1 ...6 7 8 10 11 12 ...16
[1]
Cornils S. 106 zieht hierbei einen Vergleich mit dem Internationalen Kollisionsrecht. Die „Hauptfrage“ würde nach deutschem Recht und nur die „Vorfrage“ nach ausländischem Recht beurteilt werden. Die nicht regelnde, sondern bloß subsumierende Anwendung fremden Rechts sei in Bezug auf die Ausübung staatlicher Gewalt unbedenklich.
[2]
NK- Böse Vor § 3 Rn. 63.
[3]
NK- Böse Vor § 3 Rn. 63.
Teil 3 Die Dogmatik der Fremdrechtsanwendung› I. Zur Fremdrechtsanwendung im Strafrecht› 1. Zur Akzessorietät von Straftatbeständen zu außerstrafrechtlichen Rechtssätzen
1. Zur Akzessorietät von Straftatbeständen zu außerstrafrechtlichen Rechtssätzen
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Die Anknüpfung an das Strafrecht erfolgt über normative Tatbestandsmerkmale und Blankettstraftatbestände, die außerstrafrechtliche Rechtsbegriffe und Rechtsregeln voraussetzen.[1] Zur Ausfüllung herangezogen werden dabei regelmäßig Normen des Zivil- und Verwaltungsrechts oder auch des materiellen Steuerrechts.[2] Die meisten Teile des Wirtschaftsstrafrechts, insbesondere des Nebenstrafrechts, sind durch akzessorische Straf- und Bußgeldtatbestände gekennzeichnet. So bedarf § 370 AO der Ausfüllung durch materielle und formelle Normen des Steuerrechts.[3] § 34 I AWG a.F. verweist für die Genehmigungspflicht der Ausfuhr von Waren auf andere Vorschriften des AWG und der AWVO. Das Umweltschutzstrafrecht der §§ 324 ff. StGB zeichnet sich durch seine Verwaltungsrechtsakzessorietät aus. Zum einen bedarf die Interpretation einiger Tatbestandsmerkmale des Rückgriffs auf das Verwaltungsrecht, zum anderen verweisen einige Tatbestände selbst ausdrücklich auf das Verwaltungsrecht.[4] Insbesondere im Kernstrafrecht des StGB finden sich Strafnormen, deren Tatbestandsmerkmale allein zivilrechtlich bestimmt werden. Als prominentestes Beispiel hierfür gilt wohl die „Fremdheit“ der Sache in §§ 242, 246 StGB, für die die dingliche Rechtslage ausschlaggebend ist.[5] Die Rechtswidrigkeit des Vermögensvorteils in § 263 StGB bestimmt sich danach, ob dem Täter kein wirksamer, fälliger und einredefreier Anspruch gegen den Geschädigten zusteht. Zur Beurteilung der Rechtswidrigkeit ist hier wiederum das Zivilrecht heranzuziehen.[6] Die Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht im Rahmen des § 266 StGB richtet sich ebenso nach zivilrechtlichen Regelungen. Der Tatbestand setzt den Missbrauch einer Verfügungs- oder Verpflichtungsbefugnis voraus, die dem Täter durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumt worden ist. Am auffälligsten ist der Zusammenhang zwischen Strafrecht und Zivilrecht bei den §§ 283 ff. StGB. Die Merkmale der Überschuldung oder der Zahlungsunfähigkeit lassen sich nur mithilfe der Insolvenzordnung bestimmen. Taugliche Täter der Buchführungspflichten können nur Kaufleute nach dem HGB bzw. vertretungsberechtigte Organe juristischer Personen sein.[7] Weiter sind auch die in § 266a StGB verwendeten Täterbegriffe Statusbegriffe, die allein sozialrechts- bzw. zivilrechtsakzessorisch ausgefüllt werden können.[8]
[1]
Vgl. Tiedemann AT, § 5 Rn. 197 ff.; ders. JuS 1989, 689, 694 ff.
[2]
Mosiek StV2008, 94, 97.
[3]
Eingehend zum Tatbestand der Steuerhinterziehung Wabnitz/Janovsky/ Pflaum 20. Kap. Rn. 10 ff.
[4]
Vgl. Lackner/Kühl Vor § 324 Rn. 2 ff.; S/S- Heine/Hecker Vorbem. §§ 324 ff. Rn. 11 ff.; MK-StGB/ Schmitz Vor §§ 324 ff. Rn. 41 ff.
[5]
Mankowski/Bock ZStW 2008, 704, 705.
[6]
MK-StGB/ Hefendehl § 263 Rn. 801 ff.
[7]
Vgl. Fischer Vor § 283 Rn. 19; MK-StGB/ Radtke/Petermann Vor § 283 Rn. 41 ff.
