts
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Der (heute nicht mehr vertretene) Monismus mit Primat des nationalen Rechts geht auch von einer Einheit von Völkerrecht und nationalem Recht aus, wobei allerdings dem nationalen Rechtder Vorrangzukommt. Das läuft auf die Parömie „Landesrecht bricht Völkerrecht“ hinaus. Diese Ansicht beruht auf der Theorie der absoluten Souveränität. Sie sieht das Völkerrecht gewissermaßen als bloßes „Außenstaatsrecht“ an und stellt eigentlich eine Leugnung des Völkerrechts bzw seines Rechtscharakters dar. Die Folge davon ist, dass jeder innerstaatliche Hoheitsakt (Gesetz, Urteil, Verwaltungsakt) das Völkerrecht verdrängt und unanwendbar macht (vertreten zB von Zorn ).
§ 2 Völkerrecht, Europarecht und nationales Recht› A. Völkerrecht und nationales Recht › II. Dualismus
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Der Dualismus geht davon aus, dass das Völkerrecht und das nationale Recht zwei verschiedene Rechtsordnungenseien. Sie unterschieden sich insbesondere durch einen anders gearteten Geltungsgrund, unterschiedliche Strukturen (Völkerrecht sei Koordinationsrecht, nationales Recht sei Subordinationsrecht), verschiedene Rechtssubjekte (Staaten und internationale Organisationen im Völkerrecht, natürliche und juristische Personen im nationalen Recht) und unterschiedliche Regelungsmaterien (Völkerrecht regele den zwischenstaatlichen Bereich, nationales Recht regele den innerstaatlichen Bereich). Auch innerhalb des Dualismus gibt es zwei verschiedene Lehren, je nachdem, welche Beziehungen zwischen den beiden Rechtsordnungen man annimmt.
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Der radikale Dualismus geht von einer vollständigen Trennungder beiden Rechtsordnungen aus. Daher könne es gar keine Konflikte geben. Widerspricht ein innerstaatlicher Akt (Gesetz, Urteil, Verwaltungsakt) dem Völkerrecht, so bleiben beide nebeneinander bestehen und gelten gleichermaßen weiter. Diese – realitätsfremde – Theorie wird dadurch aufgelockert, dass man die beiden Rechtsordnungen vergleicht mit zwei Kreisen, die sich allenfalls berühren, aber nicht schneiden (vertreten zB von Triepel ). Berührungspunkte seien dort gegeben, wo eine Rechtsordnung auf die andere Bezug nimmt. Allerdings sei der Staat verpflichtet, seine Rechtsordnung so auszugestalten, dass sie zur Erfüllung des Völkerrechts im Stande ist. Insofern wird also ein gewisser Vorrang des Völkerrechts nicht geleugnet.
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Der gemäßigte Dualismus geht auch von einer grundsätzlichen Trennungder beiden Rechtsordnungen aus, leugnet aber nicht die Konfliktmöglichkeiten. Nur könnten diese Konflikte nicht im monistischen Sinn mit der Überordnung einer der beiden Rechtsordnungen gelöst werden. Die beiden Rechtsordnungen werden gesehen als Kreise, die sich teilweise überschneiden. Diese Überschneidungen entstehen durch gegenseitige Bezugnahmen, Verweisungen oder Umwandlungen von Normen der einen Rechtsordnung in Normen der anderen.
Beispiele:
(1) Das Völkerecht überlässt es den Staaten, ihre völkerrechtlichen Vertretungsorgane selbst zu bestimmen (Präsident, Regierungschef, Außenminister oder andere).
(2) Das nationale Recht geht bei Bezugnahme auf „auswärtige Staaten“ vom völkerrechtlichen Staatsbegriff aus.
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Charakteristisch für den gemäßigten Dualismus ist insbesondere die Annahme, dass es in den Überschneidungsbereichenin beiden Rechtsordnungen oder auch nur in einer von ihnen Kollisionsnormen gibt, weshalb Konflikte in jenen Bereichen lösbar sind. In allen anderen Bereichen aber gilt dies nicht. Daher ist dort ein völkerrechtswidriger, innerstaatlicher Akt (Gesetz, Urteil, Verwaltungsakt) noch immer gültig und verbindlich. Allerdings haftet der Staat nach außen für einen dadurch bedingten Bruch des Völkerrechts (vertreten zB von Rudolf ). Im Ergebnis bedeutet das, dass sich – auf Dauer gesehen – das Völkerrecht durchsetzt, insofern also faktisch Vorrang hat.
§ 2 Völkerrecht, Europarecht und nationales Recht› A. Völkerrecht und nationales Recht › III. Bedeutung des Theorienstreits
III. Bedeutung des Theorienstreits
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Die vorangegangenen Ausführungen zeigen, dass hinsichtlich der praktischen Auswirkungen im Grunde genommen kein Unterschiedzwischen gemäßigtem Monismus mit Völkerrechtsprimat und gemäßigtem Dualismus besteht. Das erweist etwa das Beispiel aus dem völkerrechtlichen Fremdenrecht (s. Rn 44). Es wäre mit dem gemäßigten Dualismus genauso zu beurteilen. Nach beiden Theorien kommt dem Völkerrecht ein – zumindest faktischer – Vorrang zu, und nach beiden Theorien bleibt völkerrechtswidriges, innerstaatliches Recht zunächst wirksam. Einziger Unterschied ist die grundsätzliche Haltung zur Eigenständigkeit oder hierarchischen Über-/Unterordnung der beiden Rechtsordnungen. Das hat auch dazu geführt, dass man die Nutzlosigkeit des Theorienstreits geltend gemacht und ihn als „unreal, artificial and strictly beside the point“ (Fitzmaurice) bezeichnet hat. Aber selbst diese Ansicht hat sich nicht durchgesetzt. Ungeachtet dessen verdeutlicht sie aber, dass es für die praktische Wirksamkeit nicht auf das theoretische Verhältnis von Völkerrecht und nationalem Recht ankommt, sondern darauf, dass das Völkerrecht innerstaatlich effektiv vollzogen wird (s. Rn 787 ff). Hierzu muss es innerstaatlich gelten und anwendbar sein sowie normenhierarchisch eingeordnet werden. Wie dies geleistet wird, überlässt das Völkerrecht dem nationalen Recht.
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