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Ob die Zustimmung zu Euro-Rettungsmaßnahmen(dazu Rn 818 ff) tatsächlich schon dazu führt, dass dem deutschen Haushaltsgesetzgeber wegen zB des Ankaufs von Staatsanleihen in „unbegrenzter Höhe“[16] jeglicher Spielraumgenommen würde, so dass das Budgetrecht nachhaltig ausgehöhltwürde, erscheint nicht zweifelsfrei[17]. Auch kann man fragen, warum Maßnahmen, denen das Parlament mit großer Mehrheit zugestimmt hat, überhaupt ein Demokratieproblemsein sollen (dazu auch Rn 422). Allerdings ist beim derzeitigen Stand der europäischen Integration sowohl das Besteuerungs- als auch das Budgetrecht grds in der Zuständigkeit der Mitgliedstaatenverblieben, so dass erhebliche Einwirkungen (oder nach anderer Lesart: Übergriffe) auf diese Bereiche nicht unproblematisch sind.
2. Finanzhoheit als Gesetzgebung
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Politischist die Haushaltsgesetzgebungein besonderes Ereignis. Die parlamentarische Beratung des Haushaltsplans, dessen „nüchternes Zahlenwerk“ ein „getreues Spiegelbild des gesamten politischen Programms der Regierung“ darstellt[18], ist daher traditionell „eine Art politischer Generaldebatte, bei der von der Außenpolitik (Haushaltsplan des Auswärtigen Amtes) über die Verteidigungs-, Innen-, Wirtschafts-, Kultur- und Sozialpolitik bis zur Tätigkeit des Finanzministeriums alle Verwaltungszweige mit ihren Ausgaben und Einnahmen Revue passieren“[19]. Rechtlichsind sowohl Haushalts- als auch Steuergesetze „normale“ Gesetze mit nur wenigen Abweichungen vom üblichen Gesetzgebungsverfahren:
a) Gesetzgebungskompetenzen
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Die Gesetzgebungskompetenzen für Steuernergeben sich abweichend von den Art. 70 ff GG aus Art. 105 iVm Art. 106 GG. Andere Abgaben, zB Gebühren, Beiträge oder Sonderabgaben können jedoch auf die allgemeinen Sachgesetzgebungskompetenzen gestützt sein ( Rn 275, 305). Die Kompetenz zum Erlass eines Haushaltsgesetzesliegt bei derjenigen Gebietskörperschaft, um deren Haushalt es geht (zB Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG). Bund und Länder sind in ihrer Haushaltswirtschaft selbstständig und voneinander unabhängig (Art. 109 Abs. 1 GG).
b) Gesetzgebungsverfahren
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Für Steuer- und Abgabengesetzefindet das reguläre Gesetzgebungsverfahren Anwendung. Weil die meisten Steuergesetze Bundesgesetze sind ( Rn 246 ff), ist dies idR das Gesetzgebungsverfahren nach Art. 76 ff GG. Bundesgesetze über Steuern, deren Aufkommen nicht dem Bund alleine, sondern den Ländern oder den Gemeinden (Gemeindeverbänden) ganz oder zum Teil zufließt (vgl die Ertragsverteilung in Art. 106 GG), bedürfen der Zustimmung des Bundesrates, Art. 105 Abs. 3 GG.
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Für die Haushaltsgesetzgebung gelten einige Besonderheiten: So sind gem. Art. 110 Abs. 3 GG die Haushaltsgesetzentwürfeund die Vorlagen zur Änderung des Haushaltsgesetzes und des Haushaltsplanes – abweichend von Art. 76 GG – gleichzeitig mit der Zuleitung an den Bundesrat beim Bundestage einzubringen; der Bundesrat ist berechtigt, innerhalb von sechs Wochen, bei Änderungsvorlagen innerhalb von drei Wochen, zu den Vorlagen Stellung zu nehmen. Auch die Geschäftsordnungdes Deutschen Bundestages[20] sieht für Haushalts- und Finanzvorlagen in den §§ 95 und 96 GO-BT besondere Regelungen vor.
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Nicht ausdrücklich im Grundgesetz geregelt, aber aus der grundgesetzlichen Systematik abzuleiten ist das Initiativmonopol der Regierung[21]. Aus Art. 110 Abs. 2, 3 GG iVm Art. 76 Abs. 2 GG ergibt sich, dass der Entwurf eines Haushaltsgesetzes abweichend von Art. 76 Abs. 1 GG durch die Bundesregierung einzubringen ist.[22] Im Fall des Gesamthaushalts, also dem ursprünglichen Plan für das gesamte Haushaltsjahr und alle Ressorts, folgt dies auch daraus, dass allein die Regierung über den administrativen Apparat zur Aufstellung des Haushaltsentwurfs verfügt[23].