[8]
MK-StGB/ Radtke § 266 a Rn. 8.
Teil 3 Die Dogmatik der Fremdrechtsanwendung› I. Zur Fremdrechtsanwendung im Strafrecht› 2. Die Begriffsbestimmung der Akzessorietät
2. Die Begriffsbestimmung der Akzessorietät
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Diese Beispiele verdeutlichen, dass das Strafrecht in unterschiedlicher Weise von anderen Rechtsgebieten abhängig ist. Für die hier angesprochene Inbezugnahme außerstrafrechtlicher Rechtsbegriffe ist eine pauschale Begriffsbeschreibung der Akzessorietät in Sinne von „Abhängigkeit“ jedoch nicht ausreichend. Der strafrechtliche Akzessorietätsbegriff umfasst vielmehr verschiedene Erscheinungsformen, sei es zum einen als begriffliche Abhängigkeit des Strafrechts von anderen Rechtsgebieten, mit der Folge, dass außerstrafrechtliche Begriffe nach außerstrafrechtlichen Gesichtspunkten auszulegen sind oder zum anderen aus Sicht der Strafrechtsfolge, die ausschließlich oder zusätzlich an den außerstrafrechtlichen Rechtssatz anknüpft oder auch in dem Sinne, dass die Gesamtheit der Rechtsfolgevoraussetzungen von außerstrafrechtlichen Vorgängen und Entscheidungen abhängig ist.[1] Das Strafrecht sichert dabei dieselben Werte, an denen die Gesamtheit der Rechtsnorm ausgerichtet ist und weist damit in seiner Eigenschaft als Schutzrecht eine enge Verknüpfung mit benachbarten Rechtsgebieten auf.[2] Die anfangs der Akzessorietät des Strafrechts zugrunde liegende Erwägung, dass das Strafrecht als ein „unselbständiges, innerhalb der Gesamtrechtsordnung von anderen abhängiges Gebilde den bereits durch andere Rechtsteile begründeten Rechtsgutsschutz nur noch um seine Sanktion ergänzt“[3], gilt mittlerweile als überholt. Es steht außer Frage, dass das Strafrecht mit den anderen Rechtsgebieten eine einzige Rechtsordnung bildet.[4] Unabhängig von der umstrittenen Frage, welche Bedeutung im allgemeinen dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung zukommen soll, dient dieser jedenfalls dazu, Normwidersprüche zu vermeiden, die entstehen würden, wenn ein Verhalten in strafrechtlicher Sicht als rechtswidrig, im übrigen aber als rechtmäßig erklärt würde.[5] Das Strafrecht kann insofern weder als bloße Sekundärmaterie noch als ausschließlich autonomes Rechtsgebiet bezeichnet werden, um darzulegen, dass eine strenge Abhängigkeit strafrechtlicher Begriffsbildung ebenso wenig geboten ist, wie eine ausnahmslose Loslösung des Strafrechts von außerstrafrechtlichen Kategorien.[6] Darauf basiert auch die Aufteilung in selbständiges und unselbständiges Strafrecht.[7] Bei den wichtigsten Gütern wie Leben, körperlicher Integrität, Ehre, Freiheit oder sexueller Selbstbestimmung bestimmt das Strafrecht als Primärmaterie die Rechtsgutqualität selbst und ohne Rückgriff auf Begriffe und Funktionen anderer Rechtsgebiete.[8] Auf der anderen Seite hat das Strafrecht die Aufgabe, die bereits durch andere Bereiche des Rechts vorformulierten Rechtsgüter zu schützen, so dass es insbesondere im Bereich des Nebenstrafrechts als Sekundärmaterie Rechtsbegriffe oder auch ganze Normenkomplexe daraus entnimmt.[9] Aber auch bei einer Anknüpfung an benachbarte Rechtssätze bedient sich das Strafrecht zum Teil einer eigenen Begriffsbildung oder -auslegung.[10]
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Für die vorliegende Thematik besteht strafrechtliche Abhängigkeit damit in dem Sinne, dass der Tatbestand eines Strafgesetzes zum Teil aus Merkmalen besteht, die entweder explizit oder implizit auf bestimmte rechtliche Werte und Normen, insbesondere solcher anderer Rechtsgebiete, Bezug nehmen. Das Strafgesetz bedient sich folglich bei der Begriffsbestimmung der Vorarbeit außerstrafrechtlicher Normierungen.[11] Die „Akzessorietät des Strafrechts“ lässt sich danach definieren als der Verzicht eines Strafgesetzes auf die selbständige Normierung bestimmter Schutzbereiche durch die unveränderte Übernahme oder die ausdrückliche Verweisung auf einzelne Rechtsbegriffe bzw. ganzer Vorschriften aus anderen Rechtsgebieten.[12]
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