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Pohl BtPrax 1992, S. 19/23.
B. Das gerichtliche Verfahren bis zur Bestellung eines Betreuers› IX. Die Anhörung des Betroffenen
IX. Die Anhörung des Betroffenen
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Nach § 278 FamFG ist die vorherige Anhörung des Betroffenen durch das Gericht in folgenden Situationen obligat:
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Bestellung eines Betreuers oder Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes, § 278 FamFG, |
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Erweiterung um oder auf einen nicht unerheblichen Aufgabenkreis, § 293 Abs. 1, 2 FamFG, |
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Verlängerung der Betreuerbestellung oder des Einwilligungsvorbehaltes, § 295 Abs. 1 S. 1 FamFG, |
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Bestellung eines weiteren Betreuers unter Erweiterung des Aufgabenkreises der Betreuung, § 293 Abs. 3 FamFG, |
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der nicht unwesentlichen Erweiterung des Kreises der einwilligungsbedürftigen Willenserklärungen, § 293 Abs. 1 FamFG, |
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Genehmigung einer Sterilisation, § 297 Abs. 3 FamFG oder einer Kastration, § 6 KastrG, |
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Genehmigung einer gefährlichen Untersuchung, Heilbehandlung oder ärztlichen Eingriffs, § 298 Abs. 1 FamFG, |
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Weitere Genehmigungen im Rahmen des § 299 FamFG (Soll-Regelung bei Genehmigungen nach §§ 1821–1823, 1825 BGB, Muss-Regelung bei Genehmigungen nach § 1907 Abs. 1 BGB – Wohnungsaufgabe). |
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Das Gericht hat den Betroffenen grundsätzlich persönlich anzuhören, §§ 34 Abs. 1 Nr. 2, 278 Abs. 1 S. 1 FamFG. Eine fernmündliche oder schriftliche Anhörung ist ebenso wenig wie die Anhörung eines Verfahrensbevollmächtigten ausreichend; der Betreuungsrichter ist zur Verschaffung eines persönlichen Eindrucks verpflichtet, § 278 Abs. 1 S. 2 FamFG.
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Demgegenüber besteht keine Verpflichtung zur Anhörung des Betroffenen bei der Bestellung eines Gegenbetreuers nach §§ 1792, 1908i Abs. 1 BGB.[1] Einer erneuten Anhörung des Betroffenen bedarf es auch dann grundsätzlich nicht, wenn zunächst nur eine sog. Kontrollbetreuung angeordnet wurde und diese innerhalb von sechs Monaten erweitert worden ist.[2]
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Das Ziel der Vorschrift liegt zum einen in einer Stärkung des Kontakts zwischen dem Betroffenen und dem Gericht, um auf diesem Wege zu einer Optimierung bei der Aufklärung aller entscheidungserheblichen Umstände zu gelangen.[3] Die Anhörung in der vertrauten Umgebung des Betroffenen (Wohnung, Pflegeheim, Betreutes Wohnen, Strafanstalt usw.) dient also dazu, dem Gericht verwertbare Erkenntnisse von der Persönlichkeit des Betroffenen, seinen Lebensverhältnissen und seinem sozialen Umfeld zu vermitteln; seine sozialen Kontakte und anderweitige Hilfen können so bei der Bestimmung der Aufgabenkreise und der Betreuerauswahl besser berücksichtigt werden.
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Zum anderen wird durch die Vorschrift das Verfassungsgebot des rechtlichen Gehörs konkretisiert, Art. 103 Abs. 1 GG, und sichergestellt, dass das Gericht den für seine Entscheidung unmittelbaren Eindruck von dem Betroffenen erhält. Funktionell zuständig zur Vornahme der Anhörung ist der für die Sachentscheidung zuständige Richter. Bei einem Dezernatswechsel ist – zur Vermeidung von Belastungen für den Betroffenen – eine erneute Anhörung durch den Nachfolger entbehrlich bei einer ausreichenden Protokollierung. Nicht ausreichend ist demgegenüber eine mündliche oder sonstige informelle Schilderung. In einem anhängigen Verfahren zur Anordnung einer Kontrollbetreuung, § 1896 Abs. 3 BGB, besteht Rechtspflegerzuständigkeit. Ebenso dort, wo Landesrecht Richtervorbehalte nach § 19 RPflG aufgehoben hat. Die Anhörung in Betreuungssachen hat eine Doppelfunktion: Sie dient der Gewährung rechtlichen Gehörs und der Sachverhaltsaufklärung.[4]
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Nach § 278 Abs. 3 FamFG dürfen Verfahrenshandlungen im Inland ausnahmsweisedurch den ersuchten Richter im Wege der Rechtshilfe erfolgen. Die persönliche Anhörung des Betroffenen ist eine wichtige Erkenntnisquelle für den Richter. Insofern ist von der Möglichkeit, einen ersuchten Richter mit der Anhörung zu beauftragen, äußerst zurückhaltend Gebrauch zu machen. Lediglich offensichtlich eindeutige Fälle, die von vorneherein– so die gesetzliche Formulierung – die Annahme rechtfertigen, der Betreuungsrichter komme auch ohne einen eigenen Eindruck vom Betroffenen aus, rechtfertigen eine Abstandnahme. Die Vorschrift hat absoluten Ausnahmecharakter. Zu denken ist an äußerungsunfähige Betroffene bzw. solche, die sich bewusstlos in einer weit entfernten Einrichtung befinden. Besteht keine originäre Zuständigkeit, ist zur Sicherstellung der Anhörung an eine Abgabe des Verfahrens zu denken.
