[1]
Im Jahre 2013 hatte das Land Nordrhein-Westfalen den „Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der strafrechtlichen Verantwortung für Unternehmen und sonstige Verbände“ vorgelegt, abrufbar unter http://www.justiz.nrw.de/JM/justizpolitik/jumiko/beschluesse/2013/herbsttkonferenz13/zw3/TOP_II_5Gesetzentwurf.pdf. Siehe hierzu Fischer/Hoven ZIS 2015, 32 ff.; Hein CCZ 2014, 75 ff.; Hoven ZIS 2014, 19 ff.; Hoven/Wimmer/Schwarz/Schumann NZWiSt 2014, 161 ff.; Jahn/Pietsch ZIS 2015, 1 ff.; Krems ZIS 2015, 5 ff.; Löffelmann JR 2014, 185 ff.; Mansdörfer ZIS 2015, 23 ff.; Mitsch NZWiSt 2014, 1 ff.; Rübenstahl/Tsambikakis ZWH 2014, 8 ff.; Schmitt-Leonardy ZIS 2015, 11 ff.; Schünemann ZIS 2014, 1 ff.; Szesny BB 2013, Nr. 47 S. 1; Willems ZIS 2015, 40 ff.; Witte/Wagner BB 2014, 643 ff.; Zieschang GA 2014, 91 ff.
[2]
New York Central & Hudson River Rail Road Co. v. US, 212 U.S. 481, 29 S.Ct. 304, 53 L.Ed. 613 (1909).
[3]
ABl. Nr. L 166 vom 28.6.1991, S. 77. Als Beispiele für „andere Sanktionen“ nennt Art. 4 Abs. 1 Maßnahmen des Ausschlusses von öffentlichen Zuwendungen oder Hilfen, Maßnahmen des vorübergehenden oder ständigen Verbots der Ausübung einer Handelstätigkeit, richterliche Aufsicht und richterlich angeordnete Auflösung.
[4]
In Deutschland beginnend mit Busch (1933); siehe zu der geschichtlichen Entwicklung auch Heinitz in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages (1953), Band I, S. 65 ff.
[5]
Siehe Engisch in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages (1954), Band II, E 7, E 23 ff., E 41; Hartung in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages (1954), Band II, S. 43 ff. Vgl. auch Deutscher Juristentag NJW 1953, 1462, 1462 f.; ders . JZ 1953, 613, 613 f.; Heinitz in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages (1953), Band I, S. 65 ff.
[6]
Vgl. Pound American Law Review 44 (1910), S. 12 ff.
[7]
Alwart ZStW 105 (1993), 752, 763 f.; Hirsch ZStW 107 (1995), 285, 287; Kempf/Lüderssen/Volk- Theile (2012), S. 175, 181.
Teil 1 Einführung in die Problematik› B. Unternehmenskriminalität – Begriffliche und theoretische Probleme
B. Unternehmenskriminalität – Begriffliche und theoretische Probleme
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Vor diesem Hintergrund wird die gesellschaftliche Relevanz von im Unternehmenskontext begangenen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten deutlich, obwohl sich die Kriminologie erst spät diesem Forschungsgegenstand zuwandte. Kriminalität innerhalb der Wirtschaft wurde erstmals von Edwin H. Sutherland in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts mit dem Konzept des „White-Collar Crime“ thematisiert. Er verstand hierunter solche Verhaltensweisen, die von Personen mit Ansehen und hohem sozialem Status im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit begangen werden: „Crime committed by a person of respectability and high social status in the course of his occupation“.[1] Maßgebliche Eingrenzungsmerkmale bildeten somit die in der Person des Täters liegenden Kriterien des Ansehens („respectability“) und hohen sozialen Status („high social status“) sowie die Berufsbezogenheit des deliktischen Handelns („in the course of his occupation“). Sutherland ging es mit dem Konzept des „White-Collar Crime“ darum, die bis dahin nahezu ausschließlich auf die Unterschichtkriminalität gerichtete Fokussierung der Kriminologie nunmehr in Richtung auf die Kriminalität der Mittel- und Oberschichten zu erweitern, um das seinerzeit vorherrschende Verständnis zu korrigieren, Kriminalität sei in erster Linie durch sozialpathologische Umstände bedingt und demnach letztlich ein Unterschicht-Phänomen. Im Hintergrund stand der Anspruch, den Status der von ihm entwickelten „Theory of Differential Association“ als sämtliche Formen deliktischen Handelns erklärende „General Crime Theory“ zu untermauern, die auf der Grundannahme beruhte, dass kriminelles Verhalten in Interaktion mit anderen Personen – eben „differentiellen Assoziationen“ – in einem Kommunikationsprozess erlernt werde.[2] Da derartige Prozesse nicht auf die Unterschicht beschränkt seien, sondern unabhängig von der jeweiligen Schichtzugehörigkeit in allen Bevölkerungsschichten stattfänden, seien traditionelle Kriminalitätserklärungen unzureichend, weshalb der Blick auf die Kriminalität gesellschaftlicher Eliten gelenkt werden müsse.[3]
