5. Waffen, Munition und Rüstungsgüter
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Grundsätzlich umfasst die gemeinsame Handelspolitik auch den Handel mit Waffen, insbesondere Kriegswaffen, Munition und Rüstungsgütern, wenngleich den Mitgliedstaaten nach Art 346 Abs 1 Buchst b AEUV eine eigenständige Regelungskompetenz ermöglicht ist. Kriegsmaterial nach Art 346 Abs 2 AEUV ist in einer Liste vom 15.4.1958[23] festgelegt. Die Liste ist bislang nicht aktualisiert worden. Soweit in dieser Liste Dual-Use-Güter aufgeführt sind, steht dies mit Art 346 Abs 1 Buchst b AEUV nicht ein Einklang.[24] Insoweit ist die Dual-Use-VO (VO (EG) Nr 428/2009) vorrangig, die aber in ihrem Art 26 erklärt, dass die Anwendbarkeit von Art 346 AEUV unberührt bleibt.
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Da der Export von Rüstungsgütern wesentliche wirtschaftliche und außenpolitische Interessen der EU und ihrer Mitgliedstaaten berührt, haben sich die Mitgliedstaaten am 8.6.1998 auf einen „ Verhaltenskodex der Europäischen Union für Waffenausfuhren“ verständigt. Dieser Verhaltenskodex war für die Mitgliedstaaten nicht rechtlich, sondern allenfalls politisch bindend. Durch den Gemeinsamen Standpunkt 2008/944/GASP[25] wurden die im Verhaltenskodex niedergelegten Grundsätze in eine rechtlich verbindliche Form überführt und teilweise ergänzt. Damit wurde innerhalb der EU ein harmonisierter Rechtsrahmen geschaffen. Die gemeinsamen Grundsätze mussten durch die Mitgliedstaaten in nationales Recht überführt werden. Insbesondere die Vorschriften zur technischen Unterstützung gehen maßgeblich auf den Gemeinsamen Standpunkt zurück.
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Erhebliche Erleichterungen für den Handel mit Rüstungsgütern innerhalb der EU wurden durch die Verteidigungsgüterrichtlinie (RL Nr 2009/43/EG)[26] geschaffen. Es wurde ein Genehmigungssystem eingerichtet, das auf der Erteilung von Genehmigungen an Lieferanten beruht (Zertifizierung) und die Verbringung von Rüstungsgütern innerhalb der EU erleichtern soll.
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Durch die VO (EU) Nr 258/2012[27] ( Feuerwaffenverordnung) wurde wurden europaweit einheitliche Genehmigungserfordernisse für die Ausfuhr von in Anh I dieser Verordnung genannte Schusswaffen, Teile, Komponenten sowie Munition festgelegt. Zum Teil sind diese Waffen in Teil I Abschnitt A der Ausfuhrliste erfasst und unterliegen einer Genehmigungspflicht nach § 8 Abs 1 AWV. In diesem Fall findet ein einheitliches Genehmigungsverfahren statt (Art 4 Abs 2 Feuerwaffen-VO).
6. Anti-Folter Verordnung
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Die VO (EG) Nr 1236/2005 (Anti-Folter VO) enthält dem Außenwirtschaftsrecht zuzurechnende Regelungen über die Ein- und Ausfuhr von Gegenständen, die zur Folter oder unmenschlichen Behandlungen verwendet werden können. Neben dem Güterverkehr erfasst sie auch Beschränkungen bei der Erbringung von Dienstleistungen.
7. Embargos und Sanktionen
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Art 215 AEUV enthält eine Kompetenz des Rates zum Erlass von Wirtschafts- und Finanzsanktionen, sofern dem ein Beschluss der GASP nach Titel V Kap 2 EUV zugrunde liegt. Wirtschafts- und Finanzsanktionen werden verhängt, um einen Staat, der sich völkerrechtswidrig verhält, zur Beendigung seines Verhaltens zu bewegen; Wirtschafts- und Finanzsanktionen dürfen nur so lange aufrecht erhalten werden, bis dieses Ziel erreicht ist.[28] Derartige Sanktionen bestehen regelmäßig im Einfrieren von Geld- und Vermögenswerten, Einschränkungen des Zahlungsverkehrs, können aber auch Waffenembargos oder Beschränkungen des Waren- und Dienstleistungsverkehrs umfassen.[29] Finanzsanktionen oder Smart Sanctions richten sich regelmäßig gegen bestimmte Personen.
