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Nichtsdestotrotz ist Art. 16a Abs. 1 GG noch immer relevant. Im nationalen Asylrecht ist diese Norm quasi der Ausgangspunkt des deutschen Asylrechts überhaupt. Zudem steht einer parallelen Anwendung der GEAS und des Asylgrundrechts nichts im Wege. Vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (kurz BAMF) wird grundsätzlich ein Aufenthaltsrecht nach beiden Rechtssystemen geprüft. Zudem ist Art. 16a Abs. 1 GG auch dort von Bedeutung, wo der Gewährleistungsumfang auf Grund anderer Rechtsnormen hinter dem des Asylgrundrechts zurückbleibt.
5. Verhältnis zum Völkerrecht
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Der Art. 16a Abs. 5 GG regelt das Verhältnis des Asylgrundrechts zu völkerrechtlichen Regelungen. Dabei stellt die Norm einen Völkerrechtsvorbehalt unabhängig davon auf, ob zwischen EU-Mitgliedsstaaten, unter Beteiligung eines solchen oder mit Drittstaaten in multilateralen oder bilateralen Verträgen Regelungen existieren. Es handelt sich demnach um eine Öffnungsklausel. Dies insofern, als dass völkervertragliche Zuständigkeiten Vorrang genießen und Entscheidungen von Abkommen-Staaten auch im nationalen Recht zu berücksichtigen sind.
Die Norm entfaltet allerdings nur geringe praktische Relevanz. Insbesondere das europäische Gemeinschaftsrecht findet bereits über die allgemeinen Grundsätze sowie den Art. 23 GG Anwendung. Als besonderer Regelungsgehalt bleibt für Art. 16a Abs. 1 GG somit noch die Vorgabe, dass die Einhaltung der GFK in den Abkommen-Staaten grundsätzlich sichergestellt sein muss.
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Anzumerken ist noch, dass der Art. 16a Abs. 5 GG einen qualifizierten Gesetzesvorbehalt darstellt, der an völkerrechtliches Handeln anknüpft. Grundsätzlich ist es verfassungsrechtlich bedenklich, wenn Grundrechte auf Grund von internationalen Vereinbarungen eingeschränkt werden. Allerdings ist zu beachten, dass über Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG zur innerstaatlichen Wirksamkeit internationaler Vereinbarungen ein Zustimmungsgesetz des Bundestages nötig ist, sodass sich die internationale Regelung in der Regel im nationalen Recht manifestiert.
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Auf der Rechtsfolgenseite ist allgemein zu unterscheiden zwischen primären und sekundären Rechtsfolgen. Als primäre Rechtsfolge ergibt sich entweder die Erteilung einer Asylberechtigung und damit verbunden eines Aufenthaltstitels oder aber die Versagung eines solchen Titels. Als sekundäre Rechtsfolgen können sich unter anderem ein Auslieferungsverbot sowie ein vorläufiges Bleiberecht für die Dauer des Asylverfahrens sowie bei positiver Entscheidung auch die Möglichkeit der Gewährung von Familienasyl ergeben. Auf die einzelnen Rechtsfolgen wird an späterer Stelle (Rn. 274 ff.) noch vertieft eingegangen.
3. Teil Das materielle Asylrecht› B. Asylrecht für politisch Verfolgte› II. Voraussetzungen
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Nutzen Sie die Gelegenheit und wiederholen Sie den Prüfungsaufbau eines Abwehrrechts, dargestellt im Skript „Grundrechte“.
Nachdem wir uns mit den Grundlagen des Art. 16a Abs. 1 GG befasst haben, wollen wir uns nun mit den materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Norm auseinandersetzen. Entsprechend dem gängigen Prüfungsschema von Grundrechtsverletzungen für Abwehrrechte werden wir uns vor allem mit dem Schutzbereich des Art. 16a Abs. 1 GG beschäftigen. Im Anschluss daran wollen wir die Frage klären, welchen Einschränkungen diese Schutzgewährung unterliegt. Hierbei werden wir zwischen gesetzlich normierten und ungeschriebenen Einschränkungen unterscheiden müssen.