7
Abgesehen davon, dass dem Begriff des „White-Collar Crime“ von vornherein die Gefahr einer „ideologischen Aufladung“ und Missverständlichkeit im Sinne einer Tätertypologie zu eigen war (was nicht Sutherlands Stoßrichtung war),[4] hat die Definition Schwächen. Die Merkmale des Ansehens bzw. des sozialen Status und der Berufsbezogenheit des Handelns grenzen den in Frage kommenden Täterkreis allenfalls diffus ein[5] und führen zu einem gleichermaßen zu weiten wie zu engen Begriff von Wirtschaftskriminalität. Zu eng erscheint ein solches Verständnis deshalb, weil der Rekurs auf Ansehen und sozialen Status diejenigen Verhaltensweisen nicht erfasst, die von unterhalb der Ebene des Führungspersonals angesiedelten Personen ausgeübt werden.[6] Zu weit ist dieses Verständnis deshalb, weil das Merkmal der Berufsbezogenheit dazu führt, dass sämtliche straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlich relevanten Verhaltensweisen in Ausübung eines Berufs als Wirtschaftskriminalität erfasst werden, ohne dass zwingend ein Bezug zur Wirtschaft bestehen muss. Damit wären auch die im Rahmen der Berufsausübung begangenen Delikte Selbständiger (Handwerker, Einzelhändler, Ärzte, Rechtsanwälte etc.) oder sogar hochgestellter Beamter als Wirtschaftskriminalität einzustufen.[7] Dies liefe darauf hinaus, Formen konventioneller Eigentums- oder Vermögenskriminalität, die lediglich innerhalb der Wirtschaft stattfinden, nicht aber spezifischer Ausdruck wirtschaftlichen Handelns sind, als Wirtschaftskriminalität einzustufen.
8
Die Kritik an dem Konzept des „White-Collar Crime“ führte dazu, dass in der modernen Kriminologie der Begriff der Wirtschaftskriminalität weniger über die mit weißem Kragen ausgestattete Person des Täters bestimmt, sondern das diese Kriminalitätsform prägende Verhalten mehr und mehr zum maßgeblichen Differenzierungskriterium erhoben wird. Unterschieden wird zwischen „Occupational Crime“ als berufsbezogener Betriebskriminalität und „Corporate Crime“ als Unternehmenskriminalität. Während der Begriff des „Occupational Crime“ begangene Straftaten und Ordnungswidrigkeiten aus persönlichen finanziellen Interessen im Rahmen der Berufsausübung erfasst, betrifft der Begriff des „Corporate Crime“ diejenigen Verfehlungen, die im wirtschaftlichen Interesse eines Unternehmens getätigt werden.[8]
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Allerdings weist der Begriff des „Occupational Crime“ nach wie vor (zu) starke Bezüge zu dem des „White-Collar Crime“ auf.[9] Selbst wenn man als maßgeblichen Unterschied die persönliche wirtschaftliche Motivation des Täters betont, werden vornehmlich Fallgestaltungen erfasst, die klassische Eigentums- und Vermögenskriminalität darstellen. Demgegenüber erscheint Unternehmenskriminalität in verschiedener Hinsicht als der eigentlich bedeutende Bereich straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlich entscheidenden Verhaltens, da Unternehmen die zentralen Einheiten innerhalb des Wirtschaftssystems sind und sanktionsfähige Taten im Unternehmensinteresse auch im Hinblick auf Schadenssummen den bedeutsamsten Teil straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlich relevanten Handlungen innerhalb der Wirtschaft ausmachen.[10] Unternehmenskriminalität sind demnach diejenigen straf- und ordnungswidrigkeitenrechtswidrigen Verhaltensweisen, die von Unternehmensangehörigen (im Grenzfall vom Alleineigentümer) in der Absicht begangen werden, die Passiva des Unternehmens zu vermindern und/oder die Aktiva zu erhöhen bzw. die im Rahmen der wirtschaftlichen Tätigkeit eingegangenen Verpflichtungen nicht einzuhalten.[11] Zentrale Bestimmungsmerkmale sind einerseits das Handeln im Unternehmenskontext und andererseits die Ausrichtung der Vorgehensweise an den wirtschaftlichen Interessen des Unternehmens. Als Unternehmen sollen dabei solche organisatorische Einheiten bezeichnet werden, die von einem Rechtssubjekt getragen werden und einem wirtschaftlichen Zweck zu dienen bestimmt sind.[12]
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