264
Ferner hat das Gericht, sofern dies nicht schon vorher geschehen ist, den Betroffenen über den möglichen Ablauf des Verfahrens zu unterrichten und ihn in geeigneten Fällen – d.h. wenn Geschäftsfähigkeit vorliegt – auf die Möglichkeit der Errichtung einer Vollmacht und ihrer Registrierung beim zentralen Vorsorgeregister (§§ 78 ff. BNotO, § 1 VRegV) hinzuweisen, § 278 Abs. 2 S. 2 FamFG. Diese Vorschrift fand auf Initiative des Bundesrates 1999 Eingang in das 1. BtÄndG und verfolgt das Ziel, das Instrument der Vorsorgevollmacht zu stärken. Nach dem Erforderlichkeitsgrundsatz ist eine Betreuerbestellung entbehrlich, wenn die Angelegenheiten des Betroffenen durch einen Bevollmächtigten ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können, § 1896 Abs. 2 S. 2 BGB.
265
Allerdings ist es seitens des Gerichtes aus haftungsrechtlichen Gründen nicht zu empfehlen, den Betroffenen eingehend über das Erstellen einer Vollmacht zu beraten. Es besteht zu Gunsten der Betroffenen die Möglichkeit, sich von Betreuungsbehörden, § 4 Abs. 2 BtBG, Betreuungsvereinen, § 1908f Abs. 4 BGB bzw. Rechtsanwälten oder Notaren diesbezüglich beraten zu lassen. Wird gleichwohl eine Auskunft erteilt, muss sie klar, vollständig und richtig sein, andernfalls im Schadensfall eine Amtshaftung in Betracht kommt.[11] Sofern der Betroffene bereits in der Vergangenheit eine Bankvollmacht oder Vorsorgevollmacht erteilte, hat das Gericht zu ermitteln, ob dies seinerzeit in einem geschäftsfähigen Zustand erfolgte.
266
Beispiel
Der Nachbarin Gisela K. des vermögenden, älteren Samuel L. fällt auf, dass dieser immer vergesslicher wird. Sie bewegt ihn, zu ihren Gunsten eine Generalvollmacht auszustellen. Zeitgleich beantragt der bei Herrn L. tätige Pflegedienst bei dem zuständigen Betreuungsgericht, einen Betreuer zu bestellen.
267
In einem solchen Fall wird das Gericht durch geeignete Ermittlungen zu erforschen haben, ob der Betroffene zum Zeitpunkt der Errichtung der Vollmacht geschäftsfähig war. Die Vollmacht verliert nicht durch einen späteren Eintritt der Geschäftsunfähigkeit ihre Gültigkeit, § 672 BGB. Das heißt, die spätere Geschäftsunfähigkeit lässt eine einmal wirksam erteilte Vollmacht nicht unwirksam werden, § 168 S. 1 BGB.
268
Der Betroffene hat also auch noch während des laufenden Betreuungsverfahrens die Möglichkeit, eine Betreuung ganz oder teilweise durch Erteilen einer Vollmacht an einen Vertrauten zu vermeiden. Voraussetzung ist allerdings das Vorliegen von Geschäftsfähigkeit (§ 104 BGB) zum Zeitpunkt der Errichtung der Vollmacht.
269
Im Verfahren zur Aufhebung einer bestehenden Betreuung (§ 1908d BGB) ist demgegenüber weder die persönliche Anhörung des Betroffenen noch die Einholung eines Sachverständigengutachtens obligatorisch (§ 294 Abs. 1 FamFG). Ob solche Verfahrenshandlungen im Einzelfall geboten sind, richtet sich vielmehr nach den Grundsätzen der Amtsermittlung (§ 26 FamFG).[12]
270
Für das Beschwerdeverfahren vor dem Landgericht gilt: Ist der Amtsrichter trotz eines gegenläufigen Sachverständigengutachtens aufgrund des persönlichen Eindrucks des Betroffenen zu der Überzeugung gelangt, dass dieser einen freien Willen i.S.d. § 1896 Abs. 1a BGB bilden könne, und hat er deshalb die Einrichtung einer Betreuung abgelehnt, darf das Beschwerdegericht die Betreuung grundsätzlich nicht ohne Anhörung des Betroffenen anordnen.[13]
271
Die Pflicht zur persönlichen Anhörung des Betroffenen besteht grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren. Allerdings kann das Beschwerdegericht von der persönlichen Anhörung absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen worden ist und von einer erneuten Anhörung keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind.[14] Wurde der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen zum Anhörungstermin vor dem Amtsgericht weder geladen noch hiervon benachrichtigt, leidet die Anhörung an einem Verfahrensfehler, der eine erneute Anhörung – ggf. durch das Beschwerdegericht – erforderlich macht.[15]
272
Sieht das Beschwerdegericht von einer persönlichen Anhörung ab, muss es die Gründe dafür in der Beschwerdeentscheidung nachvollziehbar darlegen. Von einer erneuten Anhörung im Beschwerdeverfahren sind in der Regel neue Erkenntnisse zu erwarten, wenn der Betroffene an seinem in der amtsgerichtlichen Anhörung erklärten Einverständnis mit einer Betreuung im Beschwerdeverfahren nicht mehr festhält oder wenn er im Beschwerdeverfahren erstmals den Wunsch äußert, ihm einen bestimmten Betreuer zu bestellen.[16]
[1]
BayObLG BtPrax 2002, 129.
