5. Wenngleich sich mit der Konsumerismus-Bewegung der frühen 1970er Jahre bereits erste Anzeichen andeuteten (Hansen, Stauss 1982; Aaker, Day 1972; Fischer-Winkelmann, Rock 1977), haben sich in jüngster Vergangenheit die Herausforderungen, die von verschiedenen Anspruchsgruppen an die Unternehmensführung herangetragen werden, nochmals verschärft. Der Absatzmarkt mit den drei wesentlichen Marktteilnehmergruppen Hersteller, Absatzmittler und Verbraucher ist gleichwohl nach wie vor ein wesentlicher Engpassfaktor der Unternehmensplanung. Daneben treten jedoch weitere Anspruchsgruppen, die den Erfolg der Unternehmung nachhaltig beeinflussen (Raffée 1987, Hansen 1988). Besonders deutlich wird dies anhand der umweltschutzbezogenen Ansprüche, die an die Unternehmungen herangetragen werden. Unternehmungen, denen es gelungen ist, diesen Ansprüchen in besonderer Weise gerecht zu werden, haben dadurch auch in ihrem Absatzmarkt Wettbewerbsvorteile aufgebaut (Meffert, Kirchgeorg 1998). Diese ganzheitliche, anspruchsgruppenorientierte Interpretation zwingt dazu, Marketing als integrierte, marktorientierte Führungskonzeption anzusehen. Neben die gleichberechtigte Unternehmensfunktion tritt somit ein markt- und anspruchsgruppenorientiertes Leitkonzept des Marketing-Management (Meffert et al. 2018).
6. In der jüngeren Vergangenheit hat insbesondere die Digitalisierung im Marketing neue Impulse gesetzt. Sie hat nicht nur in Konsumgüterbranchen – durch neue Vertriebswege – den Wettbewerb nachhaltig verschärft (Ahlert et al. 2020; Kollmann 2019a). Die Digitalisierung hat weiterhin in jenen Branchen, die Technologien sowie digitale Dienste bereitstellen und für diese Technologien einen Mehrwert schaffen, eine bislang nicht gekannte Wettbewerbsdynamik ausgelöst (Kollmann 2019b). Und sie hat schließlich die Vernetzung zwischen Anbietern und Nachfragern, aber auch unter den Nachfragern nachhaltig gefördert.
Diese Entwicklungslinien verdeutlichen insgesamt, dass der marktorientierten Führung der Unternehmung ein besonderer Stellenwert zukommt (Dichtl 1994). Dabei gilt es, über die Festlegung von Marketingstrategien den marktorientierten Handlungsrahmen zur Erzielung von Wettbewerbsvorteilen einzugrenzen. In diesem Sinne besagt die Marketingkonzeption, »dass der Schlüssel zur Erreichung unternehmerischer Ziele darin liegt, die Bedürfnisse und Wünsche des Zielmarktes zu ermitteln und diese dann wirksamer und wirtschaftlicher zufrieden zu stellen als die Wettbewerber« (Kotler, Bliemel 2001).
In dieser Abgrenzung werden dem strategischen Marketing zwei wesentliche Aufgabenstellungen zugewiesen:
• Die Identifikation von Wünschen und Bedürfnissen und damit einhergehend die Abgrenzung des Zielmarktes.
• Die Formulierung und Implementierung von Wettbewerbsstrategien, die auf Wirksamkeit und/oder auf Wirtschaftlichkeit ausgerichtet sind.
Diese Abgrenzung des Aufgabenspektrums im strategischen Marketing ist sehr global gehalten. Andere Autoren haben im Gegensatz dazu die Aufgaben des strategischen Marketing erheblich differenzierter aufgeschlüsselt. Tabelle 1-1 gibt einen Überblick über fünf unterschiedliche Abgrenzungen dieses Aufgabenspektrums.
Erkennbar ist dabei, dass die Autoren unterschiedliche Schwerpunkte im Aufgabenspektrum des strategischen Marketing sehen. So heben Kotler und Bliemel (2001) die Definition generischer Wettbewerbsstrategien als Aufgabenstellung des strategischen Marketing in besonderer Weise hervor, Meffert et al. (2018) nennen hingegen die Ableitung von Marktteilnehmerstrategien als besondere Aufgabe des strategischen Marketing, Becker (2019) weist auf Marktfeld und Marktarealstrategien hin, Backhaus und Schneider (2019) verweisen in spezieller Weise auf den Zeitpunkt des Marktein- und -austritts und Bruhn (2014) betont schließlich die Verbindung zum strategischen Controlling.