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Wirtschaftsembargos gegen Staaten können auch auf Art 207 AEUV gestützt werden, sofern handelspolitische Ziele im Vordergrund stehen. Die Abgrenzung der Ermächtigungsvorschriften von Art 207 und Art 215 AEUV ist im Einzelnen umstritten.[30]
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In der Praxis besonders wichtige Embargos und Sanktionen basieren auf Resolutionen des UN-Sicherheitsrats oder auf Beschlüssen des Rates der EU im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Besonders hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang die Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung. Aufgrund der Resolution 1390 (2002) des UN-Sicherheitsrates wurden durch VO (EG) Nr 881/2012 Sanktionen gegen Personen und Organisationen beschlossen, die mit Osama bin Laden, dem Al-Qaida-Netzwerk und den Taliban in Verbindung stehen. In Umsetzung der Resolution 1373 (2001) wurden durch VO (EG) Nr 2580/2001 Embargomaßnahmen gegen Personen und Organisationen getroffen, die terroristische Handlungen begehen, zu begehen versuchen, an diesen beteiligt sind, diese fördern oder erleichtern und nicht mit Osama bin Laden, dem Al-Qaida-Netzwerk oder den Taliban in Verbindung stehen.
8. Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU (Brexit)
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Das Vereinigte Königreich hat am 29.3.2017 die Absicht erklärt, aus der Europäischen Union auszutreten (sog Brexit). Das zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU geschlossene Austrittsabkommen[31] wurde nach der Ratifizierung im Vereinigten Königreich und der EU wirksam, so dass das Vereinigte Königreich zum 31.1.2020 aus der EU ausgeschieden ist. Das Gebiet des Vereinigten Königreichs gehört seither nicht mehr zum Zollgebiet der EU. Nach Art 127 Abs 3 des Austrittsabkommens gilt jedoch bis zum Ablauf des Übergangszeitraums am 31.12.2020 das Unionsrecht im Verhältnis zum Vereinigten Königreich weiter fort. Für den Bereich des Exportkontrollrechts ergeben sich daher während des Übergangszeitraums keine Änderungen. Das Vereinigte Königreich wird so behandelt, als befinde es sich noch im Zollgebiet der Union. Im Vereinigten Königreich ansässige Personen gelten weiterhin als unionsansässig. Bislang genehmigungsfreie Lieferungen nach der EG-Dual-Use-VO, dem AWG, der AWV, der Anti-Folter-VO oder der Feuerwaffen-VO bleiben weiterhin genehmigungsfrei möglich. Auch behalten vom Vereinigten Königreich erteilte Genehmigungen während des Übergangszeitraums weiterhin Geltung.
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Im Bereich des Bundesrechts bestimmt § 1 BrexitÜG, dass das Vereinigte Königreich weiterhin als Mitgliedstaat der EU gilt. Daher gelten im Vereinigten Königreich ansässige natürliche oder juristische Personen während des Übergangszeitraums als Unionsansässige iSv § 2 Abs 18 AWGund das Vereinigte Königreich selbst als nach § 2 Abs 25 AWGzum Zollgebiet der EU gehörend.
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Nach Ende des Übergangszeitraums zum 31.12.2020 wird das Vereinigte Königreich hingegen zum Drittland, sofern nicht in einem noch abzuschließenden Freihandelsvertrag anderweitige Regelungen getroffen werden. Das Vereinigte Königreich wird dann in vollem Umfang wie ein Drittland behandelt. Vom Vereinigten Königreich erteilte Genehmigungen verlieren ihre Wirkung, die Lieferung von in Anhang I der Dual-Use-VO gelisteten Gütern ins Vereinigte Königreich bedarf einer Genehmigung. Allerdings steht zu erwarten, dass das Vereinigte Königreich in den begünstigten Länderkreis der Allgemeinen Genehmigung Nr EU 001 bzw in den privilegierten Länderkreis nationaler Allgemeiner Genehmigungen aufgenommen werden wird.
III. Regelungskompetenz des nationalen Gesetzgebers
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Aufgrund des Vorrangs von Unionsrecht steht dem nationalen Gesetzgeber eine Regelungskompetenz im Außenwirtschaftsrecht nur noch in geringem Umfang zu. Ihm verbleibt Gestaltungsspielraum im Wesentlichen nur noch für den Verkehr mit Rüstungsgütern, für den Dienstleistungsverkehr, soweit er mit dem Grenzübertritt von Personen verbunden ist, bzw soweit Rechtsakte der EU den Mitgliedstaaten ausdrücklich Gestaltungsspielräume einräumen oder soweit die öffentliche Sicherheit und Ordnung eine nationale Regelung erfordert.
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