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Asylgrundrecht, Art 16a GG
I. Schutzbereich
1.Persönlich
2.Sachlich
a)Verfolgung
Unterscheidung nationaler und europäischer Verfolgungsbegriff Rn. 65
b)Politisch
Definition des Begriffs politisch Rn. 66
c)Asylerhebliche Merkmale
d)Verfolger
e)Verfolgte
f)Flucht wegen bzw. vor Verfolgung
g)Verfolgungsprognose
3.Einschränkungen
a)Drittstaatenregelung, Abs. 2
Verweigerung der Einreise an Landesgrenze Rn. 77
Kettenabschiebung Rn. 81
b)Herkunftsstaatenregelung, Abs. 3
4.Ungeschriebene Einschränkungen
a)Fluchtalternativen
b)Nachfluchtgründe
II. Eingriff
III. Schranken
1.Gesetzesvorbehalt
Vorbehaltlos gewährtes Grundrecht? Rn. 48
2.Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Grundlage (nur bei Länderliste)
Verfassungsmäßigkeit der Länderliste Rn. 80
3.Verfassungsmäßigkeit des Eingriffs
3. Teil Das materielle Asylrecht› B. Asylrecht für politisch Verfolgte› III. Schutzbereich
III. Schutzbereich
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Das Asylrecht aus Art. 16a Abs. 1 GG dient der Asylgewährung von Ausländern innerhalb des Territoriums der Bundesrepublik. Demnach zielt der persönliche Schutzbereich der Norm hauptsächlich auf nichtdeutsche Personen ab. Bereits bei der Eröffnung des persönlichen Schutzbereichs wird daher die Ausländereigenschaft als Prüfungspunkt relevant. Diese ist nach den in den vorherigen Kapiteln getroffenen Grundsätzen dann zu bejahen, wenn die jeweilige Person keine deutsche Staatsbürgerschaft besitzt ( Rn. 14 ff.).
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Da Asyl grundsätzlich nur natürlichen Personen gewährt werden kann, ist ein Asylrecht für juristische Personen (auch) über Art. 16a Abs. 1 GG nicht denkbar. Ebenso können Familienangehörige einer politisch verfolgten Person sich nicht unmittelbar auf Art. 16a Abs. 1 GG berufen. Diese können aber eventuell über eine Person, die bereits in den Genuss eines Asylrechts nach Art. 16a Abs. 1 GG gekommen ist, entsprechende Rechte geltend machen. Dieser Problemkreis des Familienasyls wird an späterer Stelle ( Rn. 158 ff.) aber noch vertiefend zu behandeln sein.
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Aus der Bedeutung des Begriffs Asyl folgt auch, dass die asylsuchende Person das Bundesgebiet bereits betreten haben oder sich zumindest im Grenzbereich aufhalten muss. Eine Asylbeantragung aus dem Ausland heraus ist vom Asylgrundrecht nicht vorgesehen und widerspräche auch dessen Telos.
Hinweis
Allerdings ist aus dem Ausland heraus bereits eine Beantragung eines Aufenthaltstitels wie z.B. dem Visum gerade der Regelfall.
Hinweis
Zwar ist das Asylrechtgrundrecht grundsätzlich so ausgerichtet, dass sich hierauf nur nichtdeutsche Personen berufen können. Allerdings ist hierbei auch Art. 16 Abs. 2 GG zu beachten. Dieser Artikel normiert eine Verpflichtung des deutschen Staates, keinen deutschen Staatsangehörigen an das Ausland auszuliefern. Im Falle einer Auslieferung eines deutschen Staatsbürgers an einen anderen Staat könnte dieser sich somit auch auf Art. 16a Abs. 1 GG berufen. Es handelt sich hierbei allerdings um ein sehr abstraktes Problem.
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Das Asylgrundrecht ist seinem Wortlaut nach vor allem abhängig von der politischen Verfolgung der asylsuchenden Person. Wir werden feststellen, dass die Definition des Merkmals der Verfolgung eng mit dem Flüchtlingsbegriff der GFK verbunden ist. Demnach spielen insbesondere die Verfolgungsgründe aus der GFK eine wichtige Rolle für die Schutzbereichseröffnung des Art. 16a Abs. 1 GG.
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Für eine Verfolgungbedarf es zunächst einer Rechtsgutbeeinträchtigung der betroffenen Person in asylrechtlich relevanter Intensität.[6]
Als betroffene Rechtsgüter kommt grundsätzlich jedes Individualrecht in Betracht. Die Rechtsprechung hebt in diesem Zusammenhang insbesondere die Fallgruppen wirtschaftliche Betätigung, Ausübung einer Religion und kulturelles Leben hervor.[7] Allerdings ist zu beachten, dass ein bloßer Eingriff in den Schutzbereich eines Grundrechts grundsätzlich nicht genügt. Vielmehr muss das existenzielle Minimum des jeweiligen Individualrechts tangiert sein. Hierbei stellen sogar Folter und eine verhängte Todesstrafe per se keine Verfolgung dar, sondern entfalten lediglich Indizwirkung für diese.[8]
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