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In Verfahren betreffend die Einwilligung des Betreuers in eine Sterilisation sind Verfahrenshandlungen eines ersuchten Richters nicht zulässig, § 297 Abs. 4 FamFG. Befindet sich der Betroffene nicht nur vorübergehend im Ausland, gelten die Einschränkungen des § 278 Abs. 3 FamFG nicht. Die Verfahrenshandlung wird dann durch den ersuchten Richter im Wege der internationalen Rechtshilfe durchgeführt.
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Die Anhörung hat zeitlich vor Erlass der avisierten betreuungsrechtlichen Maßnahme zu erfolgen. Die Anhörung ist nicht öffentlich. Der zukünftige Betreuer muss bei der Anhörung nicht zugegen sein. Etwas anderes gilt nur bei einem dementsprechenden Verlangen des Betroffenen.[5] Zu Beginn der Anhörung ist der Betroffene durch das Gericht über seine Rechte zu belehren. Die diesbezügliche Aufklärung des Betroffenen umfasst folgende Punkte:
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Das Verlangen nach einer Milieuanhörung; |
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Widerspruch gegen die Anwesenheit weiterer Personen (§ 170 Abs. 1 S. 2 GVG); |
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Beauftragung eines Verfahrensbevollmächtigten (§ 10 FamFG); |
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Hinzuziehung einer Vertrauensperson (§ 274 Abs. 4 FamFG); |
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Rechtsmitteleinlegung (§§ 58 ff. FamFG, § 11 RPflG). |
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Die Anhörung befasst sich mit folgenden Themen:
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Augenscheinseinnahme des Betroffenen und seiner Umgebung; |
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kommt die Bestellung eines Verfahrenspflegers in Betracht, ist mit dem Betroffenen zu klären, ob er sich lieber durch einen eigenen Rechtsanwalt oder eine andere geeignete Person vertreten lassen will. Falls ja, unterbleibt die Bestellung eines Verfahrenspflegers, § 276 Abs. 4 FamFG; |
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Vorschläge des Betroffenen zur Person eines Betreuers (§ 1897 Abs. 4 BGB) und mögliche Interessenkollisionen |
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Erforderlichkeit einer Betreuung (§ 1896 Abs. 1 BGB). |
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Das Gericht kann bei seiner Entscheidung nur solche Tatsachen und Beweismittel zu Grunde legen, zu denen sich der Betroffene und sein Verfahrenspfleger vorher äußern konnten. Ein bestellter Verfahrenspfleger ist zum Anhörungstermin ebenfalls zu laden.[6]
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Zur Gewährleistung des Rechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) sind daher dem Betroffenen und seinem Verfahrenspfleger die schriftlichen Ermittlungsergebnisse (Sachverständigengutachten, eingeholte ärztliche Zeugnis, Sozialbericht usw.) in vollem Umfang vorab zur Verfügung zu stellen.[7] Eine sinngemäße zusammenfassende Darstellung der Ermittlungsergebnisse genügt regelmäßig nicht.[8]
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Das Gericht soll ferner in der Regel vor einer abschließenden Entscheidung mit dem Betroffenen das Gutachten des Sachverständigen oder das ärztliche Zeugnis, den etwaigen Umfang des Aufgabenkreises und die Frage, welche Person als Betreuer in Betracht kommt, mündlich erörtern.[9] Soll in einem Betreuungsverfahren eine Entscheidung, die die Rechte des Betroffenen beeinträchtigt, auf Ausführungen eines Sachverständigen gestützt werden, die dieser im Termin zur Anhörung in Abwesenheit des Betroffenen gemacht hat, so ist dem Betroffenen zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.[10]
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