Tab. 1-1: Aufgabenspektrum des strategischen Marketing
Kotler, Bliemel (2001)Meffert et al. (2019)Becker (2019)Backhaus, Schneider (2019)Bruhn (2014)
Trotz dieser unterschiedlichen Schwerpunktsetzung macht ein Vergleich der verschiedenartigen Aufgabenspektren deutlich, dass im Kern die Aufgaben des strategischen Marketing relativ einheitlich gesehen werden. Kernaufgaben sind danach:
• Festlegung der Unternehmensphilosophie und der strategischen Zielsetzungen.
• Abgrenzung und Auswahl der strategischen Geschäftsfelder und Festlegung des Internationalisierungsgrades.
• Entwicklung, Bewertung und Auswahl der Marktteilnehmer- und Marktbearbeitungsstrategien.
• Implementierung der Strategien in der Unternehmung und im Markt.
In diesem Sinne soll im Folgenden unter strategischem Marketing die Entwicklung, Bewertung und Auswahl globaler markt-, anspruchsgruppen- und dabei vor allem auch wettbewerbsgerichteter Verhaltensrichtlinien verstanden werden, die den Einsatz des Marketing-Instrumentariums kanalisieren und die Ressourcenallokation steuern. Dabei muss gewährleistet sein, dass diese Verhaltensrichtlinien über einen längeren Zeitraum gültig sind, sich gleichzeitig jedoch an Veränderungen in der Aufgabenumwelt der Unternehmung flexibel anpassen.
1.2 Leitbilder des strategischen Marketing
Wie bereits angesprochen hat das Marketing in den vergangenen 50 Jahren verschiedenste Phasen durchlaufen. In dieser Zeit ist auch immer wieder die Frage nach dem Paradigma der Marketingwissenschaft gestellt worden. Entsprechend sind für die Marketingwissenschaft verschiedene Leitbilder entworfen worden (Meffert et al. 2018), die letztlich verdeutlichen, dass sich die Marketingwissenschaft mit der Analyse und Gestaltung von Kundenbeziehungen – teilweise in sehr weitgehenden Interpretationsformen – auseinandersetzt. Für das strategische Marketing sind aktuell zwei Leitbilder prägend, der ressourcenorientierte und der marktorientierte Ansatz.
1.2.1 Der ressourcenorientierte Ansatz
Der ressourcenorientierte Ansatz des strategischen Marketing verfolgt eine ausgeprägte Inside-Out-Perspektive. Danach ist der Erfolg im strategischen Marketing vom Umfang und der Qualität der Ressourcen abhängig, die eine Unternehmung einsetzen kann, um ihre Kundenbeziehungen zu gestalten. Dem strategischen Marketing kommt entsprechend die Aufgabe zu, diese Ressourcen aufzubauen, zu pflegen und in der Kundenbeziehung einzusetzen.
Der ressourcenorientierte Ansatz ist alles andere als neu. Bereits Penrose (1959) oder Schumpeter (1911) haben die Erfolgspotentiale von Unternehmen in einer spezifischen Ressource, ihrer Fähigkeit zur Schaffung von Innovationen, gesehen. Neuere Veröffentlichungen setzen sich vor allem mit der Klassifikation strategischer Ressourcen auseinander. So unterscheiden Grant (1991) zwischen tangiblen, intangiblen und Humanressourcen, Bea und Haas (2019) zwischen Leistungs- und Führungspotentialen.
Auch das Konzept der Kernkompetenzen von Hamel und Prahalad (1994) ist dem ressourcenorientierten Ansatz zuzuordnen. Danach müssen Unternehmen ihre strategische Ressourcen so bündeln, dass Kernkompetenzen entstehen. Diese Kernkompetenzen sind die Grundlage zur Entwicklung von – für die Wettbewerbsfähigkeit wesentlichen – Teilen oder Komponenten eines Endproduktes.
Mit dem ressourcenorientierten Ansatz wird der Blick des strategischen Marketing vornehmlich auf die Fähigkeiten und Fertigkeiten einer Unternehmung gelenkt, Kundenbeziehungen zu gestalten. Es gilt, diese für die Kundenbeziehung wesentlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten zu identifizieren, auf- und auszubauen und in der Kundenbeziehung richtig einzusetzen.
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