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Mit dem Argument der Komplexität der Haushaltsaufstellung lässt sich allerdings nicht auch ein alleiniges Initiativrechtder Regierung für (weniger komplexe) Teilhaushalteoder häufig nur punktuell bedeutsame Nachtragshaushalte(Rn 554) begründen. Soweit man mit Blick auf das parlamentarische Budgetrecht die Teilhaushalte aber den Nachtragshaushalten (Änderungsvorlagen iSd Art. 110 Abs. 3 GG) gleichstellt[24], wird man die systematischen Erwägungen zum Initiativrecht auf die Einbringung vorläufiger (Teil-)Haushalts- und Nachtragsgesetze übertragen müssen.
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Das Initiativmonopol wird zudem aus Art. 113 Abs. 1 Satz 1 GG abgeleitet[25]. Gem. Art. 113 Abs. 1 Satz 1 GG bedürfen Gesetze, die die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Ausgabendes Haushaltsplanes erhöhen, der Zustimmung der Bundesregierung. Hieraus muss aber folgen, dass jedenfalls bei einer Erhöhung der Ausgaben durch einen Teil- bzw Nachtragshaushalt (Rn 554 ff) nur die Bundesregierung zur Initiative berechtigt ist[26].
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Aus der parlamentarischen Beratung und Verabschiedung des Haushalts folgt die Öffentlichkeit des Haushalts. Die im parlamentarischen Verfahren gewährleistete Öffentlichkeit der Auseinandersetzung und Entscheidungssuche ermöglicht einerseits den Ausgleich widerstreitender Interessen[27]. Andererseits schafft die Öffentlichkeit im Gesetzgebungsverfahren einen gewissen Druck zu wirtschaftlichem Handeln.[28]
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Öffentliches Verhandeln von Argument und Gegenargument, öffentliche Debatteund öffentliche Diskussion sind nach der Rspr des BVerfG wesentliche Elemente des demokratischen Parlamentarismus[29]. Entscheidungen von erheblicher Tragweitemuss deshalb grds ein Verfahren vorausgehen, das der Öffentlichkeit Gelegenheit bietet, ihre Auffassungen auszubilden und zu vertreten, und das die Volksvertretung dazu anhält, Notwendigkeit und Umfang der zu beschließenden Maßnahmen in öffentlicher Debatte zu klären[30]. Vor diesem Hintergrund ergibt sich der Grundsatz der Budgetöffentlichkeitaus dem allgemeinen Öffentlichkeitsprinzip der Demokratie[31].
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Die Befassung des Deutschen Bundestages kann auch außerhalb der eigentlichen Gesetzgebung erforderlich sein. Bei der Ausübung des Budgetrechts und der Wahrnehmung seiner haushaltspolitischen Gesamtverantwortung muss der Deutsche Bundestag die wesentlichen Entscheidungenselbst treffen[32]. Sind Angelegenheiten der Europäischen Unionbetroffen, wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit, Art. 23 Abs. 2 GG.
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Budgetrecht und haushaltspolitische Gesamtverantwortungdes Deutschen Bundestages werden grds durch Verhandlung und Beschlussfassung im Plenumwahrgenommen[33], durch den Beschluss über das Haushaltsgesetz, durch finanzwirksame Gesetze oder durch einen sonstigen, konstitutiven Beschluss des Plenums[34]. Jeder Abgeordnetehat nach Art. 38 Abs. 1 iVm Art. 77 Abs. 1 Satz 1 und Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG ein Recht auf Beurteilung des Haushaltsentwurfes der Bundesregierung und der hierzu eingebrachten Änderungsanträge. Der Abgeordnete soll seine Vorstellungen über die Verwendungsmöglichkeiten der Haushaltsmittel darlegen und dadurch die Entscheidung über den Haushaltsplan beeinflussen können[35]. Darüber hinaus sind die Abgeordneten des Deutschen Bundestages berechtigt und verpflichtet, ihre Kontrollbefugnis über grundlegende haushaltspolitische Entscheidungen wahrzunehmen[36].
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Die Detailarbeit wird – wie auch sonst – in parlamentarischen Ausschüssen behandelt, §§ 54 ff GO-BT. Bei Vorlagen zum Haushalts- und Finanzrecht ist der Haushaltsausschusszu befassen (vgl § 80 Abs. 2, §§ 95, 96 GO-BT). Gem. § 10a Abs. 2 BHO kann der Bundestag aus „zwingenden Gründen des Geheimschutzes“ die Bewilligung von bestimmten Ausgaben an ein Gremium von Mitgliedern des Haushaltsausschusses (Vertrauensgremium)delegieren, das vom Bundestag gewählt wird[37]. So sind etwa die Wirtschaftspläne für die Nachrichtendienstedem Vertrauensgremium zur Billigung vorzulegen, § 10a Abs. 2 Satz 3 BHO.
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