2. Pflichten während des Aufenthaltes
Der hauptsächliche Anwendungsbereich des völkergewohnheitsrechtlichen Fremdenrechts betrifft Maßnahmen, denen Fremde während ihres Aufenthalts in einem Gaststaat ausgesetzt sind. Die wichtigsten Pflichten, welche die Staaten hierbei einzuhalten haben, sind u. a. das Recht des Fremden auf Rechtsfähigkeit, dessen Recht auf Leben (d. h. Verbot willkürlicher Tötung), körperliche Unversehrtheit und Schutz der Person, dessen Recht auf ein geordnetes gerichtliches Verfahren und rechtliches Gehör, dessen Recht, vor willkürlicher Freiheitsentziehung geschützt sowie nur nach Maßgabe besonderer Voraussetzungen enteignet zu werden.
Die meisten der vorgenannten Rechte werden heute auch durch menschenrechtliche Gewährleistungen erfasst. Darüber hinaus enthält der → menschenrechtliche Mindeststandarddes Völkergewohnheitsrechts aber auch die Verbote des → Völkermordes, des Sklavenhandels, der Folter und anderer unmenschlicher Behandlung sowie der massiven Rassendiskriminierung; umstritten ist das → Selbstbestimmungsrecht der Völker. Diese Rechte besitzen zudem → erga omnes -Wirkung und den Rechtscharakter von → ius cogens . Der grundlegende Unterschied zwischen den menschenrechtlichen und den fremdenrechtlichen Gewährleistungen besteht vor allem in dem geschützten Personenkreis. Während der durch die Menschenrechte verbürgte Schutz unterschiedslos allen Personen zusteht, die von der Hoheitsgewalt dieses Staates erfasst werden, erstreckt sich der fremdenrechtliche Mindeststandard ausschließlich auf fremde natürliche und juristische Personen.
Einzig dem völkergewohnheitsrechtlich anerkannten Fremdenrecht, nur unter besonderen Voraussetzungen enteignet zu werden, kommt heute noch eine eigenständige Bedeutung neben den menschenrechtlichen Gewährleistungen zu. Dies rührt daher, dass sich ein völkerrechtlich anerkannter menschenrechtlicher Eigentumsschutz bislang nicht durchgesetzt hat, auch wenn in der Literatur zunehmend Stimmen laut werden, die einen solchen befürworten. Das völkergewohnheitsrechtliche Fremdenrecht verbietet zwar grundsätzlich nicht, fremdes Eigentum zu enteignen. Es gebietet den Staaten jedoch, Enteignungen gegenüber Fremden nur unter bestimmten Voraussetzungen durchzuführen. Enteignungen sind völkerrechtlich nur dann zulässig, wenn sie einem öffentlichen Interesse dienen, ohne Diskriminierung durchgeführt werden und insbesondere eine Entschädigung gezahlt wird, die nach der sog. Hull-Formel „ prompt, effective and adequate “ sein muss ( → Enteignungsrecht, internationales).
Genauerer Betrachtung bedarf die Frage, inwiefern sich aus dem fremdenrechtlichen Mindeststandard auch ein allgemeines Diskriminierungsverbot ableiten lässt. Unbestritten ergibt sich aus dem fremdenrechtlichen Mindeststandard die Pflicht der Staaten, Fremden gleichen Zugang zu den Gerichten zu gewähren und die Gleichheit vor dem Gesetz zu wahren. Staaten sind allerdings nach allgemeinem Völkerrecht nicht gezwungen, über die genannten Fälle hinaus Fremde gegenüber ihren eigenen, aber auch im Verhältnis zu anderen Staatsangehörigen, gleich zu behandeln. Staaten unterscheiden etwa im politischen Bereich (z. B. Wahlrecht) seit jeher zwischen eigenen und fremden Staatsangehörigen. Auch auf wirtschaftlichem Gebiet hat sich ein allgemeines völkergewohnheitsrechtliches Diskriminierungsverbot nicht durchgesetzt. Die Staatenpraxis zeigt vielmehr, dass Staaten zur Gleichbehandlung von eigenen und fremden Staatsangehörigen ( → Inländergleichbehandlung) oftmals nur dann bereit sind, wenn sie sich hierzu völkervertraglich verpflichtet haben, z. B. im Rahmen eines bilateralen Investitionsschutzabkommens ( → Investitionsrecht, Internationales).