[2]
BGH FGPrax 2013, 213 = NJW 2013, 3372.
[3]
BT-Drs. 11/4528, 172.
[4]
BGH Beschl. v. 26.11.2014, XII ZB 405/14, BtPrax 2015, 71.
[5]
BayObLG BtPrax 2003, 183.
[6]
BGH FamRZ 2012, 619 = FGPrax 2012, 131 = MDR 2012, 466 = NJW 2012, 1582.
[7]
BayObLG FamRZ 1986, 1043: Unverwertbarkeit eines Gutachtens nach § 1846 BGB, wenn ein Betroffener vorab keine Gelegenheit zur Stellungnahme erhielt; BayObLG BtPrax 1993, 208; OLG München BtPrax 2005, 231.
[8]
OLG München BtPrax 2006, 35.
[9]
BT-Drs., 11/4528, 90.
[10]
BGH MDR 2011, 1040 = RdLH 2011, 142.
[11]
Zimmermann Richter- und Rechtspflegerhaftung im BtR, BtPrax 2008, 185.
[12]
BGH NJW 2011, 1289 = FGPrax 2011, 118 = FamRZ 2011, 556 = BtPrax 2011, 130 = MDR 2011, 428.
[13]
BGH MDR 2011, 1039 = FamRZ 2011, 1577 = BtPrax 2011, 208.
[14]
BGH NJW-RR 2012, 833 = FGPrax 2012, 163.
[15]
BGH FamRZ 2012, 104 = BtPrax 2012, 25 = FGPrax 2012, 17.
[16]
BGH FGPrax 2011, 120 = NJW-RR 2011, 723 = BtPrax 2011, 124.
B. Das gerichtliche Verfahren bis zur Bestellung eines Betreuers› IX. Die Anhörung des Betroffenen› 1. Widerspruch des Betroffenen
1. Widerspruch des Betroffenen
273
Das Gericht ist gehalten, die Anhörung in der vertrauten Umgebung des Betroffenen durchzuführen, es sei denn, dass dieser dem widerspricht, § 278 Abs. 1 S. 3 FamFG. Die diesbezügliche Möglichkeit des Betroffenen dient der Wahrung seiner Intimsphäre.[1] Der Betroffene ist nicht verpflichtet, seinen Widerspruch zu begründen. Es ist nicht erforderlich, dass der Betroffene explizit das Wort „Widerspruch“ benutzt.
274
Beispiel
Marlene T. wird zur Verfahrenspflegerin für Agnes G. eingesetzt. Zwecks Erörterung der Angelegenheit begibt sich Frau T. nach vorheriger schriftlicher Ankündigung zur Wohnungstür von Agnes G. und bittet um Einlass. Die Betroffene fängt daraufhin hinter der Tür stehend zu schreien an. Kreischend bedeutet sie der Verfahrenspflegerin, sie werde keinem die Wohnungstür öffnen.
275
In einem solchem Fall ist sowohl einem Verfahrenspfleger als auch dem Gericht eine Sachaufklärung in der üblichen Umgebung des Betroffenen nicht möglich. Das Gericht muss versuchen, ohne diese Erkenntnisquelle auszukommen. So ist es in dem Beispielsfall nicht möglich herauszufinden, in welchem Pflegezustand sich die Wohnung befindet und ob die Erforderlichkeit zur Anordnung des Aufgabenkreises „Wohnungsangelegenheiten“ besteht. Der Betroffene hat es auf die vorskizzierte Art und Weise in der Hand zu vereiteln, dass ein Betreuungsbedarf festgestellt wird. Die Erhebung des Widerspruchs seitens des Betroffenen ist an keine Frist gebunden.
276
Beispiel
Der Betroffene Georg G. lässt die Amtsrichterin Ines W. in seine Wohnung, die erheblich vermüllt ist. Als die Amtsrichterin Ines W. stirnrunzelnd den Zustand der Wohnung beobachtet, besteht Georg G. darauf, dass sie die Wohnung verlässt. Herr G. ist Hausrechtsinhaber, und die Amtsrichterin ist deshalb verpflichtet, seiner Aufforderung Folge zu leisten.
Читать дальше