IV. Durchsetzung des völkergewohnheitsrechtlichen Fremdenrechtes
Beim völkergewohnheitsrechtlichen Fremdenrecht handelt es sich historisch bedingt um ein Recht, das den Staaten zusteht und im Gegensatz zu menschenrechtlichen Gewährleistungen nicht primär das Individuum zu schützen beabsichtigt. Ungeachtet der Tatsache, dass ein allgemein zugängliches internationales Streitbeilegungsverfahren für Streitigkeiten zwischen Staaten und Individuen bislang nicht existiert (zu den Besonderheiten im internationalen Investitionsrecht → ICSID), stehen schon aus dogmatischen Gründen dem Einzelnen bei Verstößen gegen das Fremdenrecht daher keine eigenen Möglichkeiten zur Sanktionierung und Wiedergutmachung zur Verfügung. Der Einzelne ist daher auf das Handeln seines Heimatstaates angewiesen ( → diplomatischer Schutz). Lediglich dieser kann, da es sich bei dem Verstoß gegen das Fremdenrecht um einen Fall der Staatenverantwortlichkeit handelt, intervenieren ( → Verantwortlichkeit, völkerrechtliche).
F› Friendly Relations-Deklaration (1970) (Burkhard Schöbener)
Friendly Relations-Deklaration (1970) (Burkhard Schöbener)
I. Allgemeines
II. Deklarations-Text und Problembereiche
III. Rechtliche Würdigung
1. Beschlüsse der Generalversammlung als Empfehlungen
2. Völkerrechtlicher Vertrag
3. Völkergewohnheitsrecht
a) Staatenpraxis
b) Rechtsüberzeugung (opinio iuris)
4. Allgemeine Rechtsgrundsätze
5. Autoritative/authentische Auslegung der UN-Charta
IV. Ausblick
Lit.:
G. Arangio-Ruiz , The Normative Role of the General Assembly of the United Nations and the Declaration of Principles of Friendly Relations, RdC 137 (1972), 419; S. Bocek , Die völkerrechtlichen Wirkungen einseitiger Erklärungen der UN-Generalversammlung, 2011; B. zu Dohna , Die Grundprinzipien des Völkerrechts über die freundschaftlichen Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen den Staaten, 1973; J.A. Frowein , Der Beitrag der internationalen Organisationen zur Entwicklung des Völkerrechts, ZaöRV 36 (1976), 147; H. Keller , Friendly Relations Declaration (1970), EPIL 2013; R. Rosenstock , The Declaration of Principles of International Law Concerning Friendly Relations: A Survey, AJIL 65 (1971), 713; Chr. Tomuschat , Die Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten – Zur Gestaltungskraft von Deklarationen der UN-Generalversammlung, ZaöRV 36 (1976), 444.
Die Friendly Relations-Deklaration (GA Res. 2625 [XXV]; Sart. II Nr. 4) gehört neben der → Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte(1948) und der → Uniting for Peace-Resolution (1950)zu den Beschlüssen der → UN-Generalversammlung, die für das Selbstverständnis der → Vereinten Nationenin den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens von besonderer Bedeutung waren. Verabschiedet wurde sie am 24.10.1970 im Consensus-Verfahren, d. h. ohne förmliche Abstimmung, aber auch ohne ausdrückliche Gegenstimmen. Vorausgegangen waren seit 1964 insgesamt sechs Sitzungsperioden des 1963 von der Generalversammlung gegründeten Special Committee on Principles of International Law . Ergebnis der Beratungen des Sonderausschusses war die Declaration on Principles of International Law Concerning Friendly Relations and Co-operation among States in Accordance with the Charter of the United Nations , kurz: Friendly Relations-Deklaration (FRD) bzw. Prinzipien-Erklärung.
Dem Sonderausschuss stellte sich die äußerst schwierige Aufgabe, in Zeiten des Kalten Krieges einen Entwurf auszuarbeiten, der sowohl die Akzeptanz der westlichen Demokratien als auch der kommunistischen → Staaten finden sollte. In der Konsequenz führte dies gerade in den besonders umstrittenen Fragen zu mehrdeutigen Formelkompromissen, die von beiden Seiten nach Maßgabe des je eigenen (Vor-) Verständnisses ausgelegt werden konnten. In wesentlichen Fragen aber gelang es, trotz der wenig ermutigenden weltpolitischen Rahmenbedingungen, einen Konsens über bestimmte Kerngehalte der einzelnen Grundsätze zu erzielen, der es dem → IGHpolitisch erleichterte, sich auf die FRD zu berufen (s. unten, IV.), ohne dass die zugrunde liegenden Rechtsfragen damit allerdings bereits als geklärt angesehen werden können (s. unten, III.).
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